Ingolstadt
Die Wörtersammlerin

Gerda Biernath eröffnet mit "Zeiten und Zeichen" die Künstlerinnentage

30.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:31 Uhr
Entdeckungsreise: Gerda Biernaths Ausstellung in der Galerie im Stadttheater Ingolstadt ist bis 21. Oktober zu sehen. −Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Diese Vernissage ging unter die Haut.

Mit der Ausstellung von Gerda Biernath, die heuer ihren 75. Geburtstag feierte, startete gestern die 24. Auflage der Ingolstädter Künstlerinnentage in der Galerie des Stadttheaters, wo erstmalig eine umfassende Werkpräsentation Biernaths zu sehen ist.

Patricia Klein erinnerte zum Auftakt der Künstlerinnentage an das Reichswahlrecht, das vor 100 Jahren eingeführt wurde. "Frauen wurden sichtbar, mit ihren Meinungen, ihrer Kritik und Kreativität", fuhr sie fort. Auch die Künstlerinnentage böten Raum für Frauen, sich zu zeigen, "ob schrill, provozierend, nachdenklich, aufrüttelnd oder fantasievoll - sie haben alle etwas zu sagen". "Der Oktober ist eine Frau" gebe die Bühne, um aus dem Schatten der Männer herauszutreten.

Die gesellschaftskritischen Texte von Matthias Claudius, Christa Reinig, Louise Otto-Peters, Luise Schmidt, Inge Müller und Marie Luise Kaschnitz, die Felicitas Löhlein (17) und Mariam Avaliani (19) ergreifend vortrugen, hatte Biernath selbst ausgesucht und den Vortrag mit den beiden gemeinsam erarbeitet. Wie in ihren Werken geht es darin um Menschenrechte und Gerechtigkeit, Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch um das Gegenteil, um Unrecht, Leid, Armut, Krieg, Ausbeutung und Machtmissbrauch. Denen sagt Biernath in ihren 21 gezeigten Werken den Kampf an.

"S'ist leider Krieg" lautet der Titel ihrer großformatigen Arbeit in Mischtechnik auf Karton, die sich aus 160 postkartengroßen Teilen zusammensetzt und mit Symbolen, Wortassoziationen und Wörtern wie "Krieg", "War", "Krisenherd" oder "Objektsuche" teils direkt bedrohlich wirkt, teils mit Euphemismen aufzeigt, wie Sprache verharmlosend, verschleiernd wirken kann. Verstärkt wird das Aufrüttelnd-Bedrohliche noch durch die kontrastreiche Farbgebung in Rot, Schwarz, Weiß und Grau. Entstanden 1998, Anlass sei der Irakkrieg gewesen, verriet Simone Schimpf, die in die Ausstellung einführte und das Wort "Krisenherd" hinterfragte. Ein Herd sei eigentlich etwas Wärmendes - und dann die Kombination mit Krisen? Wie passe das zusammen?

Bedrückend auch die grauen, eng, aber überwiegend unleserlich bekritzelten Tafeln im Eck gegenüber. Die "Grauen Karten" stammen aus dem Jahr 1996 und stellen fiktive Briefe einer KZ-Insassin dar. "Was sie da geschrieben hat, weiß Gerda Biernath selber nicht mehr", sagt Schimpf, "aber darum geht es auch nicht - Schreiben ist der Schlüssel zum Werk der Künstlerin". Wie eine Chronistin sammle Biernath Wörter und Begriffe und setze sie als Bewältigungstherapie wie ein Tagebuchschreiber ein, als Mittel der Aneignung und Bewusstwerdung wie Elemente der "Écriture automatique", des ungesteuerten Schreibflusses, um Unbewusstes ins Bewusstsein zu holen.

Weitere Techniken, derer sich die 75-jährige Ingolstädterin bedient, sind Rastersysteme wie Statistiken oder Diagramme, bürokratische Mittel, mit denen sie mit dem "absurden Verhältnis zwischen Beschriftung und Bild" spiele und versuche, Ordnung in die Dinge zu bringen. Oder jene anprangert, die versuchen, Ordnung hineinzubringen - eine Interpretation, die für die drei Bilder der Serie "Festung Europa" eher zutreffen dürfte. Zwischen Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtelementen setzt Biernath die Stempel "eilt sehr", "erledigt" und zahlreiche Fingerabdrücke.

Aus den 70er-Jahren stammt die Methode der Schreibmaschinenzeichnungen. Dabei werden immer gleiche Buchstaben aneinandergereiht und dann plötzlich von anderen unterbrochen. Wackersdorf und Afrika, den beiden für Biernath prägende Erfahrungen, sind weitere Werke gewidmet.
 

Andrea Hammerl