Ingolstadt
Gediegene Orchesterkultur

Das Radio Sinfonieorchester Bratislava und der Geiger Noé Inui gastieren beim Konzertverein Ingolstadt

07.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:21 Uhr
Präzise Leidenschaft: Noé Inui ist Solist beim Dvo?ák-Violinkonzert, Dirigent ist Gudni Emilsson. −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Es ist zweifellos verdienstvoll, dass der Konzertverein Ingolstadt in den vergangenen Jahren immer wieder bemerkenswerte Orchester aus Osteuropa eingeladen hat, die international fast völlig unbekannt sind und doch durchaus auf hohem Niveau spielen.

Dazu zählt etwa das Staatliche Symphonieorchester Russland, die Slowakische Philharmonie oder die Philharmonie Kiew. Und sicher auch das 1929 gegründete Radio Sinfonieorchester Bratislava, das Mittwochabend im Ingolstädter Theaterfestsaal gastierte.

Das Orchester eröffnete das Konzert mit Ludwig van Beethovens "Coriolan-Ouvertüre" und zeigte dabei gleich, was für vorzügliche Musiker in seinen Reihen sitzen. Straff und erschütternd der Anfang des Werks mit dem langanhaltenden Streicherunisono, das durch einen abgerissenen Tuttischlag abrupt beendet wird. Dirigent Gudni Emilsson leitete dann geschickt über zu dem unruhigen, sich allmählich steigernden zweiten Thema: das Porträt des Feldherrn als wechselhaften, cholerischen Charakter.

So präzise die Musiker spielten, so rund Horn und Streicher auch klangen: Ganz überzeugen konnte die Beethoven-Darstellung nicht. Allzu sehr setzte der Isländer Emilsson auf eine rhythmisch akkurate Darstellung und verhinderte damit, dass die Musik wirklich zu fließen, zu atmen beginnt. Er dirigierte, als wenn er befürchten müsste, dass die Musiker ohne seine klaren Taktschläge den roten Faden verlieren würden. Aber das Orchester spielte viel zu souverän, als dass man sich solche Sorgen hätte machen müssen.

Unter dieser allzu gediegenen Machart litten leider auch die beiden anderen Werke des Abends, das Violinkonzert von Antonín Dvo? ák und die 6. Sinfonie von Peter Tschaikowsky. Beim Violinkonzert führte die etwas behäbige und allzu gründliche Gangart Emilssons besonders dazu, dass der folkloristische Schwung dieses von der slawischen Volksmusik beeinflussten Werks nicht so richtig sich entwickeln wollte. Diesem Trend konnte auch der junge Geiger Noé Inui kaum entgegentreten. Er gestaltete das gewaltige Konzert mit großem, strahlendem Ton, der sich mächtig gegen die Energieentladungen des Sinfonieorchesters stemmen konnte. Auch technisch beherrschte der Belgier sein Instrument stupend, selbst in den höchsten Lagen griff er perfekt sauber. Aber der Ton Inuis blieb doch immer wieder zu monoton, zu wenig modulierend für dieses überlange Werk. Erst im Schlusssatz brachte er die gewitzten Melodien plötzlich zum Schwingen, steigerte er sich in den atemberaubenden Schwung dieser Musik herein.

Für den freundlichen Beifall des Publikums bedankte sich der junge Belgier mit der Sarabande aus Johann Sebastian Bachs d-Moll-Partita für Solovioline - eine Darstellung, die überraschte und aufhorchen ließ. Denn Inui vermied jeden vibrato-warmen Schönklang, ließ die Akkorde eisig ausklingen, den Bogen fast resignativ kratzend auf die Saiten fallen und entwickelte in den wenigen Takten so eine winterlich-melancholische Stimmung, der man sich kaum entziehen konnte. Das war mit beängstigender Intensität gespielt und vielleicht der magischste Augenblick des Konzertabends.

Diese verstörend traurige Musik passte auch vorzüglich zur Überleitung (vom c-Moll des Beethovens über das a-Moll des Dvo? ák-Konzerts) hin zur requiemartigen "Pathetique"-Sinfonie Tschaikowskys in h-Moll. So hervorragend auch hier das Orchester technisch agierte, so klar die Hörner und die übrigen Blechbläser spielten, so überzeugend die Streicher ihren samtweichen Streicherglanz produzierten - leider übertrug sich die existenzielle Unbedingtheit dieser Musik nur unzureichend, zumindest in den ersten beiden Sätzen: Zu wenig geheimnisvoll geriet die langsame Einleitung des Kopfsatzes, zu zurückhaltend die ersten Forzati, zu wenig drängend der Aufbau des schnellen Teils. Erst im dritten Satz legte Gudni Emilsson alle Zurückhaltung ab, forderte vom Orchester größten Einsatz, stürmte mit unbändiger, verzweifelter Leidenschaft durch die Partitur. Um dann im Finale, im "Adagio lamento", alle Register depressiv-düsterer Klangmalerei zu ziehen, bis die Sinfonien in den tiefsten Lagen so ausklang, als wäre es der letzte Atemzug eines Sterbenden.

Jesko Schulze-Reimpell