Ingolstadt
Früh gereift

Saisonausklang des Konzertvereins: Jean-Paul Gasparian spielt Werke von Ravel, Brahms und Chopin

18.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:17 Uhr
Französischer Shootingstar: Jean-Paul Gasparian sprang am Donnerstagabend für den erkrankten Pianisten Till Fellner ein. Er spielte beim Konzertverein im Ingolstädter Festsaal. −Foto: Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Ersatz für einen erkrankten Künstler zu finden, ist immer heikel. So sollte der Einspringer möglichst von ähnlichem Format sein, um das Publikum nicht zu enttäuschen. Jean-Paul Gasparian, der beim Konzertverein am Donnerstagabend den Pianisten Till Fellner ersetzte, ist sicher ein Pianist ganz anderer Art. Und er trägt auch ein anderes Repertoire vor als sein österreichischer Kollege.

Und doch - in einem Punkt ähneln sich Fellner und Gasparian überaus: Sie sind beide hochseriöse Musiker. Klaviervirtuosen, die niemals die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten würden, die immer der Musik dienen wollen. Gasparian spielt so abgeklärt, vernünftig und reif, so jenseits aller virtuoseren Effekthascherei und billigen Mätzchen, dass man manchmal vergessen könnte, einen erst 22-jährigen Künstler vor sich zu haben.

Das beginnt bereits bei der Konzerteröffnung, Gasparian hat die "Valse nobles et sentimentales" von Maurice Ravel aufs Programm gesetzt. Die Stücke sind eher in der Orchesterfassung bekannt. Und so spielt Gasparian die kleinen Tanzstücke auch: füllig, symphonisch, mit großer Dynamik, die einzelnen Stimmen analytisch durchleuchtend. Dabei begreift er den Impressionisten eher als Spätromantiker denn als Vorbote der Moderne. Er spielt mit viel Rubato, sein Anschlag ist weich und schön, das Pedal ist fast immer im Einsatz. So entsteht ein flirrender Klangkosmos, in dem sich Reminiszenzen an Walzer von Schubert, Chopin und anderen romantischen Komponisten mit viel Eleganz spiegeln.

Ziemlich ähnlich geht Gasparian dann auch die beiden anderen Komponisten des Abends an. Sein romantischer Ansatz ist bei den Fantasien op. 116 von Johannes Brahms durchaus passend. Allerdings klingt das Spätwerk bei ihm ein wenig weichgespült, der übermäßige Gebrauch des rechten Pedals lässt Konturen verschwimmen, der herbe, sperrige norddeutsche Brahmsklang ist hier nicht zu finden. Dennoch gibt es in Gasparians Deutung viele spannende Details zu entdecken. Und er hat den Mut, die vier Intermezzi äußerst subtil, leise und innig zu spielen, fast so, als seien sie gar nicht für einen so großen Konzertsaal wie den Ingolstädter Festsaal bestimmt. Das alles ist äußerst kalkuliert vorgetragen, und sogar das stürmische Capriccio d-Moll am Ende des Zyklus' wirkt mehr geschickt inszeniert als wirklich wild.

Fast verblüfft es, dass Gasparian immer wieder mit einem Tuch sehr sorgfältig die Klaviertastatur abwischt. Kann eine so verhaltene Spielweise überhaupt Schweißspuren hinterlassen? Es gibt am ganzen Abend keinen Augenblick, an dem sich der junge Franzose wirklich psychisch und physisch völlig verausgabt hätte, an denen er versuchen würde, irgendwelche Grenzen auszutesten.

Gerade den Balladen von Chopin tut ein solcher Ansatz nicht unbedingt gut. Die vier Stücke sind voller verhaltener, warmer, intimer Passagen. Allerdings kontrastieren diese Abschnitte immer wieder mit fulminantem pianistischen Sturm, der eigentlich staunenerregend, donnernd und grandios gespielt werden sollte.

Aber Gasparian wagt zu wenig, geht trotz seiner beachtlichen manuellen Fähigkeiten kein Risiko ein und nimmt so fast immer etwas bedächtigere Tempi als viele seiner berühmten Kollegen (Horowitz, Rubinstein, Argerich). Ein pianistischer Wirbelwind entfaltet sich allenfalls bei der letzten Ballade in f-Moll. Für den sehr freundlichen Beifall bedankt sich der Künstler mit Werken, die ihm offenbar am besten liegen: zwei delikat schimmernde Nocturnes von Chopin. Schöner kann die Konzertsaison des Konzertvereins kaum ausklingen.
 

Jesko Schulze-Reimpell