Ingolstadt
Ein versiegeltes Skript, eine Reise ins Ungewisse

Theaterexperiment im Altstadttheater

21.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:44 Uhr
Michael Kleinherne
Weil er selbst lange Zeit nicht verreisen durfte, schickt der Iraner Nassim Soleimanpour sein Theaterstück "Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen" um die Welt. Maria Helgath (Mitte) holt sich in Ingolstadt mehrere Zuschauer auf die Bühne. −Foto: Woelke

Ingolstadt (DK) Ein Experiment war angekündigt: eine Schauspielerin, die Text und Stück nicht kennt, sondern dieses erst nach dem Anfangsapplaus in einem versiegelten Umschlag überreicht bekommt.

Es gibt keine Proben, kein Bühnenbild, keine Regie. Auch das Publikum weiß nicht, was es erwartet, nachdem die Schauspielerin den Umschlag geöffnet hat, nur dass es ebenfalls auf die Bühne muss, war vorher in der Presse zu lesen. Auch der Titel verrät nicht viel: "Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen", das klingt eher nach einem Zirkus- oder Zauberabend. Es waren wohl ein paar Ungewissheiten zu viel, so dass nur wenige Zuschauer den Weg ins Altstadttheater gefunden hatten zur Premiere des mysteriösen Stückes des iranischen Autors Nassim Soleimanpour. Und das war schade, denn es war eine durchaus spannende Aufführung, wenn man es denn so nennen mag, welche die Schauspielerin Maria Helgath auf die Bühne brachte.

Helgath, gebürtige Landshuterin, ist sonst vor allem im Opernfach zuhause. Sie hat an namhaften Bühnen gesungen und war auch schon am Stadttheater Ingolstadt engagiert. Jetzt gehört sie zum freien Ensemble des Altstadttheaters, wo sie auch in "Hinterkaifeck" zu sehen ist. In Soleimanpours Stück hingegen muss sie vor allem improvisieren. Nur dieses eine Mal spielt sie darin, weitere Aufführungen sind mit anderen Schauspielern besetzt. Und Helgath ist voll gefordert, gibt Anweisungen, stapft als Vogel Strauß über die Bühne, natürlich auch als Kaninchen, wobei dies alles wohl parabelhaft gemeint ist, kann der Autor doch auf diese Weise seine Kritik am autoritären System seines Heimatlandes, welches er als Wehrdienstverweigerer viele Jahre nicht verlassen durfte, in immer wieder mitreißend komische Szenen verpacken.

Die Schauspielerin fungiert dabei als Vermittlerin zwischen Autor und Publikum, welches sie immer wieder direkt miteinbezieht. Am Ende nötigt sie das Skript des Autors sogar, vermeintliches Gift zu trinken, das ihr ein Zuschauer ins Wasserglas gemischt hat. Die letzten Seiten des Stückes liest folgerichtig eine Zuschauerin vor, und nach einem kurzen Applaus wird das Publikum aufgefordert, das Theater nun doch bitte zu verlassen. Die Zuschauer bleiben ein wenig ratlos, doch auch amüsiert zurück. Das alles liegt wohl auch im Interesse des Autors und man fragt sich nachher, ob das alles nur ein Spiel, eine Illusion war, und es diesen Nassim Soleimanpour - er teilt im Stück freigiebig seine Mailadresse mit, lebt mittlerweile angeblich sogar in Berlin - gar nicht gibt. Wer weiß, vielleicht heißt er ganz anders, sitzt den Abend lang still irgendwo im Publikum und amüsiert sich prächtig.

Weitere Aufführungen gibt es im Altstadttheater am 31. Oktober mit Amelie Bauer und am 29. November mit Thomas Schrimm. Karten gibt es in allen DK-Geschäftsstellen.

Michael Kleinherne