Die Apokalypse als bunte Show

Uraufführung von Kevin Rittbergers "Kassandra" und "Prometheus" im Münchner Marstalltheater

22.12.2019 | Stand 02.12.2020, 12:20 Uhr
Aufforderung zur Menschliebe: Noah Saavedra in "Kassandra/Prometheus" im Münchner Marstall. −Foto: Hupfeld

München - Nein, Tragödien aus dem antiken Griechenland sind die beiden Stücke auf keinen Fall, aber immerhin Paraphrasen über die beiden Figuren aus der griechischen Mythologie, die in Kevin Rittbergers Version ins Hier und Heute geholt werden.

Die Bedeutung der beiden Gestalten für die Würde der Menschen in der Gegenwart hat der 42-jährige Autor in dieser Auftragsarbeit des Residenztheaters in den Mittelpunkt seiner beiden Arbeiten mit dem sperrigen Titel "Kassandra/Prometheus. Recht auf Welt" gestellt. Doch was destillierte der Regisseur Peter Kastenmüller aus diesen Menetekeln über den Zustand und die Zukunft unseres Planeten und dessen Bewohner? Einen bunten Abend mit ernstem Hintergrund.

Ist Kassandra, die trojanische Prinzessin die Seherin des kommenden Unheils, so transponierte Kevin Rittberger ihre düsteren Prophezeiungen in die Realität des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer. Über der Bühne ein Plakat, auf dem ein junger Mann mit Jakobinermütze der Französischen Revolution durch einen Trichter die Sprechblase "Human" trötet: Aufforderung zur Menschlichkeit und zur Menschenliebe und zugleich roter Faden durch die locker zusammengestellten Szenen von der brutalen Herrschaft der europäischen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert in Afrika bis zu den heutigen Fluchtursachen der Bewohner zwischen Libyen und der Sahara: Auf der Leinwand Fotos der Dürrekatastrophe mit ausgemergelten Menschen, toten Tieren und abgestorbenen Bäumen. Dazu ein authentischer Erlebnisbericht der Flüchtlingstragödie einer Nigerianerin: Not und Elend in der Heimat, auf der Flucht Vergewaltigungen und üble Abzocke der mafios organisierten "Fluchthelfer". Dann ständige Angst vor dem Kentern des Schiffes und dem Ertrinken im Mittelmeer. Und schließlich die traurigen Erfahrungen über die nicht Willkommenen in den italienischen Häfen und in den deutschen Aufnahmelagern.

Von Europa als Hort der Freiheit und der Humanität träumten sie und wurden bitter enttäuscht. Polizeiwillkür nach der Rettung und Videos von Neonazi-Aufmärschen, von Dumpfbacken-Demos und Hasstiraden im Netz. Und dies alles in Peter Kastenmüllers Inszenierung als Las-Vegas-Show mit Comic-Einlagen. Wie passt das zusammen? Zunächst ist diese makabre Kombination ja reichlich irritierend, aber die intensive Darstellung der elfköpfigen Crew der Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter auch Farbige mit Migrationshintergrund in authentischen afrikanischen Gewändern und Fantasiekostümen, macht, je länger, desto stärker, durchaus betroffen. Hinter den quietischbunt blinkenden Neonröhren und dem Bühnenbildzinnober steckt das Grauen.

Schade nur, dass das zweite Stück über Prometheus, immerhin der legendäre Überbringer des Feuers und der Schöpfer der Menschen als Ebenbild der Götter, zu einer allzu melodramatischen und auch trivialen Collage über die Apokalypse ausufert: Von der brutalen Zerstörung der antiken Kunstschätze in Syrien durch die Barbaren des Islamischen Staates über das Unglück des Atomkraftwerkes in Fukushima bis zum finalen Weltenbrand in Video-Einblendungen jagt ein Fanal das nächste. Das zeitweilige chorische Sprechen als Reminiszenz an die griechischen Tragödien ist zwar ebenso eindrucksvoll wie Mareike Beykirchs furioser Monolog als Anklage aller Übel dieser Welt. Aber wenn Max Mayer als Prometheus mit wirrem Blick und als Mischung aus Oberammergauer Jesus und Double von Klaus Kinski dem Gottvater Zeus Paroli bietet, in seiner Mission restlos ausrastet und über die Bühne kriecht und rast, wird's nur peinlich. Schade um den ernsten Kern der Story vom Prometheus 2019.

DK

ZUM STÜCK
Theater:
Marstalltheater, München
Regie:
Peter Kastenmüller
Bühne:
Alexander Wolf
Kostüme:
Aino Laberenz
Dauer:
Zweieinhalb Stunden mit Pause
Nächste Vorstellungen:
28. Dezember, 10., 16., 18. Januar
Kartentelefon:
(089) 2185-1940