Glanz der Weltstars für den Produktionsstandort

26.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:05 Uhr
Superstar der Sommerkonzerte: Lorin Maazel. −Foto: Archiv

Die Audi-Sommerkonzerte feiern ihr 30-jähriges Bestehen - und alles ist anders.

In Corona-Zeiten ist es fast ein Wunder, dass das Festival überhaupt stattfindet. Denn der Shutdown liegt noch nicht lange zurück, bis vor Kurzem war den Konzertveranstaltern kaum klar, was für Konzerte erlaubt sind. Nun allerdings ist bekannt: Die Jubiläums-Sommerkonzerte sind terminiert - und fallen doch gänzlich aus der Reihe.

Denn: Festival-Stimmung will sich kaum einstellen. Die Plakate in der Stadt fehlen, die überfüllten Vorverkaufsstellen, das Stadtgespräch. Das Publikum scheint den Umschwung zu spüren. Denn in diesem Jahr spielt sich das Festival vorwiegend im virtuellen Raum des Internets ab, nur wenige Besucher werden Gelegenheit haben, die Musik vor Ort zu erleben. Konzertkarten kommen überhaupt nicht in den Handel.

Virtuelle Konzerte

Die Künstler musizieren allerdings in Ingolstadt, in verschiedenen Sälen des Konzerns. Aber eigentlich ist das sogar fast unwichtig. Im virtuellen Raum sind alle Entfernungen gleich, ein Konzert in New York ist im Prinzip nicht weiter entfernt als eins in Tokio oder Ingolstadt. Und so steht es auch um die Besucher. Bereits beim Solidaritätskonzert mit Festivalleiterin Lisa Batiashvili im Audi-Presswerk am 14. April zeigte sich: Das Konzert wurde in Ingolstadt sehr gut angenommen, aber die Mehrheit des Publikums lauschte den Künstlern in aller Welt, in Korea, Indien und Mexiko. Deshalb auch moderierte Alexander Mazza das Konzert in englischer Sprache. Er wird diese Aufgabe erneut auch bei der diesjährigen Festivalrunde übernehmen. Die Audi-Sommerkonzerte - ein Weltfestival.

Das Konzept

Genau das allerdings sollte das Festival, als es 1990 gegründet wurde gerade nicht sein. Audi-PR-Chef Karl-Heinz Rumpf (1950-2004), der die Sommerkonzerte zwischen Donau und Altmühl (wie das Festival damals noch hieß) konzipierte, gründete und zwölf Jahre lang leitete, wollte die Attraktivität des wichtigsten Produktionsstandortes steigern. Er wollte prominente Künstler, die sonst kaum Anlass haben, die kleine Großstadt zu besuchen, nach Ingolstadt bringen. Er wollte den Menschen vor Ort, vor allem den Mitarbeitern des Konzerns etwas bieten. Und damit polierte er auch das Image der Stadt auf.

Eine besondere Ausstrahlung ins Umfeld hatten die Sommerkonzerte leider niemals, dazu ist das Kulturangebot in Städten wie München oder Nürnberg zu hochkarätig. Bescheiden, zweitrangig oder unwichtig waren die Sommerkonzerte dennoch nicht. Immer präsentierte das Festival Stars, mitunter die bedeutendsten Musiker unserer Zeit. Das gehört bis heute zum Konzept des Festivals.

Der Start

Die Sommerkonzerte starteten mit einem Paukenschlag. Und zwar bevor es wirklich losging. Denn bereits im Vorjahr, 1989, gelang es Rumpf, ein legendäres Konzert zu organisieren. Ein Konzert, das das ZDF deutschlandweit ausstrahlte und das bis heute sich in die DNA des Unternehmens eingebrannt hat: als das erste Werkhallen-Konzert des Konzerns, damals mit dem Dirigenten Sergiu Celibidache, den Münchner Philharmonikern und dem Pianisten Daniel Barenboim. Das Konzert ebnete den Boden für das im Jahr darauf erstmals stattfindende eigentliche Festival. Für den eher technologiebasierten Konzert keine leichte Aufgabe. Letztlich fehlte es dem Unternehmen an Know-how, an Fachkenntnissen. Die holte man sich in den ersten Jahren von außerhalb. Der Pianist und Dirigent Justus Frantz fügte die Kräfte zusammen. Er leitete damals das Schleswig-Holstein Musik Festival, gleichzeitig wirkte er als Berater der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks. So vermittelte er. Das Festival im hohen Norden war Vorbild für die Sommerkonzerte, der BR der Partner, der die fehlende Kompetenz lieferte und mit Auftritten der BR-Symphoniker unter der Leitung ihres damaligen Chefdirigenten Lorin Maazel für Glanz sorgte. Der Ingolstädter Konzern brachte in den ersten Jahren im Wesentlichen die finanziellen Mittel in das Bündnis ein.

Weihnachtsmann

Für Audi war die Entscheidung als einziges größeres Unternehmen weltweit ein eigenes Musikfestival zu veranstalten, fast schon ein tollkühnes Abenteuer. Vielleicht kein anderer hätte die Chuzpe gehabt, so etwas anzugehen als der Audi-Manager Karl-Heinz Rumpf. Der studierte Elektroingenieur kam 1986 zu Audi und krempelte bereits wenige Jahre später das Kulturengagement des Konzerns gründlich um. Rumpf wurde in Ingolstadt gefeiert wie eine Lichtgestalt. Ebenso umtriebig wie getrieben, einer, der ständig Begeisterung für seine Projekte ausstrahlte, ein genialer Netzwerker. Er kannte unzählige Leute, deren Kenntnisse und Projekte er zusammenbringen konnte. Aber fast noch wichtiger war: Fast jeder in Ingolstädter kannte ihn. Nach kurzer Zeit war er der gefühlt bekannteste Audi-Mitarbeiter, bekannter noch als die jeweiligen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens. Rumpf war eine Urgewalt des regionalen Kulturlebens.

Aber er hatte auch Möglichkeiten, von denen die heutigen Audi-Mitarbeiter nur noch träumen können. Wie der Weihnachtsmann eilte er durch die Stadt und verstreute nach Gutdünken Fördergelder für Kulturprojekte. Nichts schien unmöglich zu sein. Kein Star war zu bedeutend, kein Projekt zu groß. Rumpf schaffte es, das Georgische Kammerorchester nach Ingolstadt zu holen und machte dafür erhebliche finanzielle Mittel locker. Für Audi fädelte er Sponsoring-Aktivitäten bei der Bayerischen Staatsoper sowie den Festspielen in Bayreuth, Glyndebourne und Salzburg ein. Das Audi-Forum wurde maßgeblich nach seinen Ideen realisiert, die Gründung des Museums für Konkrete Kunst wäre ohne sein Engagement kaum denkbar gewesen. Er erreichte, dass der Salzburger "Jedermann" in Ingolstadt aufgeführte wurde - das einzige Mal überhaupt, dass die legendäre Produktion außerhalb der Mozart-Stadt gastierte. Und: Er holte 1996 den Dirigenten Carlos Kleiber zu einem Konzert. Vielleicht ist das nicht einmal ein so grandioses Ereignis im historischen Maßstab der Bundesrepublik. Aber Rumpf verstand es, aus solchen Events maximalen medialen Gewinn herauszuschlagen. So sagte er etwa dem "Manager Magazin": "Es gab kein kulturelles Ereignis der Nachkriegszeit, bei dem derart über einen Sponsor geschrieben wurde, daran kam keiner vorbei, auch nicht der hartgesottenste Antisponsoring-Kulturkritiker. " Das war möglicherweise ein übertriebenes Eigenlob. Aber dennoch: Das Gastspiel rauschte durch den Blätterwald, Fernsehen und Magazine wie der "Spiegel" berichteten seitenlang darüber.

Die ersten Jahre

Die Sommerkonzerte trugen in den ersten zwölf Jahren die Handschrift Rumpfs, ja, sie waren Karl-Heinz-Rumpf-Festspiele. Fast hemdsärmelig ging er die Sache an, Kompetenz holte er sich bei Freunden und Bekannten: bei dem Münsterorganisten Franz Hauk, der zusammen mit dem damaligen Konzertmeister der BR-Symphoniker Antonio Spiller die Idee für die BR-Orchesterakademie hatte. Und bei Michael Schmatloch, dem damaligen Kulturchef des DONAUKURIER. Der Journalist schrieb die Texte und gestaltete die Programmhefte für das Festival. Gleichzeitig brachte er auch Veranstaltungen für die Sommerkonzerte ein. Er organisierte bis hin zu den Hotelzimmern die Gastauftritte von Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser. Und er holte die Sängerin Ute Lemper in den Ingolstädter Festsaal. "Es stellte sich schnell heraus, dass Rumpf von Kultur relativ wenig Ahnung hatte. Aber er hat ungeheuer schnell dazugelernt", erzählt der Journalist.

Wer vieles bringt . . .

Die tragende Idee der Sommerkonzerte war in den ersten Jahren, dass es keine tragende Idee für das Festival geben sollte. Rumpf lehnte eigentlich jedes Motto ab. Außer ein berühmtes Goethe-Wort, das er gern immer wieder zitierte und ihm alle Möglichkeiten offenließ: "Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen. " Ohne selbst gesetzte Grenzen, ohne Denkzwänge engagierte Rumpf alles, was Rang und Namen hatte und bereit war, in der Donaustadt aufzutreten. Nicht nur große Klassik-Künstler wie Menuhin und Anne-Sophie Mutter, sondern auch die Jazzmusiker Oscar Peterson und Dave Bruback, den Liedermacher Konstantin Wecker, Publizisten oder auch mal ein Theaterstück, inszeniert von Peter Stein. Die Sommerkonzerte glichen manchmal einem schlecht sortierten kulturellen Gemüseladen. Aber sie waren erfolgreich mit einer Platzauslastung von meist über 90 Prozent. Die erste Festivalrunde bot sieben Konzerte, dann wuchs das Festival von Jahr zu Jahr, bald waren es weit mehr als 20 Konzerte.

Der Kulturmarkt Ingolstadt schien unersättlich zu sein. Rumpf schwärmte von den Ingolstädtern, ihrer Offenheit, ihrer Begeisterung für Musik. Und glaubte fest daran, ein neues Publikum zu generieren, das bisher noch nicht das etablierte Konzertangebot besucht hat. Die BR-Orchesterakademie lud Künstler wie Lorin Maazel, Kurt Sanderling, Yehudi Menuhin oder Mstislaw Rostropowitsch ein. Der legendäre Ruf des Festivals basiert auf dem Erfolg der ersten Jahre. Erfolgreich waren die Sommerkonzerte allerdings auch, "weil das Kulturangebot in Ingolstadt generell damals viel kleiner war", analysiert Schmatloch.

Der Kulturmanager Steffen Müller (60), der zwischen 1992 und 2002 zusammen mit Rumpf die Sommerkonzerte organisierte, findet heute fast nur lobende Worte über seinen damaligen Chef. Dass die Karten für das Festival sich damals wie von selbst verkauften, diese Darstellung verweist er ins Reich der Legenden. "Wenn es mal nicht so gut lief, war das für Rumpf ein riesiges Drama. Er ging immer vom Schlechtesten aus. Dann haben wir bis in die Nacht gerackert, Plakate selber geklebt, Briefe verschickt. " Rumpf schreckte auch nicht davor zurück, die Säle aufzufüllen, indem er Karten einfach verschenkte.

Rumpfs Stern sinkt

Der PR-Chef allerdings erreichte, dem Festival einen Nimbus des immerwährenden Erfolgs zu verleihen. Anfang des neuen Jahrtausends ergab eine Umfrage in der Region, dass fast jedem Ingolstädter die Marke Sommerkonzerte bekannt war.

Aber da begann bereits Rumpfs Stern zu sinken. Nach und nach verlor er immer weitere Kompetenzen im Konzern, seine Abteilung zog vom gläsern funkelnden Audi-Forum in Baracken. "Ich bin völlig abgeschnitten vom Informationsfluss", klagte 2003 Rumpf gegenüber Steffen Müller. Der hatte nach zehnjähriger Tätigkeit bei Audi inzwischen Ingolstadt verlassen. Auch die Leitung der Sommerkonzerte hatte Rumpf abgeben müssen, an Joachim Bähr. Für Müller eine grundfalsche Entscheidung. Er hatte all die Jahre hervorragend mit Rumpf zusammengearbeitet. "Rumpf ist eine komplexe Persönlichkeit", erzählt er. "Heute würde ich sagen: Das waren die besten Jahre meines Lebens. Ich bin nie im Berufsleben einem Menschen begegnet, von dem ich so viel Liebe und Wärme erfahren habe wie von ihm. "

Mann mit Gegnern

Aber Rumpf kam nicht bei allen Mitarbeitern und Kollegen gut an, für viele war er eine "Person, die polarisiert", wie eine Audi-Mitarbeiterin erzählt. Er kam manchmal unwirsch, uncharmant, eitel und selbstgefällig herüber. Von seinen Mitarbeitern verlangte er sehr viel, da fielen auch harte Worte. Abhängig war Rumpf vor allem immer von den verschiedenen Vorstandsvorsitzenden. Mit Ferdinand Piëch kam er zurecht, ihn bewegte er sogar, Grußworte bei der Eröffnung der Sommerkonzerte ans Publikum zu richten - fast ein Wunder, wenn man bedenkt, wie öffentlichkeitsscheu der damalige Audi-Chef war. Als Martin Winterkorn 2002 Vorstandsvorsitzender wurde, verlor Rumpf 2003 die Leitungsfunktion bei den Sommerkonzerten. 2004 kam der Manager in Thailand beim Tsunami ums Leben.

Neue Ideen

Zahlreiche neue Festivalleiter erlebte Ingolstadt in den kommenden Jahren, keiner allerdings besaß Rumpfs Charisma. Das Festival wandelte sich dennoch und wurde sogar besser und vielseitiger.

Joachim Bähr bemühte sich, Popmusik zu integrieren - mit wenig Erfolg. Jürgen Bachmann profilierte ab 2004 das inzwischen rein klassisch orientierte Festival programmatisch, nun gab es zu jedem Zyklus ein Motto. Und er führte 2009 die Klassik-Open-Air-Konzerte im Klenzepark ein - inzwischen sind sie das Aushängeschild der Konzertreihe. 2007 wurde auf Initiative von Sebastian Wieser die Audi-Jugendchorakademie gegründet. Begeistert von dem wirklich hervorragenden Vokalensemble nahm sich sehr bald auf Vermittlung des damaligen Produktionsvorstands Frank Dreves Kent Nagano des Chores an. Mitte der 90er-Jahre bekam der Dirigent sogar ein eigenes Festival im Rahmen der Sommerkonzerte: das Vorsprungfestival. Tatsächlich verlor das Musikfest im Laufe der 2010er-Jahre jedoch ein wenig an Glanz. Die Anzahl der Konzerte ging zurück, genauso wie die Besucherzahlen.

Wenn Steffen Müller heute die Sommerkonzerte betrachtet, dann hält er Rumpfs Konzept immer noch für schlüssig. "Motto und programmatische Schärfung führen immer auch zu einer Konzentration auf die Kenner und schließen die Liebhaber aus", sagt er. "Aber Lisa Batiashvili ist eine große Chance für die Sommerkonzerte. " Er kennt die Geigerin seit sie zwölf Jahre alt ist.

Die gebürtige Georgierin versucht zusammen mit der Kulturmanagerin Sarah Braun einen Neustart der Sommerkonzerte, die im vergangenen Jahr so frisch und innovativ wirkten wie schon seit Rumpfs Zeiten nicht mehr. Die Corona-Krise begreift die neue Leitung als Chance, etwas völlig Neues auszuprobieren. Das Publikum darf gespannt sein.

DK


Informationen zu den Sommerkonzerten: www. sommerkonzerte,de.