München
Frauenkunst in Stereo

Werke von Katharina Gaenssler und Brigitte Schwacke in München

16.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:01 Uhr
Joachim Goetz
Installationsansicht "Stereo", Katharina Gaenssler und Brigitte Schwacke, Bayerische Akademie der Schönen Künste. −Foto: Goetz

München (DK) Häkelarbeiten, Tapisserien, eigens entworfenes Tapetendekor, ein formschön eingerichteter Raum? Zeigt die Bayerische Akademie der Schönen Künste am Münchner Max-Joseph-Platz Frauenkunst? Hört sich danach an, sieht aber nicht so aus. Denn Katharina Gaenssler und Brigitte Schwacke ziehen in ihrer Doppelausstellung mit dem Titel "Stereo" unerwartete Register.

Gehäkelt wird mit sperrigem Draht. Die Tapisserie zeigt die kalte, graue Bauhaus-Treppe. Der Tapetendekor resultiert aus der Fotografie eines Bombeneinschlags in die Münchner Residenz von 1944. Die beiden Künstlerinnen sind seit 2017 sogenannte ordentliche Mitglieder der Akademie - ein Anlass der Ausstellung. Sie arbeiten auch schon miteinander. Beide setzen sich mit Raum auseinander, gehen aber unterschiedlich an die Kunst heran. Schwacke, die 1957 in Marl geboren wurde und in München Meisterschülerin von Eduardo Paolozzi war, zeichnet im Raum, knotet mit dünnen legierten Drähten die äußeren Umrisse von Objekten. So entstehen dreidimensionale Skizzen. Sie beginnen irgendwo im Äther, verdichten sich zu Körpern und verlieren sich wieder. Innen und Außen bleiben vage und wenig definiert. Masse sucht man vergebens. Die Plastiken scheinen zu schweben, werden luftig, leicht - aus Materie wird Idee. Das erinnert an unsichtbare, mikroskopisch kleine Vorgänge im Körper - oder auch an Überdimensionales im Universum. Schwacke nennt die Installation im Mittelsaal der Akademie, "Hirayama Family": die Gruppe der namensgebenden Asteroiden gleitet in einer unveränderlichen Familien-Konstellation seit Jahrmillionen durchs All. Entrückte Welt.

Katharina Gaenssler aus München, geboren 1974, war bislang hauptsächlich fotografisch tätig - was auch das im sogenannten Ovalsaal ausgebreitete, über zehn Meter lange Leporello "Bauhaus Staircase" beweist. 10177 Fotos wurden für die gleichnamige, 2015 im New Yorker Museum of Modern Arts (MoMA) gezeigte Installation angelegt. Für ihr Bildarchiv fotografierte Gaenssler das Treppenhaus im Bauhaus in Dessau (1926), das "im Geiste des International Style" entworfene "Bauhaus Staircase" im MoMA sowie zwei Gemälde mit dem Titel "Bauhaus Stairway", eines von Oskar Schlemmer von 1932, eines von Roy Lichtenstein von 1988. Aus diesem Konvolut an Fotografien schafft Gaenssler ortsspezifisch konzipierte wandflächengroße Fotoinstallationen, die an die Wände des Ausstellungsraums geklebt werden und kaleidoskopartige Raumansichten darstellen. Parallel dazu entstehen Buchobjekte mit dem gesamten Material. Das gilt für alle ihre Arbeiten.

Im Anschluss ans MoMA-Projekt entstand 2016 auch die digital gewebte Bildmontage, die Tapisserie, die nun im Foyer der Bayerischen Akademie der Schönen Künste platziert ist und Zwiesprache mit Schwackes Werkgruppe "Wahlverwandschaften" (2019) hält, die mit Elektronik spielen. Schwacke übersetzt die Biografien ihr wichtiger Menschen in den Binärcode aus Nullen und Einsen. Wie sie das genau macht, bleibt ihr Geheimnis. Mit Tusche überträgt sie diese Zeichenfolgen auf schweres Büttenpapier - und bringt sie so wieder in analoge Form. Die sich nicht rückübersetzen oder dechiffrieren lässt. Entstanden sind geheimnisvolle Zeichentafeln, die an fernöstliche Kalligrafien erinnern oder unbekannte Kulturen.

Für die rund um Gaensslers Buchprojekte präsentierte Arbeit "DIN A4" ließ Schwacke nach strengen Regeln Rechtecke aus Draht häkeln. Verblüffendes Ergebnis: Fast topflappenähnliche, regelmäßige Kompositionen sind dabei, aber auch völlig raumgreifende, unregelmäßige, verzerrte. Auch so kann sich Individualität Ausdruck verschaffen. Im letzten Raum ist wieder Gaenssler dran. Sie entwickelte einen Rapport aus einer Fotografie, die das Bombenloch im Ovalsaal zeigt. Ein verbogenes Stück Blech inspirierte sie zu dem frischen grün-rosa Muster, das als Tapete den etwas anders möblierten Mitgliedersaal in eine fast jugendliche, auf jeden Fall eindrucksvolle Atmosphäre taucht.

Klar, so unterschiedliche künstlerische Positionen ergänzen sich. Aber "Stereo"? Egal. Die Künste der beiden funktionieren auch alleine - Mono.

Noch bis 25. Oktober. Mo bis Fr 11 bis 16 Uhr, Eintritt frei.
 

Joachim Goetz