Ingolstadt
Die Philosophie des Clowns

Im Rahmen des Jugendkultursommers bringen 80 Schülerinnen und Schüler das Leben von Charlie Rivel auf die Bühne

28.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:35 Uhr
Clown Peter Shub (gestreiftes Shirt) und der künstlerische Leiter Josef Eder (rechts) mit einem Teil des Produktionsteams. −Foto: Wirtz

Ingolstadt (DK) Eine rote Nase, übergroße Schuhe, ein bunt zusammengewürfeltes Kostüm mit oder ohne Hut, weiße Schminke im Gesicht: Clowns bringen einen zum Lachen.

Wer sich auf die Suche nach den berühmtesten Spaßmachern der Weltgeschichte macht, der wird an Charlie Rivel und seinem "Akrobat schööön" nicht vorbeikommen. So erging es auch den 80 Jugendlichen, die für ihre Aufführung "LAUGH now - CRY later" nach einem Hauptdarsteller aus dem Zirkus gesucht haben.

Bereits vergangenes Jahr hieß es schon "So ein Tsirkus" beim Jugendkultursommer. Jetzt widmet man sich noch konkreter dem Komik-Register. Wo sonst kaum Berührungspunkte herrschen, erarbeiten Schülerinnen und Schüler der Sir-William-Herschel-Mittelschule, der Gebrüder-Asam-Mittelschule, der Gotthold-Ephraim-Lessing-Mittelschule, der August-Horch-Schule, des Caritas-Zentrums St. Vinzenz, des Christoph-Scheiner-Gymnasiums, der Gnadenthal-Mädchen-Realschule, Auszubildende der Audi AG und Teilnehmende aus den Partnerstädten Ingolstadts nun gemeinsam ein Bewegungstanztheater mit Profis aus den verschiedensten Kunstrichtungen.

Es wird "(k)eine Hommage an Charlie Rivel", wie der Untertitel verlauten lässt. Denn zunächst kommt der Clown-Darsteller bei den Jugendlichen gut an und wird von ihnen als Held stilisiert, beschäftigt man sich genauer mit dem Lebenslauf des Spaniers, wird man schnell vorsichtig. Die Recherche für das Stück hat gezeigt, dass der 1896 geborene Rivel Faschist war und bewundernde Briefe an Adolf Hitler schrieb.

Das Projektteam hatte also die Möglichkeit, einen neuen Protagonisten zu suchen oder die schwierige Thematik im Stück aufzugreifen. Mutig entschied man sich für Letzteres und erzählt jetzt eine Geschichte, die an Rivel angelehnt ist. "Während einer intensiven Probenphase im Schullandheim mussten wir die Jugendlichen dann endlich mit der Wahrheit konfrontieren", erinnert sich Dramaturgin Sonja Kling. "Wir waren erstaunt, wie viel sie schon vom Nationalsozialismus wussten, dadurch konnten wir uns auch mit der Frage beschäftigen: Wie geht man als Künstler damit um? Hat man eine Wahl? "

Die Jugendlichen lernen also nicht nur sich selbst und Teilnehmer aus anderen sozialen Herkünften, Schulen oder Ländern kennen, sondern auch, wie man politisch Stellung bezieht. Diese kritische Auseinandersetzung und die Förderung des Interesses am Zeitgeschehen sind seit jeher das Ziel der Stiftung "Jugend fragt". Seit 2006 richtet sie deswegen den Jugendkultursommer aus, der in einer Theateraufführung endet. Begonnen hat man damals mit "Romeo & Julia" in der alten Viehmarkthalle. Mittlerweile stehen zwei Aufführungen im Festsaal und eine Tour in eine der Partnerstädte auf dem Programm. Auch das Organisationsteam ist gewachsen.

Als künstlerischen Leiter für "LAUGH now - CRY later" hat man diesmal Josef Eder engagiert. Seit über 30 Jahren wirkt er als Choreograf und zeigte zuletzt überwiegendes Interesse in der Zusammenarbeit mit heterogenen Gruppen auf der ganzen Welt. "Ich möchte die Kids einladen, ihr Bestes zu geben", beschreibt er seine Funktion. "Dazu arbeite ich mit ihnen auf Augenhöhe und fordere sehr viel, denn sie können nur so weit gehen, wie ich von ihnen verlange. "

Bei ihm haben die Teilnehmer die Möglichkeit, mutig zu sein, sich voll für ein Projekt einzusetzen und Verständnis für die Abläufe auf einer Bühne zu erlangen. So manch einer träumt schon jetzt von einer Karriere als Schauspieler. So wie die 14-jährige Jessica Chiara, die mit ihrer besten Freundin seit der sechsten Klasse an dem Jugendprojekt teilnimmt. Höchst motiviert sind auch die Teilnehmer der St.-Vinzenz-Schule. "Neben den Schauspielerkollegen aus den anderen Schulen entwickeln die Schüler unseres Förderzentrums einen besonderen Ehrgeiz, mit den anderen mitzuhalten", verrät Betreuerin Josefine Haunus.

Doch wer könnte den Kindern bei all den Betreuern und Spezialisten denn nun am besten die Attitüde eines Clowns vermitteln? Jemand, der diese Philosophie schon perfekt in seinen Alltag integriert hat. Jemand, der bereits mit namhaften Showhäusern zusammengearbeitet hat und unter anderem im Circus Roncalli, dem Cirque du Soleil oder in Monte Carlo zu Gast war: Peter Shub. Der US-Amerikaner hat sich für einen Nachmittag Zeit genommen, den Jugendlichen das Handwerkszeug der roten Nasen beizubringen.

Wie zeigt man als echter Clown Emotionen, ohne etwas zu sagen? Mit den Augen, den Händen, den Füßen, der Körperhaltung und Interaktion. So schafft es Shub, aus den jungen Akteuren ein Zirkuspublikum zu zaubern: Die Jugendlichen sitzen im Halbkreis auf Pappkartons und bestaunen eine imaginäre Akrobatin, die ihre Kunststücke in luftiger Höhe präsentiert, während das gestellte Publikum staunt, applaudiert, lacht, anhimmelt, erleichtert ausatmet, Taschentücher zückt und auf die Schenkel klopft. Nach der Szene erhalten die Jungschauspieler sofort Feedback. Bevor sich Shub verabschiedet, gibt er seinen Lehrlingen noch etwas auf den Weg: Als Clown nimmt man sich eines Problems an und macht daraus etwas Lustiges. Diese Einstellung können sich die Schüler vermutlich für ihr ganzes Leben bewahren.

Und warum sind die Kinder mit Feuereifer bei der Sache, während andere bei dieser Hitze ins Freibad gehen? Die Zwölfjährige Dzana von der Ickstatt- Realschule möchte neue Freunde finden. Zwar betreibt sie auch rhythmische Sportgymnastik, lernt aber immer gern neue Bewegungen dazu. Dinis von der August-Horch-Schule hat bisher Fußball gespielt, doch das Theater macht dem 13-Jährigen mehr Spaß: "Hier kann ich alle Emotionen rauslassen und einfach eine andere Person spielen. " Diese Beobachtung bestätigt auch die Vorsitzende der Stiftung, Monika Müller-Braun: "Die Kinder lernen sich zu zeigen, wie sie es im Klassen- oder Familienverband sonst oft nicht können. "

Dass noch viel Arbeit in den letzten Vorbereitungswochen steckt, ist der Projektgruppe bewusst. Zu Beginn haben sie sich einmal in der Woche getroffen, da blieb noch viel Zeit zum Improvisieren und Ausprobieren. Manches davon findet dann sogar einen Platz in der endgültigen Aufführung. Mittlerweile treffen sie sich jeden Nachmittag zur Probe. Nächstes Wochenende stoßen dann erstmals die Schüler aus den Partnerstädten Murska Sobota, Györ, Carrara, Kragujevac und Opole hinzu.

Wie und in welcher Form Charlie Rivel am Ende zu sehen sein wird, wurde während der Probenphase noch nicht verraten. Doch eines ist sicher: Es wird gelacht, geweint, geliebt und gestaunt. Wie das ohne Worte bewerkstelligt werden soll, das zeigt sich bei der Premiere Mitte Juli.

Vorstellungen am 16. und 18. Juli um 19.30 Uhr im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. Karten in der DK-Geschäftsstelle und am Ticketservice im Westpark.

Katharina Wirtz