München
Fahle Inszenierung, leidenschaftliche Musik

Premiere von Verdis "Otello" an der Bayerischen Staatsoper: Jubel für Jonas Kaufmann, Anja Harteros und Kirill Petrenko

25.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:05 Uhr
Der Ofen ist aus: Dafür glüht die Eifersucht. Otello (Jonas Kaufmann) glaubt, dass seine Frau Desdemona (Anja Harteros) ein Auge auf Cassio geworfen hat. Inszeniert wurde die erste Premiere der Opernsaison 2018/19 von Regisseurin Amélie Niermeyer. −Foto: Hösl

München (DK) Überall Kamine. Manchmal zwei oder drei in einem Raum. Das Holz glüht, ein paar Flammen zügeln rötlich zwischen den Scheiten. Im dritten Akt stehen die Akteure, Desdemona und Otello, vor dem Feuer, strecken die Hände dem Ofen entgegen, wärmen sich. Kein Zweifel, es ist kalt in Giuseppe Verdis Eifersuchtstragödie "Otello".

Aber es ist der Frost der Herzen, der in Amélie Niermeyers Inszenierung irritiert. Eifersucht macht eigentlich hitzig und feurig, sie ist ein quälendes Seelengift, das Menschen in den Irrsinn treiben kann. Bei Niermeyer ist der Wahnsinn sublim, Ausdruck eines häuslichen Dramas. Man denkt unwillkürlich an Bergmann und Strindberg, Norwegen und die "Szenen einer Ehe", kaum an hitzige Italiener. Denn Niermeyers "Otello" spielt sich im Inneren ab, als bürgerliches Trauerspiel in gediegen klassizistischem Interieur (Bühne: Christian Schmidt). Als Tragödie in fahlem Grau. Vor allem aber verzichtet sie auf die große Geste, da können Verdi und Dirigent Kirill Petrenko im Orchestergraben noch so gewaltige Klangfeuerwerke entfachen. Es springt kein Funke über.

Etwa beim wildbewegten Beginn der Oper: Es blitzt und donnert im Orchester, die Soldaten brüllen vor Angst. Aber nichts davon ist auf der Bühne zu sehen. Stattdessen spiegelt sich das tragische Dröhnen der Urgewalten in Desdemonas verzweifelten Gesichtszügen. Sie wartet sorgenvoll auf ihren Mann Otello, der von Schlacht und Sturm zurückkehrt.

Aber was ist das für ein Otello, der dann auftritt? Kein siegreicher Feldherr in militärischem Gewande. Vielmehr gibt ihn Jonas Kaufmann als grauen Niemand in Büro-Anzug und Hosenträger. Vor allem aber, anders als es Shakespeare, Verdi und sein Librettist Arrigo Boito vorsahen, verkörpert er keinen Schwarzen. "Blackfacing", einen Weißen als Mohren zu schminken, gilt inzwischen als politicaly incorrect. Natürlich, der Mord an Desdemona geschieht nicht, weil Schwarze eifersüchtiger sind, weil sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hätten. (Das dümmliche Klischee wird übrigens auch Italienern gerne unterstellt.) Aber Shakespeare und Verdi haben in ihrer Tragödie eigentlich etwas anderes schildern wollen: Was es psychisch mit Menschen macht, wenn sie einer stigmatisierten, angeblich minderwertigen Minderheit angehören. Und dieses Schicksal trifft längst nicht nur auf Schwarze zu, sondern auch etwa auf Juden und Araber. Ihnen haben Verdi und Shakespeare ein Denkmal gesetzt. Niermeyer aber entzieht der Oper ihr spezifisches Alleinstellungsmerkmal und macht es zum bloßen Eifersuchtsdrama.

So sieht man Darsteller in nichtssagenden Roben, in kühl designtem Mobiliar Psychoschlachten schlagen. Vergleichsweise interessant ist da noch der Intrigant Jago geschildert. Gerald Finley gibt ihn als wendigen Schluffel in karrierter Hose, der wie besessen über die Bühne turnt, alles arrangiert, alle überzeugt, pfiffig und perfide. Stimmlich ist er grandios vielschichtig, auch wenn es seinem Bariton in manchen Augenblicken an dämonischer Schwärze fehlt.

Als die Blumenmädchen Desdemonas Hochzeitsgirlanden auslegen, mischt er sich ins Geschehen, lenkt und inszeniert, bis die Blumen wie Grabbeigaben auf dem Bett liegen. Überhaupt stehen Betten fast noch häufiger auf der Bühne als Kamine. Allgegenwärtig als Ort des Mordes und als Couch zur Seelenschau.

Aber das Publikum ist wahrscheinlich weit weniger wegen Amélie Niermeyer ins Nationaltheater gekommen, als vielmehr wegen des vielbeschäftigten Opern-Traumpaares Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Und hier gibt es Lichtblicke. Sicher: Kaufmann ist kein typischer Otello-Darsteller, seine Stimme ist zu wenig sieghaft strahlend, zu dunkel und baritonal. Und doch: Gerade darin liegt vielleicht der Reiz dieser Deutung. Denn Kaufmann ist wie wenige seiner Kollegen in der Lage, die Partie aufzurauen, ihr noch mehr fahle Pianissimostellen, gequältes Aufschreien, trübe Verzweiflungsausbrüche beizumischen. Und das macht ihn zu einem unwiderstehlichen Otello-Deuter. Ähnlich verhält es sich mit Harteros, deren Stimme inzwischen kraftvoller und herber geworden ist, deren Tiefen in ihrer sonoren Tönung fast an die Qualität der Callas erinnert. Sie verkörpert eine sinnliche, selbstbewusste Desdemona, ein Counterpart zu Otello.

Und natürlich: Am meisten Jubel empfängt an diesem Premierenabend Kirill Petrenko am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Sein "Otello" ist so direkt, so wild, wohlkalkuliert laut, so glutvoll leidenschaftlich wie man es sich nur wünschen kann. Dem edelgrauen Allerlei der Niermeyer setzt er die ganze Farbigkeit der Verdi-Partitur entgegen.

Weitere Vorstellungen: 28. November sowie 2., 6., 10., 15. und 21. Dezember; alle ausverkauft, Restkarten eventuell unter Telefon (089) 2185-1920, Video-Übertragung am 2. Dezember unter www.staatsoper.de.

Jesko Schulze-Reimpell