Die Eroberung des digitalen Raums

Tina Lorenz ist Projektleiterin für Digitale Entwicklung am Staatstheater Augsburg - und erkundet die Möglichen von Twitch und VR-Technik

22.12.2020 | Stand 23.09.2023, 16:09 Uhr
  −Foto: Staatstheater Augsburg

Augsburg - "Meine Vision ist, dass künftig digitale Theaterarbeit an einem Mehrspartenhaus ebenso selbstverständlich ist wie Schauspiel, Oper und Ballett", sagt André Bücker, Intendant des Staatstheaters Augsburg.

Er hat schon im Sommer die Stelle Projektleitung für Digitale Entwicklung an seinem Haus geschaffen: "Ich wollte das Thema Digitalität strukturell am Haus verankern und ein Zeichen dafür setzen, dass digitale Theaterarbeit nicht nur ein Lückenfüller ist, sondern eine eigene Sparte mit besonderen Prozessen und neuem Publikum. Neben den riesigen kreativen Möglichkeiten der digitalen Theaterwelten ist die Digitalisierung auch in den verschiedenen Abteilungen des Hauses sowohl ein Gegenwarts- als auch ein Zukunftsthema, sei es in Technik, Verwaltung oder Besucherservice. "

Anforderungsprofil? Tina Lorenz lacht. "Es gab kein Anforderungsprofil für diesen Job, weil ich ihn gerade erst erfinde. " Die gebürtige Berlinerin "diffundierte mit 18 in den Chaos Computer Club", studierte dann aber Theaterwissenschaft und Amerikanische Literaturgeschichte in Wien und München, war Dozentin für Theatergeschichte an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern, später Dramaturgin am Landestheater Oberpfalz und Referentin für digitale Kommunikation am Staatstheater Nürnberg. Sie ist Gründungsmitglied der Hackspaces metalab Vienna und Binary Kitchen Regensburg und sitzt in der Auswahlkommission der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität. Seit 2012 publiziert sie zum Thema digitales Theater.

Hier in Augsburg hat sie mehrer Aufgabenfelder. "Weil das Haus gerade zu ist, ist das operative Geschäft sehr dominant. Denn nur über digitale Kanäle erreichen wir derzeit das Publikum. Wir überlegen also, welche Art von Geschichten man in welchem Kanal online erzählen kann. Wie schaffen wir eine Raumerweiterung ins Virtuelle? ", erklärt Tina Lorenz. Daneben arbeitet sie an der digitalen Vermittlung ("sowohl vor als auch hinter der Bühne") und an der digitalen Gesamtstrategie des Hauses. Und natürlich wird sie derzeit viel um Rat gefragt. "Ich lerne gerade die deutsche Theaterlandschaft in Einzeltelefonaten kennen. "

Längst hat Intendant André Bücker das ganze Haus mit seiner Neugier auf die Eroberung des digitalen Raums angesteckt. "Die Schreinerei bastelt 3-D-Bühnenbilder, die Theaterpädagogik plant Online-Workshops, alle Gewerke sind total offen", berichtet Tina Lorenz. Die hochgelobten VR-Inszenierungen werden seit kurzem bundesweit und ab Februar 2021 auch für Schulklassen angeboten. "Wir probieren auch viel auf Twitch aus. Das ist für Theater generell ein neuer Kanal, denn anders als auf YouTube oder Vimeo wird nicht nur gestreamt, hier gibt es eine Community. Das Publikum sieht also nicht nur zu, sondern kann sich aktiv im Chat beteiligen. Theater ist ja nie nur Sendung. Theater ist immer auch Feedback. Es braucht diese Co-Präsenz. Wir lernen immer noch, wie diese Plattform genau funktioniert", erklärt Tina Lorenz. Und gerade arbeitet sie an einer "keimfreien" Theaterführung, bei der Smartphone und Saugroboter die Hauptrollen spielen. Der Saugroboter kurvt mit dem aufgeschnallten Smartphone durch Theaterräume und -gänge. Das WLAN überträgt die Daten an den Rechner und der streamt an Twitch. "Oft braucht man keine exorbitante Technik, sondern nur eine Idee", meint Tina Lorenz.

Außerdem hat das Haus ein großes Förderprojekt an Land gezogen. Im Rahmen des Programms "dive in" hat die Kulturstiftung des Bundes unter mehr als 500 eingereichten Anträgen das Projekt des Staatstheaters Augsburg ausgewählt - mit der Idee einer Plattform für Virtual-Reality-Theater. Gefördert wird das Projekt mit bis zu 200000 Euro.

DK

Anja Witzke