Von Barbara Angerer-WinterstetterBayreuth
Erlösung von allen Religionen

Uwe Eric Laufenbergs "Parsifal" im dritten Bayreuth-Jahr

27.07.2018 | Stand 02.12.2020, 15:59 Uhr
Die Wiederaufnahme der "Parsifal"-Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg dirigiert der aus St. Petersburg stammende Semyon Bychkov, der erstmals am Grünen Hügel arbeitet. In der Titelpartie ist erneut Andreas Schager zu hören und zu sehen. −Foto: Foto: Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Von Barbara Angerer-WinterstetterBayreuth (DK) Es ist ein schönes Bild, als die Insignien sämtlicher Religionen am Schluss in Titurels Sarg gelegt werden.

Vorgemacht hat es der neue Gralskönig Parsifal selbst, als er den heiligen Speer solchermaßen ad acta legt. Die Zukunft braucht solche Symbole nicht mehr, die Zukunft vereint Menschen aller Religionen: Hoffnungsvoll gehen sie ins Bühnenlicht, umwallt von Nebelschwaden - die Chéreau-"Götterdämmerung" grüßt von Ferne. Erlösung dem Erlöser. Es ist zu schön, um wahr zu sein. Zu schön, um jemals wahr werden zu können. Aber solche Momente braucht es im Bayreuther Festspielhaus.

Uwe Eric Laufenbergs "Parsifal"-Inszenierung, verortet im Nahen Osten, geht nun ins dritte Jahr und wirkt (vielleicht gerade als Kontrast zur Nicht-Regie des neuen "Lohengrin" tags zuvor) plötzlich als dichtes Regietheater - in ihrer Personenführung quasi entrümpelt und damit geschärft. Die handelnden Personen haben jetzt miteinander zu tun. Schön, wie dicht etwa die Parsifal-Kundry-Beziehung über drei Akte aufgebaut wird, wie aus versuchter Verführung Mitgefühl, ja Zärtlichkeit wird.

Gut: Es gibt weiterhin Ungereimtheiten und Geschichten, die nicht zu Ende erzählt werden. Warum kümmern sich die Gralsritter lieber um einen verwundeten Schwan als um einen zusammenbrechenden Flüchtlingsjungen? Warum wird die Geschichte der Flüchtlinge aus dem ersten Aufzug nicht weiter- erzählt? Sei's drum - hier wird eine religiös aufgeladene Geschichte erzählt, die gleichzeitig die Überwindung der Religion zeigt.

Laufenberg und sein Team (Bühne: Gisbert Jäkel, Kostüm: Jessica Karge) trauen sich Bilder zu zeigen, die weh tun. Wie den stigmatisierten Amfortas im Christusgewand. Bilder voller Erotik. Wie Parsifals Beinahe-Verführung durch Kundry, die von Amfortas (! ) übernommen wird. Bilder am Rande des Kitsches. Wie den Karfreitagszauber, bei dem sich nicht nur nackte Adams und Evas im Bühnenwasserfall räkeln, sondern auch Menschen aller Kulturen durch Parsifal zusammengeführt werden. Und leider auch Bilder wie die Videoprojektion im dritten Aufzug: Winifrieds, Wolfgangs und Richards Totenmasken, die aufglühen und wieder verschwinden.

Neu ist in diesem Jahr vor allem das Dirigat des Bayreuth-Debütanten Semyon Bychkov. Er ist ein Dramatiker, ein Geschichtenerzähler, er badet nicht, sondern treibt voran. Das tut auch der Szene gut. Einzig im ersten Aufzug scheint vieles zerfasert, kommen einige Phrasen ungenau oder gar belanglos daher. Dann wieder braust große Klangopulenz auf zum szenischen Weltall-Ausflug der Verwandlungsmusik im ersten Aufzug. Und nicht zuletzt gibt es jene Passagen, die Schönklang verweigern, die sich spröde, ja fragend geben, die hinterdenken, analysieren, nicht hinnehmen wollen und damit wieder gut in Laufenbergs Konzept passen.

In Sachen Sängerbesetzung darf man den Premierenabend 2018 geradezu großartig finden. Günther Groissböck ist erstmals Gurnemanz: autoritär, manchmal schroff, manchmal empfindsam und männlich statt väterlich. Er trägt den Abend mit großen Linien, souverän und stimmstark, ohne allzu viel Stimmdruck mit müheloser Ausdruckspalette. Eine deutliche Empfehlung für den Bayreuther Wotan 2020.

Daneben bzw. auf Augenhöhe steht ebenfalls ein Österreicher: Andreas Schager als Parsifal. Da er schon den Siegfried auf den Stimmbändern hat, singt er heldisch, aber dennoch klangschön, rund und mit so vielen Reserven, dass man sich um seine künftige Wagner-Karriere keine Sorgen machen muss. Als Dritter im Bunde steuert Ex-Wotan Thomas J. Mayer den Amfortas vom leidenden zum wütenden (gefallenen) Helden - in ebenso großem Festspielformat wie Klingsor Derek Welton. Elena Pankratova ist stimmlich abermals eine Kundry wie aus dem Bilderbuch. Dunkel, verführerisch, strahlend, zugleich brüchig. Und das alles stets mit hundertprozentiger Leidenschaft.

Wie immer, wenn's in Bayreuth gut wird, gibt es zum Abschluss Buhs fürs Regieteam - so geschehen auch am Donnerstagabend im Festspielhaus. Dafür kannte der Jubel für Sänger und Musik keine Grenzen.