München
Ferngesteuerte Malmaschinen

Der Kunstbau im Münchner Lenbachhaus zeigt Werke unbekannter Künstlerinnen aus der Frühzeit der Abstraktion

11.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:22 Uhr
Joachim Goetz
Die Schau "Weltempfänger" gibt Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel der Moderne: Völlig unabhängig voneinander entwickelten Georgiana Houghton (1814-1884) in England, Hilma af Klint (1862-1944) in Schweden und Emma Kunz (1892-1963) in der Schweiz eine jeweils eigene abstrakte Bildsprache. Ihren Werken werden Filme von Harry Smith (1923-1991) und John (1917-1995) und James Whitney (1921-1982) an die Seite gestellt. −Foto: VSU, Anthology Film Archives, James Whitney

München (DK) Will man Übersinnliches sichtbar machen, kommt Abstraktes dabei raus. Gilt zumindest für die Bilder der drei Künstlerinnen Georgiana Houghton (1814-1884) aus England, Hilma af Klint (1862- 1944) aus Schweden und Emma Kunz (1892-1963) aus der Schweiz. Ihre teils wenig bekannten ?uvres zeigt das Münchner Lenbachhaus im Kunstbau unter dem Titel "Weltempfänger". Das sind übrigens Radiogeräte, die Kurzwellen empfangen können. Sie breiten sich von einem einzigen Sender über den gesamten Globus aus - weil sich die Wellen der Erdkrümmung anpassen. Für ihren Empfang benötigt man halt die entsprechende Antenne. So wie für das Transzendente.

Die drei Künstlerinnen sind sich zwar nie begegnet, hatten aber ähnliche Ziele. Alle drei wollten in ihren Arbeiten Naturgesetze, Geistiges, unsichtbare Energien sichtbar machen, die auf sie wirkten. Sie ließen sich davon durch nichts und niemanden abbringen. Künstlertum eben. So entstanden teils ausufernde ?uvres, die zwar den Betrachter faszinieren, die man aber auch nicht in allen Details auswendig lernen muss.

Ihre unterschiedlichen, charakteristischen, in der Schau gezeigten Arbeiten basieren auf spirituellen Erfahrungen und der Kommunikation mit einer höheren Kraft. Sie fühlten sich als Medien, als Empfängerinnen von Botschaften, die aus einer externen Quelle stammte, die nur sie hören konnten. Und: Sie transformierten das Erlebte in die Form von Bildern, gaben sozusagen das Künstlerego an der Ateliertür ab - und mutierten zu ferngesteuerten Malmaschinen.
Klar hat man das lange nicht für ganz ernst genommen - und auch nicht für so wahnsinnig kunstwürdig. Despektierlich wurde sogar von "Weiberkram" gesprochen.

Wenn etwa Georgiana Houghton eines ihrer kurvig-farbigen Linienbilder schuf, flüsterten ihr - nach eigenen Worten - bis zu hundert verschiedene Geister aus einer Parallelwelt ein, was sie malen sollte. Dabei entstanden schwimmende, schwebende, wolkige Kompositionen, aquarelliert mit feinen und feinsten Linien, die sich überlagern und Spiralen oder amorphe Volumen bilden.
Damit man die farbenprächtigen Schöpfungen besser erkennen kann, kriegt man beim Eintritt in die Schau eine kleine Lupe. Die Geister, mit denen sich Houghton um 1880 von Frederick Hudson aufnehmen ließ und die sehr an Bettuch-Gespenster erinnern, wird die Linse wohl nicht sichtbar machen.

Hilma af Klint gehörte zu den ersten akademisch ausgebildeten Malerinnen in Schweden. Sie interessierte sich nach dem frühen Tod ihrer Schwester für Spiritismus, nahm schon mit 17 an Séancen teil und trat 1888 der theosophischen Gesellschaft bei. Und fungierte in einem kleinen Zirkel als Medium. Dort praktizierte man - wie später die Surrealisten - das automatische Zeichnen und Schreiben.

Auch ihre erste Serie kleinformatiger abstrakter Bilder entstand schon 1906. Meist amorphe Gebilde wie aus ihrer Zeit gefallen. Zuvor schuf sie naturalistische Landschaften wie sie es gelernt hatte. 1908 besuchte Rudolf Steiner ihr Atelier - und kritisierte ihre medialen Inspirationen was zu einer vierjährigen Schaffenspause führte.

Dann kam der Auftrag von den Geistern: "Malereien für den Tempel" zu schaffen, der natürlich noch gar nicht gebaut war. 193 farbenfrohe überaus strenge Gemälde entstanden, die meisten davon abstrakt. Charakterisiert von kraftvollen geometrischen Formen: Kreise, Ringe, Pyramiden.

Für ihr zwischenzeitliches Vergessen in der Kunstgeschichte sorgte sie selbst. Zu Lebzeiten untersagte sie jede Ausstellung ihrer abstrakten Werke und verfügte, dass sie erst 20 Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden dürfen.

Die Schweizerin Emma Kunz nutzte ihre prophetische und telepathische Begabung zur Arbeit mit dem Pendel. Als Heilerin erforschte sie damit die Kraftströme der Erde, als Malerin erpendelte sie auf Millimeterpapier großformatige Kreationen, die etwas an feingliedrige Mandalas oder Meditationsbilder erinnern. Tatsächlich sind alle Bilder, die man wie einige Beispiele im Lenbachhaus zeigen horizontal präsentieren sollte, Handlungsanleitung für einen "Fall". Aufzeichnungen darüber verhinderte Kunz aber. Als Heilerin war sie übrigens so erfolgreich, dass man heute noch in Schweizer Apotheken die von ihr entdeckte Arznei kaufen kann.

Ergänzt werden die Bilder der drei Damen mit experimentellen Filmen von drei Herren, denen es ebenfalls um die Einheit verschiedener Sinneswahrnehmungen ging. Zu Harry Smiths abstrakten Filmen, die er als Partituren begriff, sollten Jazz-Musiker live improvisieren. Werkzeuge zur Meditation sollten James Whitneys psychedelisch inspirierte Filme sein, um Einsichten in kosmische Prinzipien zu ermöglichen. Während die technischen Apparaturen, die sein Bruder John entwickelte, mit dem Beginn der Computertechnologie verknüpft sind.

Warum sich das Lenbachhaus für das Ganze interessiert? Der Erfinder der Abstraktion Wassily Kandinsky gehört zu den wichtigsten Künstlern im Bestand des Hauses. Und für die die Zusammenhänge zwischen der Entstehung der Abstraktion in der frühen Moderne und okkulten oder esoterischen Ideen interessiert sich die forschende Kunstgeschichte schon länger.

Kunstbau im Münchner Lenbachhaus, bis 10. März 2019, Di 10 bis 20 Uhr, Mi bis So 10 bis 18 Uhr. Katalog Hirmer-Verlag, 32 Euro.
 

Joachim Goetz