Neuburg
Ein Versuch, die Grenzen auszuloten

Das Trio Crump-Laubrock-Smythe beeindruckt das Neuburger Publikum mit Musik von schillernder Andersartigkeit

17.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:16 Uhr

Neuburg (DK) Stephan Crumps Kontrabass brummt, schnurrt und fiept.

ory Smythe greift dem Flügel in die Eingeweide, traktiert dessen Saiten mit dem Bottleneck und bedient den darin versteckten Synthesizer. Ingrid Laubrocks Tenorsaxofon hupt, schnarrt und schnattert, sie selbst schmatzt und gurrt und verzichtet einmal sogar ganz auf das Mundstück. Und wer sagt eigentlich, dass man in ein Saxofon immer nur hineinblasen darf und nicht auch mal kräftig daran saugen kann? Wenn es im Birdland an diesem Abend klingt, als ginge irgendwo eine Scheibe zu Bruch, als kämen undefinierbare Geräusche aus einem Kurzwellenempfänger, als quietsche nebenan eine Tür in verrosteten Angeln, dann ist das Absicht. Dieses Avantgarde-Trio rüttelt an den rhythmischen, melodischen, harmonischen und klanglichen Grenzen des Jazz, lotet Möglichkeiten aus, spielt zeitversetzt mit Themen, Motiven und Tonfolgen, komponiert quasi beim Spielen. Es wird nicht alles über Bord geworfen, mit Sicherheit gibt es Vereinbarungen und Regieanweisungen, den groben Ablauf betreffend. Unorthodox freilich ist es allemal, was man hier zu hören bekommt.

Im ersten Set wird eine enorme Spannung aufgebaut. Überraschenderweise ist es letztendlich - ganz dem traditionellen Rollenmuster entsprechend - dann doch wieder der Kontrabass, an dem man sich einigermaßen festhalten kann, während Saxofon und Piano über Stock und Stein davonstürmen. Das alles ist meilenweit entfernt von "Wohlfühlmusik", im Gegenteil, man reagiert innerlich aufgewühlt, ist hin- und hergerissen, was natürlich beabsichtigt ist. Vermutlich spielen bei diesen Stücken nicht nur die Lust aufs Experiment und die bewusste Negierung des Herkömmlichen eine Rolle, sondern auch ein gewisser Trotz angesichts des grassierenden glattgebügelten Mainstreams.

Nach der Pause wird diese Spannung dann allmählich gelöst. Die Band gibt sich versöhnlicher, der Zugriff fällt leichter. Jetzt spürt man als Zuhörer verstärkt die innere Verbundenheit mit der Musik, die nun beginnt, trotz ihrer auch jetzt noch deutlich hörbaren Andersartigkeit eine Art Sogwirkung zu entfalten. Je mehr sich der Abend dem Ende zuneigt, desto mehr werden - obwohl dessen Ansatz ein ganz anderer ist - Erinnerungen an das Borderland-Trio wach, bei dem ja auch Stephan Crump den Bass bedient. Natürlich ist Crump/Laubrock/Smythe-Musik Spartenmusik und nicht jedermanns Sache. Ungemein spannend wegen ihrer Unverfrorenheit, ihres Wagemuts, ihrer schillernden Andersartigkeit ist sie trotzdem. Und sie ist Ausdruck einer Haltung, nämlich der, konsequent zur eigenen Überzeugung zu stehen.
 

Karl Leitner