Augsburg
Die Mechanik der Theaterträume

Viel Applaus für Peter Shaffers "Amadeus" am Staatstheater Augsburg unter der Regie von David Ortmann

18.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:59 Uhr
"Amadeus" von Peter Shaffer ist eines der erfolgreichsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts: Der Theaterkrimi beleuchtet das Leben des musikalischen Genies Wolfgang Amadeus Mozart (Anatol Käbisch) aus den Augen seines Konkurrenten Antonio Salieri. −Foto: Fuhr

Augsburg (DK) Er ist wie Gott und gleichzeitig wie ein obszönes Kind. Daran muss man verzweifeln. Vor allem wenn man dieses Genie, das sich alles erlaubt und dem alles gelingt, als Konkurrenten betrachtet.

Mehr als das: Als eine Heimsuchung, die die gesamte eigene Existenz in Frage stellt. So ergeht es Antonio Salieri, der spätestens seit Milo? Formans Film "Amadeus" als Gegenspieler Wolfgang Amadeus Mozarts und als dessen vermeintlicher Mörder durch die (Pop-)Kulturwelt geistert. Die Augsburger Inszenierung von Peter Shaffers "Amadeus" emanzipiert sich erfreulicherweise von dem dominanten Vorbild und findet ihre ganz eigene Ästhetik. Dennoch bleibt sie - bei der Premiere viel und freundlich beklatscht - einiges schuldig.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass Shaffers Stück im Grunde psychologisch und intellektuell etwas dünn ist. Dass man sich in Augsburg durchaus von der Vorlage entfernt, ändert daran wenig. Die Grundkonstellation ist klar und entwickelt sich wenig. Hier Mozart, das kindliche Genie mit dem Hang zu Vulgarität und Fäkalsprache. In knalligem Kostüm mit rotem Netzwerk (Kostüme: Ursula Bergmann) springt Anatol Käbisch über die Bühne, ein Rock'n'Roller, der die Konventionen weniger bewusst ablehnt, als sie eher unbedarft ignoriert. Er ist überdreht, voller Ideen, exaltiert, hinreißend und unerträglich. Dort: Der Salieri von Thomas Prazak, ganz das Gegenteil. Wie ein bleicher Untoter der Musikgeschichte wankt und schwankt er mitunter daher, farblos, ein redlicher Arbeiter, den der Staub der Jahrhunderte und seiner Musik umgibt - dabei ist er heute längst als bedeutender Komponist anerkannt.
Das sagt ihm auch Marlene Hoffmann, die eine eigentümliche Doppelrolle hat. Zum einen als Constanze, zum anderen als Dr. Sandra Hermann. Eine in die Rahmenhandlung integrierte Figur aus der Gegenwart, der Salieri die Geschichte erzählt. Dr. Hermann kommentiert, ergänzt Salieris Sicht der Geschichte. Eine Art historisches Korrektiv, das die Fiktion immer wieder unterbricht, eine Anleihe aus dem epischen Theater. Mal notiert sie beflissen in ihr rotes Notizbuch, was Salieri erzählt, dann schlüpft sie wieder in Reifrock und Korsett und muss seinen Nachstellungen entkommen. So recht findet Marlene Hoffmann in keine Seite dieser Doppelfigur, was weniger an ihr, als an der eher unglücklichen Konstruktion der Rolle liegt.

Nur eine der offensichtlichen Bauschwächen des mehrfach überarbeiteten Dramas. Zwischen Rahmenerzählung und szenischen Passagen wird viel referiert, Klaus Müller, Kai Windhövel und Sebastian Baumgart dürfen als Hofschranzen den komödiantischen Part übernehmen, Sebastian Müller-Stahl gibt Kaiser Joseph II. wie man es erwartet, als etwas dümmlichen, aber wohlwollenden Förderer Mozarts.

Sie alle zusammen bewegen sich in einem doppelten Raum. Jürgen Lier (Ausstattung) macht die Idee der Bühne auf der Bühne zum zentralen Bild. Aber diese Barockbühne ist keine Illusionsmaschine, vielmehr wird diese Maschinerie dekonstruiert. Sie wird abgebaut, ist bloß noch eine Holzkonstruktion, die gedreht und gewendet, auseinander- und wieder zusammengebaut wird und den Blick in die Mechanik der Fiktionen und Theaterträume ermöglicht. Eine schöne Idee, die aber immer mehr ihre Überzeugungskraft verliert, das Geklettere und Geschiebe der Schauspieler wirkt zunehmend unmotiviert.

Die Handlung läuft in den vorgezeichneten Bahnen: Mozart hüpft mit Leichtigkeit von Erfolg zu Erfolg, schreibt die Musik, die er fertig im Kopf hat, einfach nur ab, und Salieri, tief verletzt, wendet sich von Gott, den er mit seiner Musik eigentlich preisen wollte, ab und hat kein anderes Ziel mehr, als Mozart zu zerstören. Denn, vielleicht die tiefste Kränkung: Wenn er Mozarts Musik hört, erzählt, was sie in ihm auslöst, was er empfindet, dann hört er das Göttliche. Das, was er wollte und nie erreichte. Salieri spricht über Mozarts Musik: Es sind mit die stärksten Momente des Abends.

Aber eigentlich können Prazak und Käbisch erst ganz zum Schluss zeigen, was sie können. Im Bewusstsein des drohenden Todes verlässt Mozart sein Selbstbewusstsein, erstmals hadert er mit einer Komposition. Er spukt Blut, so rot wie sein Kostüm, auf die Notenblätter, krümmt und windet sich, und Salieri entdeckt in sich, hinter dem Neid, dem Zorn und dem Hass, etwas wie Nähe und Freundschaft zu Wolfgang Amadeus. Erst am Ende gewinnt der Abend, der allzu lange etwas boulevardesk dahingeplätschert ist, Tiefe und Überzeugungskraft und verdient sich so (zu) spät den Applaus des Premierenpublikums.

ZUM STÜCK
Theater:
Staatstheater Augsburg,
Martini-Park
Regie:
David Ortmann
Bühne:
Jürgen Lier
Kostüme:
Ursula Bergmann
Läuft bis:
17. Mai
Kartentelefon:
(0821) 3244900

Berndt Herrmann