Buchtipps von der Redaktion
Ferienzeit ist Lesezeit: Diese Bücher sollten in den Koffer

04.08.2021 | Stand 14.08.2021, 3:33 Uhr
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Ob Roman, Krimi oder Sachbuch - hier kommen Lektüretipps für jeden Geschmack, perfekte Begleiter für den Urlaub am Strand oder in der Stadt. Eine kleine Auswahl der Redaktion.

KALEIDOSKOP DER WELT

Hanna Hesse, Jörg Hülsmann: Über das Reisen, Ansichtskarten, Knesebeck, 352 Seiten, 25 Euro

Im ersten Corona-Jahr hat die ARD 40 Autorinnen und Autoren eingeladen, exklusiv über das, was neben vielem anderem gar nicht oder nur eingeschränkt möglich war, zu schreiben: das Reisen. Entstanden sind für das Radiofestival 2020 (nachzuhören unter www.swr.de/swr2/ard-radiofestival/) Fantasiereisen, erinnerte Reisen, Zukunftsreisen, Reisen in die eigene Vergangenheit. Mal mit, mal ohne Pandemie-Bezug. 25 der jeweils knapp 25 Minuten langen Hörstücke sind nun in der Anthologie "Ansichtskarten" vereint und bieten spannende, erhellende Ein- und Ausblicke. Kerstin Specht etwa schreibt über Vergangenes und Versäumtes, Lutz Seiler nimmt den Leser in "Exit" mit auf eine abenteuerliche Tour, einen "Ausbruch" nach Schweden Ende April, in der Hoch-Corona-Zeit. Terézia Mora hat eine poetische Geschichte über eine Reise von Österreich bis Ungarn verfasst, und Christoph Peters treibt in "Plastikkanister" die Sorge an und um, dass bei einer Fahrt durch die ägyptische Provinz das Benzin ausgehen könnte. Mit leichter Hand illustriert ist dieses Kaleidoskop der Welt von Jörg Hülsmann.

Katrin Fehr/DK

DAS ENDE EINER LIEBE

Anna Brüggemann: Trennungsroman,Ullstein, 416 Seiten, 20Euro

Man kennt Anna Brüggemann eigentlich aus dem Fernsehen - als Schauspielerin. Jetzt hat sie ihren ersten Roman vorgelegt: "Trennungsroman". Darin erzählt sie von Thomas und Eva. Sie leben in Berlin. Beide sind Anfang 30 und seit acht Jahren ein Paar. Sie arbeitet als Kunsthistorikerin, liebt ihren Job als Kuratorin im Museum, er ist Urologe im Krankenhaus und fühlt sich von seinem Chef gemobbt. Gerade ist Eva aus Paris zurückgekehrt, wohin sie ein zweijähriges Stipendium geführt hatte. Jetzt könnte es eigentlich wieder losgehen, ihr gemeinsames Leben. Vielleicht auch bald mit einem Kind. Doch irgendwas hat sich verändert. Es herrscht eine merkwürdige Distanz. Und Thomas scheint sich viel mehr für seine Kollegin zu interessieren als für Eva. Beide stehen vor der Frage: Lohnt es sich, um ihre Liebe zu kämpfen? Für den Leser ist von Anfang klar, worauf es hinausläuft, denn die Kapitelüberschriften funktionieren wie ein Countdown: noch 31, 20, 2 Tage bis zum Tag 0. Aber dann auch: 4 Minuten danach, 16 Stunden danach, 14 Wochen. Die Botschaft ist klar: Das Leben geht weiter. Auch ohne Happy End!

Anja Witzke/DK

EINE POP-ZEITREISE

Christoph Dallach: Future Sounds, Suhrkamp Verlag, 511 Seiten, 18 Euro

"Krautrock" war die zunächst despektierlich, später durchaus bewundernd gemeinte Wortschöpfung, die die Engländer Anfang der 70er Jahre für Popmusik "made in Germany" erfanden. Der Musikjournalist Christoph Dallach widmet sich dem Phänomen Krautrock, dessen Wesenskern (auch) darin bestand, die Wurzeln zu anglo-amerikanischen Traditionen komplett zu kappen, auf die denkbar unmittelbarste Weise: Er lässt in einer "Oral History"-Montage die Beteiligten erzählen - Irmin Schmidt, Holger Czukay und Jaki Liebezeit (Can), Michael Rother (Neu!), Karl Bartos (Kraftwerk), Peter Baumann (Tangerine Dream), Hans-Joachim Roedelius (Harmonia, Cluster), Renate Knaup und Chris Karrer (Amon Düül II) und viele andere Freigeister. Ein Standardwerk ist so entstanden, das zudem auf verschiedenen Ebenen funktioniert: als Kompendium disparater Stile, die die ganze Bandbreite zwischen Freejazz und elektronischer Musik abdecken; als Referenz an all jene Renegaten, ohne die Popmusik heute völlig anders klänge; und als Zeitreise durch eine junge Bundesrepublik mitsamt ihren Hoffnungen und Verwerfungen, ihren Träumen und Konflikten.

Peter Felkel/DK

DER GEIST DES HAUSES

Andreas Schäfer: Das Gartenzimmer, Dumont, 352 Seiten, 22 Euro

Schade, dass es dieses Haus nicht gibt. Genauso wenig wie den Architekten Max Taubert. Man möchte es sofort besichtigen nach der Lektüre von Andreas Schäfers Roman "Das Gartenzimmer". Möchte dieses Kleinod der Vormoderne bewundern, die Geister der Bewohner spüren - die des Philosophen Adam Rosen und seiner Frau Elsa, für die es gebaut wurde. Die von Hannah und Frieder, die es Jahrzehnte später aus dem Dornröschenschlaf erwecken. Und auch etwas von diesem entsetzlichen Geheimnis erspüren, das das titelgebende Gartenzimmer verbirgt. Aber die Villa Rosen am Rand des Berliner Grunewalds gibt es nicht. Schäfer hat sie sich ausgedacht. Auch Max Taubert ist eine aus mehreren Architektenbiografien dieser Zeit zusammengesetzte fiktive Figur. Mies van der Rohe, die Brüder Bruno und Max Taut oder Walter Gropius könnten Pate gestanden haben. Am Beispiel dieses Hauses verwebt Schäfer Welt- mit Familiengeschichte, spannt den Bogen von der Weimarer Zeit über die Nazi-Zeit in die Gegenwart und nimmt den Leser mit seinem faszinierenden Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart sofort gefangen. Schaurig schön!

Anja Witzke/DK

WO BEGINNT IDEENKLAU?

John Boyne: Maurice Swift. Die Geschichte eines Lügners, Piper, 24 Euro

John Boyne hat mit "Der Junge im gestreiften Pyjama" einen vielgelobten Bestseller über eine dramatische Begegnung im Konzentrationslager geschrieben. Sein zwölf Jahre später erscheinendes Buch ist ganz anders, aber nicht weniger gelungen: Subtil und aus atemberaubenden, kapitelweise wechselnden und perfekt durchgehaltenen Perspektiven erzählt es von der Besessenheit eines Hochstaplers, der ein Autor sein will. Das ist keine ästhetische Frage, sondern eine von Leben und Tod: Um an Geschichten zu kommen, nutzt Maurice Swift das Vertrauen von Menschen aus, zerstört Karrieren, geht wahrhaftig über Leichen. Ein spezielles, dabei auf Allgemeingültigkeit po-chendes, hochspannendes Porträt über einen Menschenschlag, den man nicht kennen möchte, der aber wohl in jeder Berufssparte beheimatet ist. Der deutsche Titel wird viel deutlicher als das Original, welches "A Ladder To The Sky" - "Eine Leiter in den Himmel" heißt. Besonders spannend ist, dass mit dem Hochstapler ein ehemals mit Boyne befreundeter Autor porträtiert wird. Dass hier ein Gegenschlag in Buchform geführt wird, verleiht der Story noch einen entscheidenden Dreh.

Sabine Busch-Frank/DK

MÖRDERISCHES PIEMONT

Giulia Conti: Isola Mortale, Atlantik, 320 Seiten, 16.90 Euro

Seit mehr als zwei Jahren ist auch der Lago d'Orta, so etwas wie der kleine Bruder des Lago Maggiore auf der anderen Seite der Berge, Tatort allerlei Verbrechen. Nach "Lago Mortale" hat Giulia Conti, Pseudonym einer deutschen Journalistin und Reisebuchautorin, die schon Jahrzehnte dort lebt, nun "Isola Mortale" vorgelegt und bleibt damit wieder nah und exakt an den Örtlichkeiten, an den Besonderheiten und an den Sehenswürdigkeiten der Region rund um den westlichsten der oberitalienischen Seen. Eine junge Nonne wird am Ufer angespült. Simon Strasser, ehemaliger Polizei- und Gerichtsreporter aus Frankfurt mit italienischen Wurzeln, der eigentlich das Leben am See genießen will, aber immer wieder in Kriminalfälle verwickelt wird, ist schnell klar, dass ihr Schicksal mit dem Kloster auf der winzigen Insel San Giulio in Zusammenhang stehen muss. Doch wie nur? Giulia Conti schreibt einen wendungsreichen und unterhaltsamen Krimi, der mit sympathischem Personal und überraschendem Plot aufwartet. Spannende Lektüre für Sommernachmittage im Liegestuhl. Zuhause im Garten - oder irgendwo an einem See.

Katrin Fehr/DK

GRANDIOSE LITERATUR

George Eliot: Middlemarch. Eine Studie über das Leben in der Provinz. dtv, 1152 Seiten, 28 Euro

Als Mary Ann Evans 1871 ihren bekanntesten Roman publizierte, war ihr Leben in wilder Ehe noch ein Skandal. Um erfolgreich zu sein, bedurfte es eines männlichen Pseudonyms: Sie erschuf George Eliot. Die Geschehnisse von "Middlemarch" siedelte sie 1830 an. Die "Studie über das Leben in der Provinz" blickt auf eine kleinstädtische Gesellschaft, in der eine überkommene Moral, eine ins Stolpern geratene soziale und politische Ordnung auf Menschen trifft, die um ihr eigenes Fortkommen ringen. Mary Ann Evans kreiert ein Tableau aus mehreren Hauptfiguren, motivisch dicht, psychologisch versiert, ironisch angehaucht und stets mit Blick auf einen gesellschaftspolitischen Horizont, das die lebenslange Liebesgeschichte so wenig auslässt wie eine überseeische Räuberpistole: Ein Tableau, das von Ärzten, Pfarrern, Politikern, Betrügern, Journalisten und klugen Frauen erzählt. Dieses Werk macht sie fraglos zu einer der ersten modernen Romanautorinnen vom Schlage Tolstois. Noch dazu ist die süffige Lektüre ein wahres Vergnügen und die 1200 Seiten in der Neuübersetzung von Rainer Zerbst bester Stoff für lange Urlaubstage.

Carina Lautenbacher/DK

EIN BLICK ZURÜCK

Uwe Timm: Heißer Sommer, dtv, 352 Seiten, 10,90 Euro

Heiß war der Sommer bisher nicht und wird es vielleicht auch nicht werden, trotzdem sollte man Uwe Timms "Heißer Sommer" lesen. Denn es scheint, jenseits der Titel-Kalauerei, gerade jetzt ein Blick zurück in die Sommer der Liebe und der Revolte sinnvoll, wo die 68er doch seit einiger Zeit für alles verantwortlich gemacht werden, was in Deutschland und anderswo schief läuft; oder auch nur vermeintlich schief läuft. Zusammen mit "Kerbels Flucht" und "Rot" hat Timm eine 68er-Trilogie geschrieben, die zum Besten gehört, was es über die Zeit gibt, und in der einer, der dabei war, zeigt, wie es war. Timm, der mit Benno Ohnesorg befreundet war, studierte zwischen 1967 und 1969 in München und war im SDS aktiv. "Heißer Sommer" wirft einen ambivalenten, kritischen Blick auf die Zeit, der nichts beschönigt, der auch die latente Gefahr des Abrutschens in die Gewalt nicht unterschlägt, der aber trotzdem deutlich macht, dass die Bundesrepublik ohne die heißen Sommer der 1960er und 1970er nicht das offene, liberale, tolerante Land wäre, das ist. Was es gerade jetzt, da sich manche Ecken zum Roll Back bereitmachen, in Erinnerung zu rufen ist.

Berndt Herrmann/DK