Augsburg
Die Vernichtung der Humanität

Die Spielzeit am Staatstheater Augsburg beginnt am neuen Ort: Antje Thoms inszeniert Georg Kaisers "Gas" im Gaswerk

09.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:36 Uhr
Herausragender Schauspieler: Andrej Kaminsky im Kühlergebäude. −Foto: Fuhr

Augsburg (DK) Das Theater Augsburg hat mittlerweile jahrelange Erfahrung mit Ersatz- und Interims-Spielstätten.

Dass die durchaus kreative Energie freisetzen und ganz eigene Theatererfahrungen schaffen können, zeigt sich auch bei der Inszenierung von Georg Kaisers Trilogie "Gas". Gespielt wird auf dem alten Gaswerksgelände, genauer im ehemaligen Kühlergebäude. Das Industriedenkmal wird zu einer beeindruckenden Theatermaschine, die Zuschauer sitzen quasi mitten im Maschinenraum.

Schon vor Beginn streichen die Schauspieler als Obdachlose, Arbeitssuchende oder Straßenverkäufer über das Gelände, fantasieren über den Sozialismus, wollen diskutieren oder den Besuchern etwas andrehen. Die haben indes schon etwas bekommen: Kopfhörer. Schon vor der Vorstellung kann man so hören, was die Schauspieler verkünden, auch wenn man nicht direkt neben ihnen steht. Später, nach Beginn, erlebt man Nähe und Distanz gleichzeitig. Man fühlt sich abgekapselt, in einem eigenen Resonanzraum, ist aber gleichzeitig ganz nahe an den Schauspielern, hört ihr Flüstern, als wäre man mitten auf der Bühne, dazu auch Musik und Sounds, oder man erlebt Szenen, die in einem Nebenraum oder draußen vor den Fenstern spielen, dennoch hautnah mit. Man sieht zum Beispiel im ersten Teil, "Die Koralle", die Bedürftigen, die im Gaswerk des Milliardärs anstehen, während man nur hört, wie sie ihn in einem Nebenraum um Almosen bitten. Bühnengeschehen und Text werden so mitunter entkoppelt, die Eindrücke dadurch aber vervielfältigt.

So interessant das Setting der Inszenierung von Antje Thoms ist, so problematisch erscheint sie allerdings inhaltlich. Die drei Stücke "Die Koralle", "Gas I" und "Gas II" sind sperrig, werden inhaltlich und sprachlich immer komplexer und schwer verständlich. Wenn sie in eine Dreistunden-Fassung wie in Augsburg gepresst werden, umso mehr.

Dabei ist der erste Teil - 1917 geschrieben - noch zeittypisch konventionell. Ein Familien- und Generationenstück, das mit dem romantischen Doppelgängermotiv spielt. Der Sohn des Gaswerkbesitzers und Milliardärs will seinem Vater nicht nachfolgen und das Unternehmen übernehmen, stattdessen sieht er seinen Platz bei den Arbeitern, hat sogar an einem Aufstand an seinem Vater teilgenommen. Das ist im Grunde psychologischer Realismus mit einem Vater-Sohn-Konflikt im Zentrum. Im zweiten Teil experimentiert der Sohn - er hat das Werk geerbt - mit Besitz- und Organisationsformen, will einen neuen Menschen formen. Auch das ist zeittypisch: das utopische Potenzial des Sozialismus als große Hoffnung am Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach einer Explosion, die das Gaswerk zerstört, mündet der dritte Teil in eine zerfetzte Dystopie. Vor allem hier ist die Sprache stark expressionistisch, abstrakt, bruchstückhaft, mitunter nur assoziativ verständlich. Immerhin gelingt es durch den Einsatz der Kopfhörer erstaunlicherweise, das Oh-Mensch-Pathos etwas abzufedern. Letztendlich ist das aber alles mit zu breitem Strich und zu großer Geste ausgeführt. Die Inszenierung setzt Akzente und spielt mit Effekten, auf mehr wartet man aber vergeblich. Gerade dadurch eröffnen sich den Schauspielern aber enorme Möglichkeiten, die sie ausschöpfen.

Herausragend dabei etwa Andrej Kaminsky, der zunächst der Milliardär ist, später der Ingenieur, der den Technologiewahn der Zeit (unserer Zeit) verkörpert und die Arbeiter auch nach der Katastrophe zum Weitermachen überredet; oder Roman Pertl, erst der Sohn des Milliardärs, später der Schreiber, im dritten Teil schließlich der "Miliardärarbeiter", der sich mit dem Giftgas, das die Fabrik mittlerweile produziert, selbst umbringt; schließlich Sebastian Müller-Stahl, der die Utopie des neuen Menschen als Sohn des Milliardärs am eigenen Körper, als regelrechte Schauspielkörperarbeit in der Fabrikhalle produziert und zeigt, wie die Hoffnungen, seien es die technologischen, seien es die auf ein neues Lebens jenseits der Industrialisierung, zerstört werden.

So füllen der Ort und das Ensemble die Leerstellen eines Textes und einer Inszenierung, die in ihrem zivilisationskritischen und apokalyptischen Gestus in die Gegenwart zu passen scheinen, ihr aber erstaunlich wenig zu sagen haben.

Nächste Vorstellungen im Gaswerk Augsburg am 11., 17., 19. und 27. Oktober. Telefon (0821) 3244900.

Berndt Herrmann