Für Körper und Kopf

Die Münchner Villa Stuck wird zum Fitnesscenter

14.09.2020 | Stand 14.07.2023, 14:24 Uhr
Besucher der Ausstellung "Thierry Geoffroy. The Awareness Muscle Training Center" können an den bereitgestellten Fitnessgeräten trainieren, während sie sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. −Foto: Jann Averwerser, Villa Stuck

München - Wer wünscht sich nicht ein solches Fitnesscenter, wo Abstand gewahrt, Licht und Luft ausreichend vorhanden sind und die futuristisch gestalteten Foltergeräte in gleißendem Edelstahl zur Benutzung animieren?

Nicht nur eine Verlockung für den Körper, auch das Auge kommt auf seine Kosten, stehen Windmaschine und Ruderanlage, Rad und Punching-Man doch auf edlen gewebten Teppichen, schweift der Blick über bunte Tapisserien mit witzigen Strichmännchen, bewegte Neonarbeiten und interessante Plexiglasbilder. Dazu satter Pop-Sound auf Knopfdruck. Es ist eine "Ausstellung in Bewegung", welche unter dem Titel "The awareness muscle training center" als experimentelles Format eigens für das Museum Villa Stuck entstanden ist.

Doch Halt - der schöne Schein des ersten Blicks trügt gewaltig, denn Künstler Thierry Geoffroy/Colonel (Jahrgang 1961), gebürtiger Franzose, der heute in Kopenhagen lebt und weltweit mit seinen Interventionen unterwegs ist, hat hohen politischen Anspruch. An sich, seine Werke und die Besucher des Projekts, die sich möglichst interaktiv einbringen sollen. Bei Schweiß treibenden Trainingseinheiten befragen er und seine Coaches die Mutigen, die sich mit Mundschutz, Handschuhen und natürlich in normaler Kleidung an die sportliche Ertüchtigung wagen, zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen wie Demokratie, Digitalisierung, Di- versität, aber auch sehr persönlichen Problemen wie Angst. Da sind Körper und Kopf gleichermaßen gefordert!

Doch das ist noch nicht alles. Die Wandteppiche fordern vom Delinquenten mit Befehlen wie "Wake up", "Be strong", "Push back the propaganda", "Lift your responsability", durchaus doppeldeutig Aktivität und Reflexion, sie animieren aber auch zum Gebrauch zweier nicht existenter Muskeln: für Empathie- und Bewusstheit. Die Teppiche, auf denen die Geräte stehen, erinnern an die Konsequenzen des Klimawandels mit Feuersbrünsten und Wirbelstürmen. An den Rudergeräten wird man gar mit Aufnahmen ertrinkender Flüchtlinge konfrontiert.

Während der Künstler für die Ausstellungsdauer im 1. Obergeschoss des Atelierbaus sein Headquarter bezogen hat, in welchem er täglich auf Zeitungs-Headlines reagiert, wie zum Beispiel bei einer über die Maskenpflicht im kommenden Schuljahr, welche er mit der Frage nach der Situation im vergessenen Jemen überschreibt, gelangt man eine Etage höher in den runden "Energy room". Dort laufen sie - weltweit, auf 40 Monitoren und dabei interviewt zu Fragen zwischen Globalisierung, Rassismus und Lifestyle - ein Projekt namens "Critical run", das Thierry Geoffroy seit 20 Jahren verfolgt.

Barbara Reitter/DK


Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, bis 20. September, Di- So 11-18 Uhr. 
 

Barbara Reitter