"Fredegunda" als barocker Horrortrip

13.02.2007 | Stand 03.12.2020, 7:03 Uhr

München (DK) Wer kennt heutzutage noch den Komponisten Reinhard Keiser (1674–1739)? Rund 70 Opern soll er geschrieben haben mit solch unterschiedlichen Themen wie über den Aufstand der neapolitanischen Fischer gegen die Stadthonoratioren im Mittelalter oder den Selbstmord einer Königin aus plebejischer Herkunft. Größtenteils in Hamburg erlebten diese gar schröcklichen Historiengemälde als musikalische Schmachtfetzen voll überbordender Dramatik ihre umjubelten Uraufführungen – um bald vergessen zu werden.

So auch Keisers köstlich abstruses Seelengemetzel "Fredegunda", das sich immerhin von 1715 bis 1738 im Hamburger Theater am Gänsemarkt tapfer im Repertoire hielt. Für Schräges und unkonventionelle Neuentdeckungen ist die Bayerische Theaterakademie schon immer erste Adresse. Weshalb Klaus Zehelein, ehemaliger Stuttgarter Operndirektor und seit Beginn dieser Spielzeit Chef im Prinzregententheater, seinen Zögling Tilman Knabe beauftragte, Reinhard Keisers "Fredegunda" in Szene zu setzen. Und als ehemaliger Theologiestudent wusste Knabe natürlich, wie solch eine Story zwischen wüsten Liebesgelüsten und brutalem politischen Machtkampf zu inszenieren ist: als kompletter Auszug aus dem Strafgesetzbuch. Diebstahl und Brandstiftung, Körperverletzung und Sachbeschädigung, räuberische Erpressung und Nötigung, Unzucht mit Abhängigen, Vergewaltigung, Mord, Totschlag und andere Untaten mehr sind denn auch die breit ausgewalzten und drastisch gezeigten Bestandteile dieser Aufführung. Als Tollhaus aus dem heutigen halbseidenen Milieu hat Tilman Knabe dieses brave Barockstückerl zum Psycho-Horror-Schocker umfunktioniert und auf die Bühne des Prinzregententheaters geknallt. Eine aberwitzige Melange aus Sex und Brutalität in einem aus Holzpfosten bestehenden modernen Königscamp voll Plunder und Talmiglanz (Bühnebild: Wilfried Buchholz) zur Musik voll instrumentaler Virtuosität und barocker Geschmeidigkeit. Ein Kontrast, der trotz mancher Regiemätzchen und einiger sexueller Peinlichkeiten fasziniert.

Zeigte sich das Premierenpublikum über einige pralle Szenen der Triebabfuhr und der Brutalitäten bisweilen ebenso schockiert wie über einige Trivialitäten amüsiert, so jubelte es mit Recht der mit Emphase spielenden Neuen Hofkapelle München unter der ebenso mitreißenden wie geradezu balsamisch-unaufgeregten musikalischen Leitung des Dirigenten Christoph Hammer zu. Mögen manche sängerischen Leistungen unter der Premierennervosität gelitten haben, so zeigten die Absolventen, vor allem jedoch die Absolventinnen des Studienganges Oper der Bayerischen Theaterakademie großartige Leistungen. Allen voran Dora Pavlikova mit einer herrlich hochdramatischen Sopranstimme in der Titelpartie der Mätresse Fredegunda, die von Chilperich, dem König der Westfranken (Tomi Wendt) trotz aller Widrigkeiten ein Kind bekommt, das dereinst die Welt beherrschen wird. Doch dieser royalistische Macho muss aus Staatsraison die westgotische Prinzessin Galsuinde (Bianca Koch mit wunderschöner Sopranstimme) heiraten.

Am Ende Jubel für das Orchester, den Dirigenten und das Sängerensemble, kernige Buhs und Ovationen für den Regisseur.

Weitere Aufführungen am 14., 21. und 25. Februar; Kartentelefon: (0 89) 21 85 19 70.