Ingolstadt
"Flötenunterricht kann schon traumatisch sein"

Dorothee Oberlinger über die Klassikkrise und ihr Instrument - Die Virtuosin gastiert morgen beim Konzertverein Ingolstadt

19.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:12 Uhr
Dorothee Oberlinger: "Die Kinder sind meist Feuer und Flamme, wenn es um Musik geht. Ich glaube, man muss keine Angst haben, dass die Konzerthäuser irgendwann leer bleiben." −Foto: privat

Ingolstadt (DK) Wenn es um die Blockflöte geht, ist keine Künstlerin so berühmt wie Dorothee Oberlinger.

Nun gastiert die Professorin am Mozarteum Salzburg mit dem Barock-Ensembel L'arte del Mondo beim Konzertverein Ingolstadt. Im Interview erzählt die Virtuosin, seit wann sie sich für ihr Instrument begeistert und wie sie jungen Leuten Musik vermittelt.

Frau Oberlinger, haben Sie jemals überlegt, ein richtiges Instrument zu lernen?
Dorothee Oberlinger: Die Blockflöte gilt für manche noch immer als eine Art Durchgangsstadium zu einem anderen Instrument und Teil einer Grundausbildung. Das ist für die Kinder gut, die Freude am Flötespielen haben und denen das Instrument auch liegt. Aber die Blockflöte ist natürlich auch ein "richtiges" Konzertinstrument, das man an fast jeder Musikhochschule im Konzertfach ausgiebig studieren kann. Man kann wie ich dabei bleiben und sein Spiel immer weiter verfeinern. Einfach zu spielen ist die Blockflöte allerdings nicht, wenn man sie wirklich gut spielen will. Man lernt sein Leben lang nicht aus. . .

Wie war denn das bei Ihnen?
Oberlinger: Ich habe sehr viele Instrumente gelernt. Die Flöte war das erste, dann kam das Cello dazu. Ich habe im Kirchenchor gesungen, seit ich sechs Jahre alt war. Und ich habe Cembalo, Klavier, Gitarre gespielt. Ich bin in einem sehr musikalischen Elternhaus groß geworden, mein Vater war Pfarrer. So konnte ich in der Kirche musizieren. Die Flöte war aber das Instrument, das mir am meisten am Herzen lag. Da musste niemand sagen "üb' doch mal". Ich hab's einfach gemacht. Man musste mich eher dazu zwingen, mal aufzuhören.

Wie wichtig ist es für Sie, dass Sie in einem Pfarrhaushalt groß geworden sind?
Oberlinger: Es gibt daher eine gewisse Verbindung mit Alter Musik. Mit Bach oder Händel bin ich früh in Berührung gekommen. Ich muss heute noch sagen, wenn ich Bachs Musik höre: Da spricht sich ein großer Glaube aus. Eine Zuversicht, man spürt, dass man aufgehoben ist.
Fühlen Sie sich mit Ihrem Instrument benachteiligt?
Oberlinger: Überhaupt nicht. Wenn die Leute in meine Konzerte gehen, kommt ganz häufig eine verblüffte Reaktion. Sie sagen: "Das hätte ich nicht gedacht, dass man das aus diesem Instrument herausholen kann. " Das empfinde ich eher als Vorteil. Bei der Geige weiß man ja, was für einen tollen Klang sie hat. Ich tue natürlich immer wieder etwas für das Image des Instruments. Es ist natürlich so, dass, wenn Leute die Flöte schlecht angeleitet kennenlernen, vielleicht auch noch mit einer Plastikflöte in einem großen Klassenverband, dann kann das schon traumatisch sein. Wenn eine Klasse mit Plastikgeigen unangeleitet spielt, dann ist der Effekt bestimmt auch nicht besser.

Was finden Sie denn faszinierend an der Blockflöte?
Oberlinger: Sie ist sehr einfach aufgebaut, hat keine Klappen, kein Rohrblatt. Sie ist wie bei manchen ethnischen Instrumenten eine Art Verlängerung der Luftröhre. Ich kann direkt den Klang formen. Man hört sofort, wenn mich irgendetwas an dem Tag geärgert hat. Das ist fast wie bei Sängern. Was mich auch fasziniert, ist die barocke Kammermusik, in der sich wie in einem Mikrokosmos das abspielt, was sonst auf der Opernbühne geschieht. Eine sehr rhetorische Musik. Und dann ist man ganz am Puls der Zeit, wenn man mit zeitgenössischen Komponisten zusammenarbeitet. Das Wunderbare ist, dass man vom Mittelalter bis zur Gegenwart Musik spielen kann, wobei es natürlich eine Lücke in der Klassik und in der Zeit der Romantik gibt.

Was bedeutet Ihnen der Begriff Virtuosität?
Oberlinger: Ich finde es enttäuschend, wenn der Begriff auf Fingerfertigkeit reduziert wird. Natürlich, das verblüfft das Publikum. Und die Flöte ist ein sehr schnelles Instrument. Aber der Begriff bedeutet viel mehr, es geht darum, mit allem virtuos umzugehen. Es gibt so viele Komponenten, mit denen man virtuos umgehen sollte. Mit den verschiedenen Klängen oder den verschiedenen Arten der Artikulation. Oder mit dem spontanen Agieren bzw. Reagieren im Ensemblespiel. Virtuos sollte man vor allem mental sein.

Zuletzt haben Sie nicht nur als Flötistin gewirkt, sondern auch als Dirigentin.
Oberlinger: Ich bin vor zwei Jahren mit einer eher unbekannten Oper von Händel gestartet. Mit einer Spezialistin für historische Mimik und Gestik haben wir es geschafft, dass sich Schauspielkunst und Musik im Sinne einer historisch informierten Aufführungspraxis gegenseitig ideal beflügeln. Diese Arbeit war für mich extrem überraschend. Ich habe ab diesem Jahr die Intendanz der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci übernommen und werde dort jährlich eine Opernproduktion selber leiten. Mit Texten zu arbeiten, ist für mich sehr erhellend, auch in der Übertragung auf die Instrumentalmusik.

Die klassische Musik, sagt man immer, ist in der Krise, sie findet zu wenig Zuspruch bei jungen Hörern?
Oberlinger (lacht): Ich komme gerade vom Kindergarten, und wir haben zusammen Martinslieder gesungen. Das ist das erste Experiment. Da kann man viel tun. Zum Beispiel wusste die Kindergärtnerin nicht, dass man alle Kinder erst einmal dazu bringen muss, eine Tonhöhe gemeinsam zu treffen. So brummelte oder schrie jeder in irgendeiner Lage oder auf einem Ton vor sich hin und man hörte statt einem Ton, 25 verschiedene Töne. Das Singen ist das Fundament aller Musik. Man muss den Kindern die Freude am Singen vermitteln, damit bekommen sie eine intuitive Vorstellung von Melodie und Rhythmus, auch vom gemeinsamen Musizieren. Ich bin auch Mitglied der Initiative "Rhapsody in School", die ja auch beim Konzertverein sehr aktiv ist. Da habe ich auch einmal bei einer Präsentation in einer Schule in Ingolstadt mitgewirkt. Die Kinder sind meist Feuer und Flamme, wenn es um Musik geht. Ich glaube, man muss keine Angst haben, dass die Konzerthäuser irgendwann leer bleiben. Natürlich sind es oft ältere Leute, die die Zeit und die Muße haben, ins Konzert zu gehen. Wenn man älter ist, sind die Kinder aus dem Haus, man hat die Möglichkeit sich anderen Interessen zuzuwenden. Aber von Krise würde ich nicht sprechen.

Sie spielen in Ingolstadt ausschließlich Barockmusik. Warum nicht mal etwas Modernes?
Oberlinger: Tue ich ja. Nächste Woche etwa gehe ich mit einem belgischen Ensemble auf Tour, da spiele ich nur moderne Musik. Es kommt auf den Kontext an. Mit dem Orchester L'arte del Mondo haben wir uns in Ingolstadt für ein wunderbares barockes Programm entschieden - was für mich irgendwie sehr modern ist. Man muss die Musik ja immer spielen, als wenn sie gerade aus der Feder gekommen ist. Damals war sie ja auch modern, ungewöhnlich, sogar schockierend. So ein Giuseppe Sammartini war erstaunlich fortschrittlich und empfindsam in seiner Tonsprache.

Warum haben Sie sich für dieses Programm entschieden?
Oberlinger: Es ist ein Kaleidoskop eines Barockprogramms, weil es sehr viele Farben und Affekte zeigt. Händel hat eine Blockflötensonate als Orgelkonzert umarrangiert - wir haben das dann für den Abend neu arrangiert und die Flöte schlüpft in die Rolle der Orgel. Und wir haben das Konzert "La Notte" mit im Gepäck, in dem Vivaldi mit seiner sehr bildmächtigen Sprache zu Wort kommt, ein echter barocker Hit!

Der Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.


Dorothee Oberlinger gastiert am morgigen Mittwoch, 20 Uhr, im Ingolstädter Festsaal. Karten gibt es in den DK-Geschäftsstellen und unter Telefon (0841) 8815798.