Ingolstadt
Gelebtes Miteinander, ansteckende Begeisterung

Integrativ, international, inklusiv: 80 Jugendliche führen "So ein Tsirkus" im Festsaal in Ingolstadt auf

01.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:36 Uhr
Und los geht's: Regisseur und Choreograf Georg Sosani ist so etwas wie der Zirkusdirektor. Hier bei einer der Proben in der Fronte. −Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Was ist bitte ein Schlappophon? Und wie gelingt es, als blutiger Anfänger auf der Bühne des Festsaals schwungvoll zu tanzen oder akrobatisch herumzuwirbeln? Und wie gelingt es überhaupt, 80 Jugendliche aus Ingolstadt und den Partnerstädten, die sich nicht kennen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die unterschiedliche Schularten besuchen und aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen kommen, zu einem großen Team zusammenzuführen? Wie schafft es jeder einzelne? Und wie schaffen es alle gemeinsam?

Die Antwort lautet "So ein Tsirkus". Und so viel vorneweg: Das Bewegungstheater - das sich mit der Zirkuswelt vor und hinter dem Vorhang, mit den unterschiedlichen Perspektiven zwischen öffentlich und privat, der Showseite und den Mühen und vielleicht auch Pannen hinter den Kulissen beschäftigt und morgen Premiere im Festsaal in Ingolstadt feiert - ist schon jetzt ein Erfolg. Der sich jedoch nicht in noch so viel Applaus oder noch so vielen verkauften Eintrittskarten messen lässt. Der Weg ist das Ziel bei diesem besonderen Projekt.
 

Die Mädchen und Jungen haben sich über Monate kennengelernt, haben Freundschaften schlossen, haben neue Seiten an sich entdeckt, haben sich ausprobiert, neue Talente entwickelt und sind zu einer Einheit zusammengewachsen. Es geht konzentriert um Mut und Kommunikation, um Gemeinschaft und Skepsis, um Berührungsängste und Annäherung, um Körpergefühl und Selbstbewusstsein, um Disziplin und Kontiunität. Und nicht zu vergessen: um Spaß und Freude an Bewegung und Musik, die die Jugendlichen überzeugend und mit viel Elan und Dynamik sichtbar machen.

"Die meisten wären sich wahrscheinlich nie begegnet" sagt Wolfgang Bittlmayer und meint dabei auch den Jungen aus der Partnerstadt Györ und den Flüchtling aus Afghanistan, das Mädchen aus Cararra und ein Jugendlicher mit Lernschwäche, aber auch den Gymnasiasten und den Audi-Azubi aus Ingolstadt. Für den 40-Jährigen, der Koordinator des Jugendkultursommers ist und Soziale Arbeit studiert, ist das "kollektive Miteinander" ein Türöffner. Ein Projekt mit vielen Optionen und Chancen.
 

Der Eichstätter ist einer von vielen, einer aus dem großen unermüdlich tätigen Veranstaltungs- und Organisationsteam. Unmöglich, alle zu nennen, die zum Gelingen dieses Projekts beitragen: von der Sponsorensuche bis zur Obstverteilung in den Pausen, vom Kostümnähen bis zur Begleitung der Jugendlichen aus den Partnerstädten.

Zum 13. Mal veranstaltet die Ingolstädter Stiftung "Jugend fragt" dieses bemerkenswerte und engagierte Projekt, für das sie sich zur Premiere 2006 vom Education-Projekt und dem gleichnamigen Film "Rhythm is it! ? der Berliner Philharmoniker mit Dirigent Sir Simon Rattle inspirieren ließ. "Wir sind integrativ, international und inklusiv", sagt Gudrun Rihl, stellvertretende Vorsitzende.

Seit Februar haben sich Schülerinnen und Schüler der Sir-William-Herschel-Mittelschule, der Gotthold-Ephraim-Lessing-Mittelschule, der August-Horch-Mittelschule, des Caritas-Zentrums St. Vinzenz, des Christoph-Scheiner-Gymnasiums, der Gnadenthal-Mädchenrealschule, der Gebrüder-Asam-Mittelschule sowie Auszubildende von Audi immer wieder mit Bühnenprofis getroffen. Dabei auch der Zirkuspädagoge Wolfgang Claus. Und eine Studierende des neuen Masterstudiengangs "Inklusive Musikpädagogik/Community-Music" an der KU Eichstätt-Ingolstadt, die die Produktion begleitet. Sie waren ein paar Tage gemeinsam im Landschulheim. Intensivkurs Theaterarbeit. Vor zwei Wochen reisten die Jugendlichen aus den Partnerstädten, Opole, Murska Sobota, Györ, Kragujevac und Carrara an. Und seitdem proben alle gemeinsam täglich mehrere Stunden in der Fronte in Ingolstadt.

Da geht es kunterbunt, entspannt, chaotisch, geordnet zu. Je nachdem. Ein paar Mädchen studieren mit den Choregrafinnen Thea Sosani und Julia Koderer ihre Auftritte ein, andere jonglieren, andere musizieren, andere schauen zu, warten auf ihren Einsatz. Die 15-Jährige Natascha, die das Caritas-Zentrum St. Vinzenz besucht, beobachtet das Geschehen aufmerksam. Sie selbst steht in der ersten Szene auf der Bühne, beim Aufbau des Zirkus. "Es macht viel Spaß", sagt die 15-Jährige und teilt die Begeisterung mit ihrem Schulkameraden Kevin. Der 13. Jährige hat so viel Freude daran, dass er später einmal Schauspieler werden will.

Eine natürlichen Autorität strahlt Georg Sosani, Regisseur und Choreograf aus Regensburg, aus. Die Jugendlichen mögen ihn, lachen mit ihm, reden, aber haben auch Respekt. Wenn Sosani sagt: Es geht los. Dann tut es das auch. Und da müssen auch Tarik und Naseer zur Gruppe eilen. Tarik ist aus Syrien, Naseer aus Afghanistan geflohen. Beide erzählen von der Freude an der Akrobatik im Stück und von neuen Freunden.

Georg Sosani hat das Stück entscheidend entwickelt. Das Thema "Zirkus" war eine Vorgabe der "Aktion Mensch", die das Projekt maßgeblich fördert, außerdem gibt es Unterstützung vom EU-Förderprogramm "Erasmus Plus" und der Stadt Ingolstadt. Sosani ist es wichtig, die Jugendlichen zu motivieren, sie zu begeistern, sie mitzunehmen und zu fördern. Aber er fordert auch Professionalität ein. "Nur dann macht es Sinn, wenn man es ernsthaft angeht."

Zu jedem Zirkus gehört auch Musik. Heinz Grobmeier und Helmut Kaiser haben diesen Part übernommen, eigene Stücke komponiert und mit Jugendlichen die zuvor noch kein Instrument in Händen gehalten haben, eine Zirkus-Kapelle formiert. Großartig! Da kommen Basstrommeln, Caxixi, Vibraslap, Kleinpercussion, Glocken und das Schlappophon - ein abwerwitziges Instrument Marke Grobmeier aus Abflussrohren zum Einsatz. Grobmeier freut sich, "dass ich die Jugendlichen trotz des Altersunterschieds mit dieser Musik mitreißen kann". Und dass er drei Talente am Schlagzeug entdeckt hat. "Die müssen unbedingt weiter machen. "

Auf einer Bank in der Fronte mit Blick auf das Zirkusgeschehen sitzt Enrica Mussi, Lehrerin aus Carrara. Sie schätzt dieses kulturelle, soziale und gesellschaftlich wichtige Projekt sehr. "Die Kinder haben hier einzigartige Erlebnisse, können ganz neue Erfahrungen machen. " Es sei motivierend und bereichernd, mit Jugendlichen aus anderen Ländern etwas zu erarbeiten. "Es ist auch eine europäische Erfahrung."

4. Juli um 19.30 und 6. Juli um 19 Uhr im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. Karten in der DK-Geschäftsstelle und im Ticketservice am Westpark. Es gibt zwei Schülervorstellungen. Danach geht es nach Murska Sobota.
 

 

Katrin Fehr