Ingolstadt
Ein Hoch auf die Printmedien

Das Salzburger Landestheater gibt mit der Rossini-Rarität "La gazzetta" ein umjubeltes Gastspiel in Ingolstadt

04.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:31 Uhr
Flaniermeile zwischen den Häuserfassaden: Hier ist vor allem wichtig, was in der Zeitung steht - Szene aus "La gazzetta". −Foto: Löffelberger

Ingolstadt (DK) Bisher steht sie im Schatten der Meisterwerke "Der Barbier von Sevilla" und "Cenerentola": Rossinis Buffo-Oper "La gazzetta".

Dabei lässt sich nicht nur aus der kompositorischen Gestaltung, sondern auch aus der Handlung der neapoletanischen Komödie nach Goldoni einiges herausholen, wie Regisseurin Alexandra Liedtke mit dem Gastspiel des Salzburger Landestheaters beweist.

Sie verlegt das Geschehen aus dem Paris des 19. Jahrhunderts ins Rimini der 50er/60er-Jahre. Die Flaniermeile mit den Häuserfassaden des Modegeschäfts "La Bella Figura", dem Hotel "L'Aquila" und der Trattoria "Stella d'Oro" erwacht in nostalgischen, beige-cremefarbenen Pastelltönen (Ausstattung: Falko Herold, Johanna Lakner) zum Leben. Tages-Highlight bildet sowohl für die Einwohner als auch für die verpeilten asiatischen Touristen die Lektüre der Zeitung. Darin bietet zur Belustigung aller ein neureicher Kaufmann, Don Pomponio, seine Tochter Lisetta per Annonce zur Heirat an. Und noch ein weiterer Vater, Anselmo, will sein Mädchen Doralice unter die Haube bringen.

Die zwei Frauen haben jedoch ganz eigene Zukunftspläne mit dem Wirt Filippo und dem Reisenden Alberto. Mit Hilfe von Madame La Rose gelingt es beiden Paaren, die Väter zu überlisten und den Ehe-Anwärter Monsù Traversen auszubooten.

Die Damenriege erweist sich dabei als kampfsporterprobt - allen voran Lisetta, die gezielt platzierte Fausthiebe an die Männer verteilt und die Boxhandschuhe rausholt. Madame La Rose zieht als dauerfotografierende Boutique-Besitzerin mit ihrer Sofortbild-Kamera die Fäden im Hintergrund. Doralice ist eine von Papa angetriebene, überambitionierte Sportlerin im kessen Tennisdress, die Alberto den Kopf verdreht. Der entpuppt sich als schüchterner, kurzsichtiger Weltenbummler mit Tourette-Syndrom, der von Pfeif-Tics wie auch nervösen Zuckungen geplagt ist und es weder mit Tabletten noch dem Telefonkabel schafft, seine liebestollen Selbstmordabsichten in die Tat umzusetzen.

Großartig spielen die Darsteller ihre Rollen aus, agieren mit sichtlichem Vergnügen, machen die inneren skurrilen Alpträume und Angstfantasien nach außen sichtbar, ohne dass die Inszenierung zu sehr ins Klamauk- oder Slapstickhafte abdriftet. Da fangen die Sommerfrischler regelrecht Feuer, während die Protagonisten von Krokodil und Ente heimgesucht werden. Pendeln zwischen Extremen: Duelle trägt man entweder mit Spazierstock und Regenschirm aus - oder gleich mit Maschinengewehren. Auch an subtilem Witz, an einfallsreichen Details wird nicht gespart. Zum Saufgelage fallen plötzlich einige Neonletter an der Gasthof-Beleuchtung aus, so dass da nunmehr "Tequila" zu lesen ist.

Eine humorvoll-hintergründige Persiflage auf den Einfluss der Printmedien - die nicht zuletzt auf eine körperbetonte Herangehensweise setzt (Choreografie: Paul Blackman). Genießerisch bewegen sich die Akteure zur Musik, geben sich lustvoll dem Rhythmus hin. Dazu sind Rossinis mitreißende, überdrehte Melodien bestens geeignet.

Unter der souverän-geschmeidigen Führung von Robin Davis versprüht das hochagile Mozarteumorchester Salzburg schon ab der Ouvertüre (die Rossini-Liebhaber aus der "Cenerentola" kennen) prickelnde italienische Leichtigkeit und Lebensfreude. Bassbariton Sergio Foresti gibt einen herrlich aufgeblasen-angeberisch auftretenden Don Pomponio mit kernig-buffonesker Großmäuligkeit, Sopranistin Tamara Ivani? eine hinreißende Lisetta voll höhensicherer, bald hell, bald zart strahlender Koloraturvirtuosität. Nico Darmanin begeistert als liebeshungriger Alberto, der lyrischen Belcanto-Schmelz mit tenoraler Wendigkeit vereint. An solch geläufiger Beweglichkeit steht ihm der profund-voluminöse Bariton von George Humphreys als Filippo in nichts nach. Sattes, warm leuchtendes Mezzo-Timbre bringen Katie Coventry als Doralice und Frances Pappas als Madame La Rose ins Verwirr- und Versteckspiel. Sonor und markant gestaltet Raimundas Juzuitis die Blasiertheit des Monsù Traversen aus, wohingegen Michael Schober als Anselmo seine kauzig-ruppige Facette zeigt.

Wohldifferenziert aufeinander eingesungen präsentiert sich der Herrenchor des Salzburger Landestheaters.

Insbesondere lebt der Abend im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt vom Spiel mit Publikumslachern - etwa, wenn die Akteure ironisch kommentierende Banner hochhalten, auf denen z. B. "Filippos Problem" und "Plan B" steht. Oder, indem sie auf ähnliche Weise einen Trugschluss-Applaus noch vor dem eigentlichen Happy End provozieren. Schürzenkleid-Travestieshow und Glitzerkonfetti-Feuerwerk unter der Disco-Kugel zum Finale. Großer Jubel, viel Beifall. Zu Recht!
 
Weitere Vorstellung: 4. und 5. Juni, 19.30 Uhr, Stadttheater Ingolstadt.

 

Heike Haberl