Ismaning
Der vergessene Expressionist

"Leben ist ein Glühn"; Das Kallmann Museum in Ismaning zeigt eine Retrospektive von Fritz Ascher

08.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
Joachim Goetz
Ausdrucksstarkes ?uvre: Das Bild "Sonnenuntergang" hat Fritz Ascher 1962 gemalt. Der Künstler schuf auch Werke mit religiösem Inhalt, wie etwa "Golgatha". Die "Zwei Boxer" sind 1916 entstanden. −Foto: Malcolm Varon, New York

Ismaning (DK) Zuerst gehörte er zur künstlerischen Avantgarde im lebensfrohen Berlin der 20er-Jahre, dann zu den Verfemten - und schließlich zur "Verlorenen Generation".

Der Expressionist Fritz Ascher (1893-1970), dem das Kallmann Museum in Ismaning zum 125. Geburtstag eine umfassende und sehenswerte Ausstellung mit dem Titel "Leben ist Glühn" widmet, wurde von Max Liebermann gefördert. Der sagte über den 16-Jährigen, der die Schule abgebrochen und dafür bei ihm das "Künstlereinjährige" absolviert hatte: "Da geht ein ganz Großer in die Welt! "

Liebermanns Förderung brachte Ascher 1912 zum Studium an die Kunstakademie in Königsberg. Zurück in Berlin ließ er sich unter anderem von Lovis Corinth ausbilden. Und fand seinen künstlerischen Ausdruck im Umfeld von Ludwig Meidner oder Emil Nolde.

Auf einer Reise nach Norwegen traf er Edvard Munch in Oslo. Auch in München und Bayern hielt er sich um 1919/20 länger auf. Was sein Skizzenbuch eindrucksvoll belegt: Besonders angetan war er offensichtlich von bayerisch gekleideten Menschen und - wen wundert's - den beeindruckenden Landschaften. Er wurde mit den Künstlern des einstigen Blauen Reiter bekannt, befreundete sich mit den Vertretern des satirischen Simplicissimus - unter anderem mit Gustav Meyrink, Alfred Kubin, George Grosz oder Käthe Kollwitz.

Von ihnen ließ er sich nicht zuletzt zu Arbeiten mit empathischen religiösen Inhalten inspirieren. Auch Sagen, Mythen und die menschliche Kondition interessierten ihn. Beispiele dafür sind etwa Bilder wie "Golem" (1916), "Bajazzo und Artisten" , "Der Vereinsamte" (1914) oder "Golgatha" (1915): eine beängstigende, zusammengerottete Menschenmasse, die den Gekreuzigten zur Staffage reduziert.

Die künstlerischen Charakteristiken: rigorose Pinselführung, expressionistische Farbwahl und eine leidenschaftliche überwältigende Ausdrucksstärke. Weitere Motive: mehrfach Beethoven, Boxer, sogar Fußballspieler. Wobei sich auch symbolistische Untertöne zeigen. Ergreifende Bilder menschlicher Qualen widerspiegeln nicht zuletzt die innere Zerrissenheit des Malers, dem die schlimmsten Erfahrungen allerdings noch bevorstanden. Dazu gehörte dann auch, dass ein Großteil des Frühwerks bei einem Bombenangriff kurz vor Kriegsende verbrannte.

Die frühe Bestätigung, die Aussicht auf eine große Karriere half nicht viel. Der in Zehlendorf als Kind einer assimilierten jüdischen Familie geborene - und 1901 wie seine Geschwister evangelisch getaufte - Ascher wurde in der Nazizeit verfolgt. Die Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste verweigerte man ihm, Berufsverbot, Verfemung als "entarteter Künstler" kamen dazu. Der Kampf ums nackte Überleben begann. Ans Malen war ohne Geld, ohne Material, ohne ein festes Zuhause nicht mehr zu denken.

Wegen seiner jüdischen Herkunft versteckte er sich von 1934 an in Pensionen und bei Freunden in Potsdam-Babelsberg und Steinstücken. 1938 deportierte ihn die Gestapo ins KZ Sachsenhausen, sein Anwalt und Freund Gerhard Graßmann holte ihn wieder raus. 1939 wieder im Potsdamer Polizeigefängnis: auch hier wurde er gegen Auflagen entlassen. Ab 1942 verkroch er sich bis Kriegsende im Kohlenkeller einer zerbombten Villa. Martha Graßmann, Freundin seiner Mutter und Mutter seines Anwalts, versorgte ihn mit dem Nötigsten. In seinen Verstecken hatte er Gedichte geschrieben, die der Ausstellung den Titel gaben und den etwa 70 Gemälden und Zeichnungen untergemischt sind. Eins davon: "Kein Leben ohne Träne. / Kein Sehnen ohne Schmerz. / Durch Tiefen und durch Höhen -/ In Einsamkeit verscherzt. "

Nach dem Krieg wohnte er weiter bei Martha Graßmann, malte wieder - ohne je die Öffentlichkeit zu suchen. Ascher war nach den traumatischen Erfahrungen ein anderer geworden. Und versah erstmal einige frühe Selbstporträts mit gepunkteten Oberflächen.

Später verschwindet der Mensch völlig aus den farbigen Kompositionen, wobei er immer wieder Porträts aus dem Gedächtnis zeichnet. Die Landschaften des Grunewalds, in dem er auch viel spazieren geht, haben es ihm angetan. Wuchtige Bäume stemmen sich in den Boden, Die glutige Sonne füllt große Formate, der bleiche Mond ebenfalls. Gebäude malt er manchmal auch. Und alles mit einer ganz eigenen, neuen Handschrift: deutlich einfacher, individueller, direkter - wobei er seine expressionistische Bildsprache beibehält.

Man liegt sicher nicht falsch, wenn man in diese markanten Schöpfungen die Verarbeitung - oder besser: den Versuch einer Verarbeitung - des für uns nicht vorstellbaren Erlebten hineindeutet. Zeitzeugen bestätigen Aschers menschenscheue Entrücktheit, sein unbeschreibliches Misstrauen im NachkriegsBerlin. Er selbst lehnt das Angebot eines Lehrauftrags an der Kunstakademie ab, wegen seiner Kontaktängste. In der Weimarer Republik war er noch lebenslustig, fröhlich - und hatte seinen Erfolg beim Schönen Geschlecht genossen. Ins Bewusstsein der Kunstgeschichte zurückgeholt hat ihn übrigens Rachel Sturm mit ihrer New Yorker Fritz Ascher Society, die auch die faszinierende Wanderausstellung ermöglichte.

Kallmann Museum Ismaning, bis 25. November, Di bis So von 14.30 bis 17 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, Wienand Verlag, 29 Euro. Weitere Infos unter www. kallmann-museum. de.

Joachim Goetz