Eichstätt
Die Zeit, das Schreiben und die Stadt

Sabine Haupt liest aus ihrem Debütroman "Der blaue Faden. Pariser Dunkelziffern" beim Eichstätter Festival "LiteraPur19"

10.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:21 Uhr
Spannendes Thema, bildreiche Sprache: Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Sabine Haupt in Eichstätt. −Foto: oh

Eichstätt (DK) Der Ort der letzten Lesung im Rahmen des Eichstätter Festivals "LiteraPur19", die Universitätsbibliothek, konnte nicht treffender gewählt werden.

Schließlich ist Sabine Haupt Professorin für Literaturwissenschaft an der einzigen katholischen Universität der Schweiz, in Fribourg. Umso mehr habe sie sich auch über die Einladung zum Lesefestival der einzigen katholischen Universität in Deutschland gefreut, bekannte Haupt zum Auftakt des Abends. Überdies sei sie schon einmal hier zu einem Vortrag gewesen, erzählte sie nach der Begrüßung durch Festivalleiter Michael Kleinherne.

Bevor Sabine Haupt aber aus ihrem Debütroman las, schickte sie einiges zur Orientierung voraus, schließlich umfasst ihr im vergangenen Jahr im Bieler Verlag die brotsuppe erschienene Werk 520 Seiten. Hauptperson ist die Journalistin Charlotte, die mit ihrer Verlegerin, Leonie Trinkl-Gahleitner, vereinbart hat, ein Buch über die Kulturgeschichte des Wartens zu schreiben. Titel: "Der Schneewittchen-Komplex". Dazu ist Charlotte mit dem Zug von Genf nach Paris gefahren. Verständliche Begründung: Paris sei eine Quelle der Inspiration. Doch hat dies auch etwas mit ihrem Leben zu tun: Sie kann in der Mansardenwohnung eines in diesem Hitzesommer des Jahres 2013 abwesenden Freundes Philippe wohnen.

Wegen der ungewöhnlichen Temperaturen geht die Protagonistin - wie die anderen in Paris - immer seltener hinaus. So sind die Haupt-Dialogpartner der Journalist Dimiter, den Charlotte hätte treffen wollen, mit dem sie nun aber nur Telefongespräche führt zu ihrem Thema, dem Warten, besser: der Zeit. Neben flüchtigen Begegnungen mit anderen Männern in Paris bleiben dieser Charlotte die erinnerten Gespräche mit eben Philippe, mit dem sie vor 20 Jahren eine Beziehung hatte. Dann sind da noch die erinnerten Sätze Adrians, jenes Mannes, von dem sie sich gerade getrennt hat. Weitere Denkanstöße erhält sie durch die Concierge, deren Name, "Solange", wiederum auf das Warten und die Zeit verweist, liest man ihn auf Deutsch: "so lange". Doch drehen sich die Gespräche dieser unterschiedlichen Frauen um Männer und die Liebe.

Diese Beziehungen, Gedankenwelten und Räume (die Stadt, die Mansardenwohnung, ein Kinosaal etc. ) beschreibt Sabine Haupt - sie las aus dem Anfangs- und dem letzten Kapitel - in einer sehr präzisen, reflektierenden, dabei rhythmisch komponierten und bildreichen Sprache, die sowohl Zeitphilosophie als auch Hinweise auf Literatur umfasst und das Leben der Menschen und der Stadt Paris mit allen Sinnen erfahrbar macht: "Da oben,da leuchten die Sterne" heißt es an einer Stelle, und man meint das Lied für den Laternen-Zug im November summend ergänzen zu können. Doch schon wird man gebremst: "Da unten nicht. Da unten kocht der Dreck", geht es weiter. Bei Sabine Haupt kann man "die Überreste des Tages riechen, sogar schmecken, wenn man den Mund öffnet".

Entsprechend lebhaft gestaltete sich anschließend das Gespräch mit dem Publikum, das mit der in Gießen geborenen, in München und der Schweiz studierten Literaturwissenschaftlerin auch über deren Schreiben diskutierte, über die Struktur und das Konzept des Romans. Ein anregender und kurzweiliger Abend, der Lust machte, dieser klugen Autorin und ihrem spannenden und vielschichtigen Roman zu folgen.

 

„Großer Publikumszuspruch beim Lesefest“ 

Herr Kleinherne, Sie sind Festivalleiter von „LiteraPur“. Was war das Besondere an der achten Auflage?  
Michael Kleinherne: In diesem Jahr hatten wir gleich zwei aktuelle Preisträger. Am ersten Abend Maria Cecilia Barbetta, die kurz vor dem Festival den Chamisso-Preis für ihren Roman „Nachtleuchten“ zugesprochen bekam.  Ulrich Woelk ist der diesjährige Alfred-Döblin-Preisträger, der mit „Der Sommer meiner Mutter“  am zweiten Abend zu Gast war. Das haben wir auch am Zustrom des Publikums gesehen: Zum Beispiel mussten wir in den  Kinosaal im Alten Stadttheater bei Ulrich Woelks Lesung noch Stühle aufstellen. Außerdem las Woelk ausgesprochen konzentriert, und das Publikum hörte ebenso konzentriert zu. 

Das Lesefest ist von Studierenden konzipiert, mit dem Schreibwettbewerb soll es auch anregen, selbst  über das Schreiben und Literatur nachzudenken, es zu versuchen. Welche Bilanz ziehen Sie da?
Kleinherne: Zunächst einmal: Das Festival ist von der Universität gleichermaßen als Verbindung zur Stadt konzipiert. Das ist allein schon an den Leseabenden zu erkennen, die bis auf die letzte Lesung mit Sabine Haupt, in der Stadt selbst und nicht auf dem Campus verortet waren. Die Studierenden stellen einen großen Teil des Publikums, bringen sich mit Fragen  ein. Und sie haben sich wieder rege am Schreibwettbewerb beteiligt mit wirklich sehr, sehr guten Texten zum Thema „Der Sommer, der nie enden sollte“. Alles Prosatexte, zwei davon spielen vor dem Ersten Weltkrieg. Es waren also nicht nur womöglich erwartete „Party“-Texte, sondern auch Texte, die sich mit einer Vergangenheit beschäftigten, die die jungen Menschen nicht selbst erlebt haben. 

Das Festival hat sich bei  den Studierenden und den Eichstättern sowie dem regionalen Publikum etabliert?
Kleinherne: Ja, unser Anspruch, bewusst auf das Literarische zu setzen, ist angekommen. Schließlich waren alle fünf Lesungen sehr gut besucht, nicht nur jene mit den Preisträgern. Und man muss bedenken, dass das Festival innerhalb einer Woche läuft. Wir hatten bei allen Lesungen mehr Besucher  als in den Jahren zuvor. Einzige Ausnahme und Rekordhalter bleibt Uwe Timm bei LiteraPur15  mit „Montaignes Turm“. 

Können wir erwarten, dass Sie uns auch künftig Literaten präsentieren?
Kleinherne: Ganz vorsichtig gesagt: Ja, das hoffe ich. Und es sieht auch so aus, dass die Förderung bleibt. 

Barbara Fröhlich