Drei Farben, vor allem Blau

02.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:52 Uhr

"Das siebte blau": Von Franz Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" ließ sich Zürichs Ballettchef Christian Spuck zu seiner Choreografie, einer assoziativen Szenenfolge, inspirieren. - Foto: Vallinas

Nürnberg (DK) Tanz und Musik ereignen sich im Moment und lassen sich nicht festhalten. Real ist allein die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft existieren nur in unseren Köpfen. Leben bedeutet also immer Verlust.

Mit Zeit und Vergänglichkeit wendet sich "Kammertanz", der neue, dreiteilige Ballettabend des Staatstheater Nürnberg Balletts, also selbstreflexiv nach innen, ureigenen Themen dieser beiden Kunstformen zu. Selbstbewusst eröffnet Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero den zweistündigen Abend, der jetzt im Nürnberger Opernhaus erfolgreich Premiere hatte, mit der Uraufführung seiner eigenen Arbeit "Four Quartets". Und kombiniert sie noch selbstbewusster mit Werken von William Forsythe und Christian Spuck. Dass Montero seine Truppe und sein Publikum regelmäßig mit Arbeiten anderer Choreographen bekanntmacht, ist zu begrüßen. Doch diesmal geht der Vergleich nicht zu Monteros Gunsten aus. Denn wo Forsythe und Spuck Räume öffnen, in denen der Tanz Wirkung entfalten kann, krankt "Four Quartets" an zu vielen Sinnesreizen, die sich gegenseitig kannibalisieren.

Dabei sind die Zutaten erlesen: Kammermusik von Johannes Brahms und Franz Schubert wechselt sich ab mit einem langen Gedicht von T. S. Eliot, rezitiert vom Dichter selbst, auch das selbstverständlich vertanzt. Man weiß nicht, wohin man blicken soll: auf die Tänzerin? Auf die eingeblendete deutsche Übersetzung? Und so geht es weiter. Ohne Pause oder Zäsur ergießt sich ein Sturzbach an Bewegung über die schwarze Bühne, der - wie meist bei Montero - bei allem Stilwillen doch keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Und dazu setzen sich auch noch die Podeste in Bewegung, auf denen die sechs Musiker des Apollon Musagète Quartetts platziert sind; schlüpfen die sechs Tänzer ganz oder teilweise durch die durchlässigen Wände der Kästen (Bühne: Montero, Eva Adler). Viel kalkulierter Effekt, wenig Empfindung. So vermögen weder Tanz noch Musik noch Text richtig zu wirken.

Umso eindrucksvoller dagegen "Approximate Sonata" (1996) von William Forsythe, einem der wegweisenden Choreographen des 21. Jahrhunderts. Die Bühne leer bis auf einen rätselhaften Projektor. Ein Mann, der extrem langsam geht und Grimassen schneidet, unterbrochen und gelenkt von Regiekommandos aus dem Off. Dann eine Serie von Pas de deux: akademisch-neoklassisches Bewegungsrepertoire inklusive Spitzentanz in durchgehend hohem Tempo, völlig losgelöst von der Musik. Wie auf einer Probe scheinen die acht Tänzer die Choreographie "trocken" durchzugehen: rein technisch, ohne Interpretation, ohne Ausdruck. Auch die Kostüme (Stephen Galloway) erinnern an Trainingskleidung. Dazu tröpfelnde Klavierklänge, als ob ein Korrepetitor im Ballettsaal selbstvergessen seinen musikalischen Gedanken nachhinge. Und siehe da: Genau der Verzicht aufs Erzählenwollen öffnet die Fantasie. Was die Bewegung bedeuten könnte? Das erweist sich schließlich im Kopf des Betrachters.

Mit "das siebte blau", 2000 geschaffen für das Stuttgarter Ballett, hat sich Christian Spuck, derzeit Ballettchef in Zürich, eines der wohl berühmtesten Streichquartette überhaupt vorgenommen: Franz Schuberts "Der Tod und das Mädchen" nämlich, live interpretiert vom Apollon Musagète Quartett. Entstanden ist eine assoziative Szenenfolge, die das Thema Tod in lyrische Bilder gießt: drei Frauen, die im Boden versinken. Ein Mädchen, das von Mann zu Mann eilt und einen Retter sucht. Eine graue Wand, die einfach da ist. Die Jugend, die sich kraftstrotzend und schönheitsstrahlend unsterblich wähnt. Die Menschheit, die in puncto Sterblichkeit keine Ausnahme zulässt.

Spucks Bewegungsrepertoire ist - wie schon Forsythes - deutlich klassischer als das tänzerische Idiom Monteros. Das hochmotivierte Nürnberger Ensemble meistert diese stilistische Umstellung technisch mit Bravour. Doch was die Interpretation angeht, bleiben durchaus Wünsche offen. Den begeisterten Premierenapplaus des ausverkauften Hauses haben sich die Tänzer gleichwohl redlich verdient.

Die nächsten Vorstellungen des Ballettabends in der Nürnberger Staatsoper gibt es am 10., 24. und 14. Mai, am 6., 9., 10., 14. und 18. Juni und am 1. Juli. Karten sind erhältlich unter Telefon (0180) 523 16 00.