Die Legende vom Tod der klassischen Musik

Pekka Kuusisto spricht über sein Konzert im Ingolstädter Klenzepark, Volksmusik und seine Doppelfunktion als Geiger und Orchesterleiter. Er tritt heute Abend mit dem Mahler Chamber Orchestra auf und am Mittwoch im Museum für Konkrete Kunst mit Patricia Kopatchinskaja. <?ZuVor "8dp">

12.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:05 Uhr
  −Foto: Fotos: Weinretter

Pekka Kuusisto spricht über sein Konzert im Ingolstädter Klenzepark, Volksmusik und seine Doppelfunktion als Geiger und Orchesterleiter. Er tritt heute Abend mit dem Mahler Chamber Orchestra auf und am Mittwoch im Museum für Konkrete Kunst mit Patricia Kopatchinskaja.

Ingolstadt (DK) Pekka Kuusisto ist rastlos. Erst sitzt er am Konzertmeisterpult des Mahler Chamber Orchestra, dann springt er auf, dirigiert mit den Händen, unterbricht, erläutert, spielt vor. Er ist ein Tausendsassa, weil er gleich zwei Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen hat: Dirigieren und Geige spielen. Die Orchestermusiker im Ingolstädter Festsaal sitzen buchstäblich auf den Stuhlkanten. Sie hängen an seinen Lippen, und man merkt ihnen den Spaß an, wenn sie zusammen musizieren. Geprobt wird Edvard Griegs Suite "Aus Holbergs Zeit". Später im Künstlerzimmer wirkt Kuusisto entspannt und konzentriert, beantwortet die Interviewfragen so authentisch wie möglich und sucht dabei zögerlich immer wieder nach der genau richtigen Formulierung.

Herr Kuusisto, Sie geben ein Konzert vor einer riesigen Menge Menschen. Menschen, die zum Teil eher selten klassische Musik hören. Was für ein Programm passt am besten für ein solches, eher lockeres Konzert?
Pekka Kuusisto: Der erste Teil des Konzerts ist emotional sehr eindeutig: traurige Musik folgt auf glückliche Musik, die auf traurige folgt. Außerdem: Die Stücke sind fast alle sehr kurz. Wir spielen zudem eine Auswahl Volksmusik, aus Finnland und auch aus Schweden. Und die haben sehr klare harmonische und rhythmische Strukturen. Wir werden auf sehr einfache Weise, die Freude am Musizieren vermitteln. Das werden mit Sicherheit auch die 10 000 Menschen auf dem Feld spüren.

Sie spielen aber auch sehr moderne Musik, etwa ein Werk des Finnen Einojuhani Rautavaara.
Kuusisto: Sein Stück "Cantus Arcticus" gehört zu den Werken, die die Angst vor klassischer, moderner Musik ziemlich leicht zum Verschwinden bringt. Es funktioniert wie ein Party-Trick: Es ist ein Choral für Orchester, begleitet von Vogelstimmen.

Bei klassischer Musik sollte man eigentlich gut gekleidet sein, ruhig sein, nicht zwischen den Sätzen klatschen und vor allem nicht essen. Das alles wird beim Open-Air hier nicht wirklich gelten. Stört Sie das?
Kuusisto: Nein, überhaupt nicht. Wenn es nach mir ginge, sollten wir das häufiger so machen. Ich lege auf die Etikette der klassischen Musik keinen Wert. Viele Leute, die normale Konzerte besuchen, hier beim Konzertverein oder in München bei den BR-Symphonikern, werden sich nicht sehr wohl fühlen, wenn sie nicht genau wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wann sie klatschen sollen usw. Ich finde, das hilft nicht unbedingt, die Botschaft der Musik rüberzubringen.

Sie spielen und dirigieren gleichzeitig. Ist es nicht einfacher, mit einem Dirigenten zu arbeiten?
Kuusisto: Vielleicht hat das ja etwas mit den Kosten zu tun (lacht). Es ist fast schon ein Trend, dass man zurückkehrt zu der Tradition, dass zumindest kleinere, kammermusikalische Stücke wieder vom Orchester ohne Dirigent gespielt werden. Das größte Werk an dem Abend ist die erste Sinfonie von Beethoven. Die Musiker können das so gut, die brauchen niemanden, der ihnen die Einsätze gibt. Wir spielen das, als wäre es Kammermusik, jeder atmet mit den anderen mit und bewegt sich mit den anderen.

Mögen Sie diese Arte des Musizierens?
Kuusisto: Ja. Ich praktiziere das bereits den größten Teil meines beruflichen Lebens. Ohne Dirigent trete ich in Deutschland etwa dreimal pro Jahr mit der Kammerphilharmonie Bremen auf. Sogar die großen symphonischen Orchester suchen inzwischen nach Gelegenheit, zumindest ein bestimmtes Repertoire auch ohne Dirigenten aufzuführen. Und nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Ein Kollege von mir erzählte mir nach so einem Erlebnis: Man wird daran erinnert, was für fantastische Musiker im Orchester sind. Jeder einzelne Musiker übernimmt dann Verantwortung, identifiziert sich mit der Musik.

Muss man anders spielen, wenn man ein Open-Air-Konzert gibt als etwa in einem geschlossenen Konzertsaal?
Kuusisto: Das werden wir noch herausfinden. Es hängt sehr stark davon ab, wie die elektronische Verstärkung im Klenzepark funktioniert. Wie viel werden wir Musiker von den Lautsprechern hören? Das werden wir dann bei der Probe erleben. Wir wollen die Beethoven-Sinfonie sehr schnell nehmen. Wenn der Klang dann verschwimmt, werden wir die Artikulation etwas anders nehmen müssen.
Nach dem Open-Air-Konzert geben Sie noch ein ziemlich kleines Konzert im Museum mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Warum gerade mit ihr?
Kuusisto: Wir spielten früher zusammen in einem Streichquartett. Es war wunderbar, es konnte nicht besser sein. Aber: Wenn es Schwierigkeiten gab, hätte es nicht schlimmer sein können. Die Arbeit mit ihr gehört zu diesen Erlebnissen, wo man so emotionalisiert ist, dass man glaubt, wenn es nicht richtig klappt, dass das eigene Leben kollabiert. Am Ende haben wir entschieden, dass es besser ist, wenn wir Freunde ohne Quartett sind als Feinde in einem Quartett. Wir haben inzwischen drei Jahren nicht mehr zusammen gespielt. Ich war so überglücklich, dass sie Zeit hat zu kommen. Wenn wir zusammen spielen, dann fühlt sich das an, als wenn wir ein Land betreten, das nur uns gehört.

Sie gehören zu den wenigen klassischen Geigern, die auch Jazz und Volksmusik spielen. Ist es wichtig für Sie, auch noch etwas anderes zu spielen als klassische Musik?
Kuusisto: Ja, das ist wichtig. Ich habe das von meinem Vater übernommen. Er ist in erster Linie Opernkomponist. Sein musikalisches Leben begann eher zufällig. Er war eigentlich Seemann. Aber seine Eltern bemerkten, dass er musikalisch war. Also ging er nach New York, um Kirchenmusik zu studieren. Während seiner Fullbright-Jahre in New York, ging er auch in Jazz-Clubs - und das änderte sein Leben. Diese Freiheit des Musizierens überzeugte ihn davon, Musiker zu werden. Obwohl er dann Opern komponierte, blieb ihm die stilistische Freiheit, auch sehr unterschiedliche Dinge anzugehen, elektronische Musik etwa. Er war regelmäßig bei den Darmstädter Tagen für neue Musik. Wenn wir etwa jetzt den Tanz von Jean Sibelius proben und danach einen echten Folksong, dann spürt man sofort wie der Klang des Orchesters sich ändert. Und wir können Momente von dem Klang dieses Folksongs übernehmen, etwas, was nicht wirklich nach romantischer Musik klingt, aber richtig ist für Sibelius.

Sie spielen mit dem Mahler Chamber Orchestra. Warum dieses Orchester?
Kuusisto: Dieses Konzert ist der Beginn einer offiziellen Partnerschaft. Das Orchester wählt sich eine Gruppe von Künstlern, mit denen es regelmäßig intensiver zusammenarbeiten will. Ich gehöre jetzt zu dieser Familie, und ich bin sehr glücklich darüber.

Muss klassische Musik populärer werden - in dem Sinne, wie David Garrett es meint?
Kuusisto: Ich weiß nicht genau, ob das funktioniert. Für mich ist das fast eine philosophische Frage: Bringt man mehr Leute zur klassischen Musik, wenn ein Künstler wie Garrett Rockmusik in klassischer Weise musiziert? Oder ist es umgekehrt, dass man klassische Musik in ein neues Umfeld pflanzt?

Hat die klassische Musik eine Zukunft?
Kuusisto: Ja. Ich glaube, wir tun vielleicht nicht alles, um die Zukunft dieser Musik zu sichern. Aber ich bin positiv gestimmt, dass zumindest diese Generation nicht die Macht hat, diese Musik zu zerstören. Ich habe kürzlich eine Konzertkritik gelesen, ich glaube aus der "Times". Sie erschien etwa 1920. Der Kritiker schrieb, in zehn oder fünfzehn Jahren würde es keine Kammermusik mehr geben, weil jetzt schon so viele Konzertgänger alt und grauhaarig wären. Wenn wir heute die Zeitung aufschlagen, lesen wir dasselbe. Aber die Klassik lebt. Der Musikwissenschaftler Charles Rosen hat geschrieben: Die Legende vom Tod der klassischen Musik ist ihre längste Tradition.

Es besteht also Hoffnung.
Kuusisto: Wenn das Internet wirklich funktioniert, dann wird es immer schwieriger für große CD-Lables einen uniformen Musikgeschmack durchzusetzen. Wir haben nun die Möglichkeit, uns über unglaublich viele Musikstile zu informieren. Wir können auf Youtube hören, wie Indianermusik klingt zum Beispiel. In der Popmusik kann man bereits beobachten, dass bei den Festivals eine riesige stilistische Spannbreite angeboten wird. Das ist ein Trend, von dem die klassische Musik profitieren wird, besonders die zeitgenössische Musik. Es gibt bereits in den Metropolen eine Bewegung hin zu dieser Musik. Und das hat nichts mit Geld und Prestige zu tun. Es ist etwas, was man in seinem Leben spüren möchte. Wenn der Teil der klassischen Musik, der viel mit eleganten Kleidern und High Society zu tun hat unter dieser Tendenz leidet, dann bin ich der Letzte, der das bedauern würde. Wenn es mehr um das echte Leben geht, dann finde ich das gut.

Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.