Ingolstadt
Die Kunst des Zum-Lachen-Bringens

Die Tragik des Clowns: Frenetischer Beifall für das Jugendtanztheaterprojekt "LAUGH now - CRY later" im Ingolstädter Festsaal

17.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:50 Uhr
Eindrucksvolle Bildsprache: 80 Jugendlichen schlüpfen nicht nur in die Rollen von Clowns, sie sind auch Publikum oder bilden die Bevölkerung ab, die unter den Schrecken des Krieges (oben) zu leiden hat. Und wie hält man das Leben als ewiger Spaßmacher aus? Charlie Rivel (unten) schafft eine öffentliche Figur - und lässt die private verschwinden. Artur Falkenberg (auf dem Arm) und Robert Hogger teilen sich die Rolle und faszinieren jeder auf seine Art. Heute, Donnerstag, gibt es um 19.30 Uhr eine weitere Vorstellung im Festsaal. Danach ist ein Gastspiel in Murska Sobota geplant. −Foto: Sonderwald

Ingolstadt (DK) Ein Lächeln umspielt ihre Gesichter.

Sie schmachten. Sie seufzen. Hand ans Herz. Schöööön. Die Köpfe gehen nach rechts, nach links, nach oben. Begeisterung. Dann Entsetzen. Der Atem stockt. Und - erlösender Applaus. Trommelwirbel kündigt die nächste Attraktion an. Ein Spot auf den Bühnenhimmel. Gespannte Stille im Publikum. Im nächsten Augenblick ein Schrei - und die Seiltänzerin liegt reglos auf dem Boden der Manege. Doch die Show muss weitergehen. Her mit dem Clown. Der soll alle wieder zum Lachen bringen. Schaut ihn euch an: Mit seiner roten Clownsnase und den roten Haaren, die um die Halbglatze explodieren, mit dem Trikot, das an dem schmalen Körper bis zum Boden schlackert, so dass nur noch die riesenhaften Schuhe hervorlugen. Mit dem Watschelgang eines Pinguins und diesem Stühlchen, mit dem er sich unermüdlich abmüht. Ist das nicht komisch? Die Leute lachen und lachen und lachen - und keiner kümmert sich darum, wie es in ihm aussieht. Denn die Seiltänzerin - die war sein Mädchen.

Was für eine beeindruckende Szene in dem Tanztheater "LAUGH now - CRY later" (Lache jetzt - weine später), das im Rahmen des Jugendkultursommers am Dienstagabend im Festsaal des Stadttheaters Premiere hatte. Auf der Bühne: 80 Jugendliche aus Ingolstädter Bildungseinrichtungen wie der August-Horch-Schule, dem Caritas-Zentrum St. Vinzenz, der Sir-William-Herrschel-Mittelschule, der Gotthold-Ephraim-Lessing-Mittelschule, der Gnadenthal-Mädchenrealschule, dem Christoph-Scheiner-Gymnasium und Auszubildende in der Einstiegsqualifizierung der Audi AG sowie Jugendliche aus den Partnerstädten Murska Sobota (Slowenien), Györ (Ungarn), Opole (Polen), Kragujevac (Serbien) und Carrara (Italien). Es geht um Integration, Inklusion und internationale Kulturarbeit. Aber vor allem geht es ums gemeinsame Geschichtenerzählen.

Und dafür hat sich die "Stiftung Jugend fragt" als Veranstalter ein spannendes Thema ausgesucht: Clowns. Tollpatschige Wesen in zu großen Schuhen und mit zu kleinem Mut, die unerbittlich gegen die Tücke des Objekts ankämpfen, jede Menge Fußtritte abkriegen oder sich voller Eifer in Sinnlosigkeiten verlieren. Die die kleinen Probleme des Alltags ins Überdimensionale vergrößern. Die dabei so schrill weinen können, dass alles lacht. Und die so den Zuschauern den Spiegel vorhalten. Wie hier. Denn das eingangs beschriebene Publikum, das da sitzt und schaut, mitleidet und mitlacht, besteht aus Schauspielern. Aus Tänzern. Wir blicken auf uns selbst, soll das heißen, auch wenn diese Geschichte eine aus der Vergangenheit ist. Eine, die uns Heutigen etwas erzählen kann.

Josef Eder, der künstlerische Leiter dieser Tanztheaterproduktion, hat ins Zentrum einen der ganz Großen gestellt: den spanischen Clown Charlie Rivel (1896-1983), der aus einer Zirkusfamilie stammte und als "Akrobat Schöön" Furore machte. Ein Grenzgänger zwischen Lachen und Weinen - sowohl von seiner Biografie her als auch in seiner Profession. Er wuchs als José Andreu im Schatten von Zirkuszelten auf, begann seine Karriere mit einer Chaplin-Parodie und übernahm später den Vornamen seines großen Vorbilds. Er wurde geliebt und verehrt - von großen Staatsmännern und kleinen Leuten. Aber er hatte auch eine dunkle Seite: Charlie Rivel war ein Bewunderer Hitlers und stand offenbar auch den spanischen Faschisten nahe. In der Ingolstädter Fassung, die sich an die Biografie Rivels anlehnt, aber darüber hinaus von der aufregenden und mühsamen Zirkuswelt, der Rolle der Clowns und der Gesellschaft schlechthin erzählt, wird dieser Aspekt nicht ausgespart. Und geht es im Besonderen um die Rolle des Künstlers im Nationalsozialismus (Anpassung oder Widerstand? ), dann geht es im Allgemeinen darum, Haltung zu zeigen. Heute mehr denn je.

Das Bild, das Josef Eder sich für Rivels nennen wir es mal "problematisch unpolitisches Verhalten" in dunkler Zeit ausgedacht hat, ist so einfach wie berückend: Auf dem Höhepunkt seines Ruhms tobt der Krieg. Ins dumpfe Dröhnen aus den Lautsprechern mischen sich Sirenen. Die Tänzer bilden eine Masse aus braun-grau-farbenen Anzugträgern, die sich in Zeitlupe bewegt, flieht, kämpft, fällt. Die Bühne ist zum Schlachtfeld geworden. Aber ganz hinten thront der Clown, schminkt sich im Spiegel und übersieht demonstrativ, was um ihn herum vor sich geht.

Überhaupt sind Josef Eders Choreografien von faszinierender Intensität. Und wie er den 80 Jugendlichen ihre Rollen auf den Leib geschneidert hat, ist unglaublich. Soziale oder kulturelle Herkunft, Schulart, Alter oder körperliches Handicap ist hier nicht von Belang. Die 80 bilden eine eingeschworene Gemeinschaft, zaubern das komplexe Thema mit Anmut und Leichtigkeit und in kühner Bildsprache auf die Bühne und agieren in einer Kompaktheit und mit einer Energie, die sich aufs Publikum überträgt. Man schaut und staunt. Denn wundersam vermengt sich alles zu einem Gesamtkunstwerk: die exakt ausgearbeiteten Massenszenen, die virtuose Umständlichkeit der Clownereien, der Mix aus Glamour und Nostalgie, Ticks und Kreationen, die Spiegelungen und Perspektivwechsel, die Nutzung des Bühnenraums, die Wandlungsfähigkeit von Kartons, die durchdachten Tempi, die Auswahl von Musik und Kostümen (Katharina Dobner) und vor allem die Spielfreude der Protagonisten, die am Ende mit frenetischem Beifall gefeiert werden. "LAUGH now - CRY later": eine erstaunliche Produktion in jeder Hinsicht. Zum Lachen, zum Weinen, zum Weiterdenken!

DER CHOREOGRAF
Josef Eder war Regensburger Domspatz, ließ sich zum Landwirt ausbilden und sollte eigentlich den elterlichen Hof im Bayerischen Wald übernehmen. Doch dann bereiste er lieber die Welt als Matrose, bis er durch die Begegnung mit dem Choreografen James Saunders seine Leidenschaft für den Tanz entdeckte. Zunächst arbeitete er als Tänzer, seit 1994 als Choreograf und war in dieser Funktion etwa für das Singspiel auf dem Nockherberg 2018 "Die glorreiche 7" verantwortlich. Auch als Schauspieler machte er sich einen Namen - etwa als Karl Valentin im Münchener Valentin-Karlstadt-Theater sowie in verschiedenen bayerischen Serien. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er als Dozent international mit Tänzern, Schauspielern, Musikern, Pädagogen und Amateuren.

Anja Witzke