Ein Triumph für Audi

Rund 250000 Musikfreunde weltweit hörten sich das Streaming-Konzert an - Tausende lobende Kommentare in den sozialen Medien

15.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:32 Uhr
Gefeiert in den sozialen Medien: Lisa Batiashvili spielt im Audi-Presswerk Ingolstadt. −Foto: Wobker

Ingolstadt - Ganz am Ende gab es doch noch so etwas wie Beifall.

Ein dünnes Klatschen und Jubeln, irgendwo im Hintergrund. Offensichtlich hatten die wenigen Techniker und Produzenten ihrer Begeisterung über das Solidaritätskonzert im Audi-Presswerk freien Lauf gelassen - während die Musiker fast etwas verlegen ins Leere hinter dem Scheinwerferlicht starrten. Denn für sie war es eine ungewohnte Situation: ein Konzert (fast) ohne Beifall. Und ohne lebendigen Kontakt zum Publikum.

Dabei hätte dieses Konzert den größtmöglichen Applaus verdient, Bravos und Jubel im Fortissimo. Denn der Geigerin Lisa Batiashvili und vier weiteren Musikern war etwas nahezu Unfassbares gelungen: Sie konnten Hoffnung, Sinnhaftigkeit, Optimismus, Kultur vermitteln unter schwierigsten Umständen. Sie konnten genau an dem Ort, wo Audi am meisten zu Hause ist, in der Produktionshalle, zeigen, wozu dieser Konzern in der Lage ist, dass er für Menschlichkeit steht, dass er blitzschnell reagieren kann. Und vor allem: Sie erreichten damit weltweit eine Viertelmillion Musikfreunde.

Lob bekamen die Musiker dennoch, auch wenn sie es während des Konzertes kaum spüren konnten: In den sozialen Netzwerken, von Linkedin bis Facebook, von Youtube bis Twitter, ging geradezu eine Lawine des Enthusiasmus am Dienstag zwischen 20 und 21 Uhr nieder. Herzchen und Likes hüpften tausendfach über den Bildschirm. Und: Es gab eigentlich niemanden, der Kritik übte, der das Konzert ablehnte, dem es nicht gefiel. Menschen aus unterschiedlichsten Himmelsrichtungen fanden hier in ihren Lobeshymnen zusammen: Georgier wie Türken, Deutsche wie Kroaten. Sie alle einte eins: Dass die gute alte klassische Musik, der sich Audi seit Jahrzehnten angenommen hat, die sie fördert, weil sie zum edlen Profil ihrer Autos passt, immer noch wirkt, dass sie den Leuten nach wie vor unter die Haut geht. Wenn sie nur wirklich gut gespielt wird.

Und das war an diesem Abend der Fall. Lisa Batiashvili ist ohnehin eine Geigerin, deren Qualität über jeden Zweifel erhaben ist. Kaum ein Virtuose weltweit beherrscht die Violine auf dem Niveau, mit der sensiblen Kontrolle über jeden einzelnen Ton. Aber auch ihre Freunde, die aufgrund der Corona-Krise fast alle aus München kommen mussten, sind großartige Künstler: der Bratscher Jano Lisboa, die Geigerin Sarah Christian, der Cellist Maximilian Hornung und der Oboist François Leleux. Zwischen den verschiedenen Werken moderierte Alexander Mazza ("Brisant", "Mona Lisa") in englischer Sprache dezent, unterhaltsam und angenehm.

Die Werkauswahl richtete sich gerade auch an ein Publikum, das mit klassischer Musik noch nicht vertraut ist. Denn das Internet-Format, fernab von ehrfurchterregend prachtvollen Konzertsälen, die bei klassikfernem Publikum oft unnötige Schwellenängste hervorrufen, vermag auch solche Menschen anzusprechen. Zwischen den in farbigem Licht getauchten Karosseriepressen, genau da, wo viele Mitarbeiter der Firma sonst tagtäglich arbeiten, wirkt klassische Musik anders. Zugänglicher. Näher am Menschen.

So standen einige der berühmtesten, besten und effektvollsten Klassikwerke auf dem Programm. Johann Sebastian Bachs "Air", die "Passacaglia" von Georg Friedrich Händel in einer Bearbeitung von Johan Halvorsen, zwei Sätze aus Beethovens Rasumowsky-Quartett in C-Dur, zwei Arien aus Mozarts "Zauberflöte" bearbeitet für Oboe und Violine, ein Satz aus einem Oboenquartett Mozarts und, quasi als Zugabe, zwei Sätze aus den Miniaturen des georgischen Komponisten Sulchan Zinzatse.

Und doch war dieses Konzert auch für die Musiker ein Experiment. Sie alle kommen aus unterschiedlichen künstlerischen Zusammenhängen, kennen sich teilweise nicht besonders gut, lange Probenzeiten hatten sie nicht. Und sich so schnell in diesen unbekannten akustischen Gegebenheiten einzufinden, war sicher eine Herausforderung. Aber das schien die Hochspannung, unter der dieses ungewöhnliche Konzert stand, fast noch explosiver zu machen. Und es traten interessante Eigenarten, sogar Schwächen der Künstler zutage: Bei Bachs "Air" am Anfang spürte man deutlich, dass Lisa Batiashvili eine große Solistin ist, aber wenig Erfahrung mit Kammermusik besitzt. Mit großem Ton war sie mehr Star als Teamplayer, der die drei anderen Musiker führt. Und doch tat das der Qualität der Musik kaum Abbruch, wichtiger war der besondere Augenblick dieses Auftritts, die Ernsthaftigkeit, die Intensität, die die Musiker ausstrahlten. Eine Atmosphäre, die unmittelbar erinnert an die Tragik dieser Tage, an die Corona-Krise mit ihren vielen Todesfällen.

Auch das Beethoven-Quartett litt anfangs unter eher schwacher Führung. Die vier hervorragenden Musiker waren einfach kein eingeschworenes Bündnis. Und doch auch hier: Das wilde Temperament, die Virtuosität der einzelnen Musiker überlagerten jeden kleinen Mangel im Zusammenspiel. Ähnlich verlief die Darstellung der Passacaglia mit dem Cellisten Maximilian Hornung: Lisa Batiashvili überstrahlte solistisch glanzvoll die dunklen Cellotöne - aber vielleicht lag das alles auch an der Tontechnik, die den Star Batiashvili möglicherweise begünstigte.

Wirklich großartig, auch im Vergleich mit allen anderen Interpretationen geradezu ein Ereignis, waren die Werke, in denen Batiashvilis Ehemann François Leleux mitwirkte. Beim Adagio aus Bachs Osteroratorium kennt die Nuancierungsfähigkeit des Oboisten schier keine Grenzen. Fast niemals scheint er einen musikalischen Gedanken einfach nur auszuspielen, immer findet er Momente des Innehaltens, des hintergründigen ins Piano-Abgleiten, der verblüffenden Verfeinerung. Atemberaubend. Und: Leleux ist nicht nur Solist, er ist auch inzwischen ein erfahrener Dirigent, der das begleitende Ensemble zusammenhalten kann - auch beim Mozart-Quartett.

Ein weiterer Höhepunkt: die beiden Arien aus der "Zauberflöte". Leleux spielte zusammen mit seiner Frau, sie konnten sich räumlich enger als anderthalb Meter nähern, was der Musik gut zu tun schien. Aber vor allem sind die beiden ein fantastisches, eingespieltes Team, jede Phrase wird zusammen geatmet, alles passt zusammen.

Ganz am Ende dann noch ein besonders emotionaler Moment: Lisa Batiashvili spielte Musik aus ihrer Heimat Georgien. Gerade der Satz "Suliko" von Sulchan Zinzadse ist mehr als nur eine zarte, zu Herzen gehende Melodie. In Ingolstadt ist sie ein Dauerbrenner, ein Werk, das fast jeder Klassikfan im Publikum mitsummt. Es ist ein Zeichen dafür, dass Georgien inzwischen auch ein Teil von Ingolstadt ist. Und vielleicht auch ein Teil von Audi.

Bei den Tausenden Kommentaren in den sozialen Netzwerken war vor allem eins besonders zu spüren: Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass Audi ein solch hochkarätiges Konzert veranstaltete, bei dem alle Künstler auf ihre Gagen verzichtet haben. Besser, schneller hätte der Konzern in der weltweiten Corona-Krise nicht handeln können. Er hat ein Zeichen gesetzt.

DK


Das Solidaritätskonzert kann unter www. audimedia. tv weiterhin angesehen werden.