Ingolstadt
Einblicke in das Innenleben der Tänzerinnen

Umjubelter Auftritt des Chelyabinsk Contemporary Dance Theatre in der Halle neun bei den Tanztagen Ingolstadt

12.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:13 Uhr
Der Tanz bestimmt ihr Leben: Szene aus dem Stück "Different" in der Halle neun. −Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Körperlich, emotional, ästhetisch, animalisch - Olga Ponas modernem Tanztheaterstück "Different" liegt eine ganz eigene Tanzsprache und Ausdrucksweise zugrunde.

Der Titel "Different" weist schon darauf hin - hier geht es nicht um Synchronizität und das der Gruppe untergeordnete Individuum. Vielmehr stellt die Choreografin, die eigentlich Maschinenbauingenieurin ist und den Tanz nur als Nebenausbildung erlernte, ihre acht Tänzerinnen des Chelyabinsk Contemporary Dance Theatres als Individuen vor. Jede tanzt, ja lebt ihre eigene Choreografie, hat ihre eigene Frisur, ob Pferdeschwanz, Kurzhaarschnitt, Locken - oder Pagenkopf. Selbst die Kostüme unterscheiden sich in Nuancen, sichtbar jedenfalls bei den Latzhosenröcken zu Beginn, die individuelle Details wie Kragen oder Ausschnitt haben.

Erzählt wird keine zusammenhängende Geschichte, sondern 90 Minuten lang gibt es zu faszinierenden Choreografien, die enorme Körperbeherrschung voraussetzen, Einblicke in das Innenleben der acht Tänzerinnen. Pona hat Elena Prishvitsyna, Tatiana Lumpova, Tatiana Sushchenko, Svetlana Lvova, Tatiana Kritskaia, Kristina Chernyshova, Maria Geramisova, und Svetlana Novikova gefragt, warum sie Tänzerinnen wurden, was Tanzen für sie bedeutet und was es mit ihnen macht. Heraus gekommen sind Texte voller Sehnsucht, aber auch Selbstironie und Selbstreflexion, Galgenhumor und Hoffnung sowie Gedanken über die Rolle als Frau, Partner- und Rollenverständnis. Einzeln oder zu zweit sprechen die Tänzerinnen ihre Gedanken auf Russisch, für die Zuhörer in der gut besuchten Halle neun werden sie auf Deutsch übersetzt auf Tafeln lesbar, teilweise auch sichtbar in den Bewegungen der Frauen, die auf der Suche nach sich selbst scheinen, nach dem perfekten Körper, nach Schönheit und Vollkommenheit, nach Harmonie und Glück.

Der Tanz bestimmt und definiert ihr Leben, hält sie gefangen in einer grausamen Welt, voller Verzicht und Verbot. "Tanz hat mich durchdrungen, er bestimmt meinen Körper, meinen Charakter, mein Verhalten", sagt eine - Tänzerin weniger als Beruf, sondern als Berufung, die sich bis in den Schlaf auswirkt. Was die enorme Strahlkraft dieser Körper erklärt, die sich bis in die kleinste Faser hinein einer geheimnisvollen Choreografie unterwerfen - oder gehorcht die Choreografie dem inneren Drang der Körper? Fast scheint es so. Wie Schlangenmenschen verbiegen sich die Tänzerinnen, rollen katzengleich ab, bleiben erschöpft oder besiegt auf dem Boden liegen, um sich bald darauf wieder zu erheben. Manche Szenen wirken wie ein Kampf, den jeweils zwei Tänzerinnen ausfechten - ein animalischer Pas de deux. Ein Symbol für die Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach einem Partner und dem Freiheitsdrang der Künstlerin?

Das Publikum folgt der Performance gebannt, ehe am Ende ein Begeisterungssturm losbricht und das Ensemble mit Ovationen gefeiert wird.

Andrea Hammerl