München
Die Anmut der Dächer

Eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum widmet sich den verborgenen Leistungen der Zimmerleute

10.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:52 Uhr

München (DK) Das Dach erst macht ein Haus zu einem geschützten Ort, denn es hält die Witterung fern.

Im Inneren ist jedes Dach ein geschlossenes Dreieck - aber welche komplizierten Strukturen hier durch die Jahrhunderte aufgerichtet wurden, bleibt verborgen, weil diese Orte in der Regel nicht zugänglich sind. Die Meisterleistungen der Zimmerleute macht jetzt eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum sichtbar. Gezeigt werden Modelle von Münchner Dachstühlen im Maßstab 1:20, gefertigt von Clemens Knobling, der am Lehrstuhl für Baugeschichte, historische Bauforschung und Denkmalpflege der Technischen Universität München zu diesem Thema seine Dissertation vorbereitet hat.

Die filigranen Holzmodelle machen deutlich: Der technische Wandel wird schon allein am Material sichtbar. So wurden alle verstrebten Hölzer im Dachstuhl der Frauenkirche noch mit Holznägeln verbunden - ein originaler, rund 20 Zentimeter langer Holznagel steht in der Vitrine. Der 1470 von Heinrich aus Straubing errichtete Dachstuhl des Doms war mit 22 Metern Höhe, 30 Metern Breite und 90 Metern Länge der größte Dachstuhl der Stadt und hatte eine Neigung von 54 Grad. Durch den Einsatz von speziellen Winkelhölzern aus Holz, die nur in München und Landshut eingesetzt wurden, konnte Material gespart werden - die gerade gewachsenen Stämme von Fichten und Tannen stammten aus dem Hochgebirge.

Diese Konstruktion aus dem 15. Jahrhundert war so stabil, dass bei der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg das vordere Drittel zwar zerstört wurde, der hintere Teil aber der Druckwelle standhielt. Das einzige Groß-dach Münchens, das den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat, findet sich in "Mariä Himmelfahrt" in München-Ramersdorf. Hier zeigt der Dachstuhl im Durchschnitt die Form eines Kleeblattes - eine technische Meisterleistung von 1360, die möglicherweise aus Italien importiert wurde. Im milden Klima des Südens wurden im Barock freilich ganz andere Dachneigungen Mode. Den Unterschied beschreibt der berühmte italienische Architekt Andrea Palladio in seiner Architekturtheorie von 1570: "In Deutschland macht man wegen der großen Menge Schnees, die dort fällt, die Dächer sehr steil. Wir aber, die wir in einer gemäßigten Region leben, müssen eine solche Giebelhöhe wählen, dass sie dem Dach Anmut und eine schöne Form gibt. "

Mit Ehrgeiz hat man versucht, die italienischen Regeln auch in München anzuwenden: beim Bau der Theatinerkirche St. Kajetan ab 1662. Um die große Kuppel zur Geltung zu bringen, wurde die Neigung des Dachstuhls flach gehalten - was prompt zur Folge hatte, dass man durch die Jahrhunderte hindurch mit schweren Wasserschäden zu kämpfen hatte. Insgesamt ist das Dach bei einer Neigung von 26 Grad weniger als fünf Meter hoch. In die für deutsche Handwerker neuartige Konstruktion wurden auch Eisenbänder eingebaut.

Allen Dächern ist gemein, dass das Baumaterial nach München über die Isar geflößt wurde. Dass diese Arbeit auf dem reißenden Fluss gefährlich war, daran erinnert bis heute die alljährliche Flößerwallfahrt nach Maria Thalkirchen, die dieses Jahr wieder am 2. September stattfinden wird. Solche Seitenblicke auf Arbeitsalltag und Frömmigkeit werden im Münchner Stadtmuseum nicht thematisiert. Die Ausstellung richtet das Augenmerkt auf Ingenieurs-Leistungen - bis hin zum modernen Zeltdach des Olympiazentrums. So ästhetisch ansprechend die ausgestellten großen Holzmodelle sind, die in den Besitz des Stadtmuseums übergegangen sind - Kurator Thomas Weidner wäre gut beraten gewesen, den Besuchern neben den Modellen und Texttafeln auch einen kleinen, anschaulichen Physik-Grundkurs zu Fragen der Schubwirkung und der Ableitung von Kräften zu bieten, damit auch architektonische Laien verstehen können, welche Meister hier ihre Erfahrungen einbrachten, lange bevor es statische Berechnungen und Computer gab.

Bis zum 14. Oktober im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 4, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.

Annette Krauß