Bayreuth
Es rappelt in der Kiste

"Ring"-Version überzeugt nicht nur Kinder

01.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:17 Uhr

Bayreuth (DK) Wagners "Ring" als Kurzfassung für Kinder zusammen zu dampfen auf gerade mal zwei Stunden - das ist durchaus ein Wagnis.

Die neue "Ring"-Version von Katharina Wagner und Markus Latsch, musikalisch bearbeitet von Marco Zdralek, fokussiert sich auf markante Szenen-Ausschnitte und eingängige Motive. Das Gefühl, es könnte etwas fehlen, hat man dabei eigentlich nur, wenn die gesamte Handlung der Götterdämmerung auf die Figur des Hagen konzentriert wird. Auch sonst muss zwangsläufig manches untern Tisch fallen. Das aber wird mit solchem Geschick bewerkstelligt, dass nichts Grundlegendes fehlt und dass das Entstandene zugleich kindgerecht, leicht nachvollziehbar und niemals langatmig ist.

So werden die Themen Gewalt und Liebe, im "Ring" ja reichlich vorhanden, altersgerecht auf die nötigsten Ereignisse konzentriert und ansonsten ausgeblendet. Siegfried wird dabei gleich ein Stück sympathischer, weil er Mime nicht erschlagen muss. Auch Wotan, weil er Siegmund rein aus Ehebruchsgründen fallen lässt - und nicht, um seinen egoistischen Machterhaltungsplan zu retten. Die Zusammenhänge und Motivationen der vier "Ring"-Werke fordern das Nachwuchs-Publikum, aber überfordern nie. Und vor allem macht das Ganze einen Heidenspaß. Den Mitwirkenden unter der pfiffigen Regie von David Merz wie den Zuschauern.

Zentraler Schauplatz auf der Probebühne IV beim Festspielhaus ist eine "Ring"-Kiste (Bühne: Julius Theodor Semmelmann), in der es zu Beginn und zum Ende des Stücks gewaltig rappelt. Sie spuckt die Protagonisten aus, sie führt mühelos in den Rhein, nach Walhall (eine Mischung aus Festspielhaus und Neuschwanstein), nach Nibelheim und in Brünnhildes Feuerkreis. Alles vorhanden! Und mitgemacht werden darf dabei auch: So können die Kids dafür sorgen, dass der Rhein mittels blauer Tücher schön wogt - und sie dürfen Wotan bei der Entscheidung unterstützen, den Ring wieder wegzugeben (was die Figur der Erda erspart). Das Brandenburgische Staatsorchester sitzt neben der "Ring"-Kiste und spielt sich unter der Leitung von Azis Sadikovic die Seele aus dem Leib, was auch im kleinen Klangformat echte "Ring"-Emotionen aufkommen lässt.

Dazu gesellen sich zwölf bestgelaunte Solisten, die häufig mehrere Partien verkörpern und dabei darstellerisch wie stimmlich gefordert sind. Der Heldentenor Vinzent Wolfsteiner, der schon im Nürnberger "Ring" von sich reden machte, schmettert Siegfrieds Schmelz- und Schmiedelieder und hat viel, ganz viel Atem für ganz lange "Wälse"-Rufe als Siegmund. Jukka Rasilainen ist ein echter Wotan, Daniela Köhler eine hochdramatische Brünnhilde, Ji Yoon ein silbriger Waldvogel - die Sympathiefigur aller Kinder. In ihrer zusätzlichen Partie als Freia trägt sie das mit Abstand schönste Kostüm: gülden bis in die Haarspitzen und eine Schale voll goldener Äpfel. Während Kollege Loge schon mit seiner feurigen Frisur auffällt. Die höchst phantasievollen, sehr realistischen Kostüme und Masken entstanden übrigens in Zusammenarbeit mit der August-Everding-Akademie, mit Studierenden des ersten Jahrgangs Maskenbild - Theater und Film. Sie hatten die Aufgabe, die häufig verblüffenden Ergebnisse eines Kostümwettbewerbs in Schulen umzusetzen.

Das Projekt aus Kinderaugen zu betrachten scheint eines der Erfolgs-Geheimnisse dieser Produktion. Das andere ist die ungezähmte Freude aller Mitwirkenden, die sich sofort aufs Publikum überträgt. Ein Bravo für den neuen Kinder-"Ring", der ganz ohne erzieherischen Zeigefinger und ohne Parodie Wagner für Klein (und Groß) erlebbar macht.

Barbara Angerer-Winterstetter