Ingolstadt
Der Unerlöste

Walter Kiesbauers Symphonische Dichtung "Kaspar Hauser - Aenigma eternum" ist in München und Ingolstadt zu erleben

07.05.2019 | Stand 23.09.2023, 6:54 Uhr
Uraufführung in Ansbach: Walter Kiesbauers Symphonische Dichtung für Orchester und gemischten Chor wird in Ingolstadt und München aufgeführt. −Foto: Piltz, Karmann/dpa

Ingolstadt (DK) Er zählt zu den berühmtesten Kriminalfällen des 19. Jahrhunderts: Am 26. Mai 1828 erscheint auf den Straßen von Nürnberg ein seltsamer junger Mann, der kaum des Sprechens fähig ist und der behauptet, über Jahre bei Wasser und Brot in einem fast lichtlosen Raum gefangengehalten worden zu sein.

Die einen halten diesen Kaspar Hauser für einen Prinzen, die anderen glauben, er sei ein Betrüger. Nicht nur seine Herkunft, sondern auch sein Tod 1833 sind letztlich ungeklärt. "Rätsel seiner Zeit" nennt Hausers Grabinschrift in Ansbach ihn.

Schon 1834 entsteht ein Bänkellied über Hauser. Melodramen, historische Parabeln, Gedichte von Paul Verlaine, Stefan George, Georg Trakl, Reiner Maria Rilkeund Hans Arp folgen. Walter Benjamin und Peter Handke, Suzanne Vega und Werner Herzog - viele Künstler greifen den Mythos auf. Für die Kaspar-Hauser-Festspiele in Ansbach hatte Walter Kiesbauer 2010 die Musik für das Musical "Kaspar Hauser - allein unter Menschen" komponiert. Weil ihn das Thema nicht losgelassen hat und er damals schon Lust hatte, "größer" zu komponieren, sich assoziativ dem Stoff zu nähern, ohne die Biografie nacherzählen zu müssen, hat er Jahre später daraus seine Symponische Dichtung "Kaspar Hauser - Aenigma eternum" gemacht, die im Sommer vergangenen Jahres in Ansbach mit großem Erfolg uraufgeführt wurde.

Jetzt bringt Walter Kiesbauer sein Werk nach Ingolstadt. Am 8. Juni ist wird es im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt zu erleben sein. Und die Anzahl der Beteiligten wird die Ansbacher Besetzung noch übersteigen. Denn neben seinem Symphonischen Projektorchester und dem Projektchor Ingolstadt wirken das Ansbacher Kammerorchester, der Campus-Chor Garching der Technischen Universität München und Mitglieder des Orchesters und des Chors der Weihenstephaner Musikwerkstatt mit. Mehr als 120 Beteiligte - das bedeutet vor allem eine logistische Herausforderung. Ob und wie das alles klappt, wird sich schon eine Woche vorher erweisen. Denn am 2. Juni ist die Symphonische Dichtung im Münchner Gasteig zu hören.

Der Prolog führt ans Grab und betrauert ein viel zu kurzes und beschwerliches Leben: "Hic iacet Casparus" steht da in lateinischer Schrift. Auch der Epilog ist hier verortet. Beide erzählende Teile bilden den Rahmen für elf Klangbilder, die thematisch um die Figur Kaspar Hausers kreisen. "Schließlich gibt es da eine Fülle von Ungereimtheiten, weil da ja auch eine politische Dimension mitschwingt", erklärt Walter Kiesbauer.

Die einzelnen Klangbilder tragen Überschriften wie "Das ewige Rätsel", "In den Fängen der Staatsmacht", "Fremd in einer fremden Welt", "Ein Albtraum", "Macht und Intrige" oder "Trügerisches Idyll". Bewusst hat Walter Kiesbauer auf einen Erzähler verzichtet. Der Chor verleiht der Stimme Kaspar Hausers Ausdruck, übernimmt aber auch kommentierende Funktion.

"Der Albtraum ist beispielsweise das so atonal, so schlimm, so voller Clusterklänge, dass der Chor Angst hat. Wir befinden uns tief im Kopf von Kaspar Hauser. Da hört man nur Gezische und Gebrüll. Ich habe eine Fantasiesprache erfunden, für die ich mich auch von Harry Potters Parsel, also der Sprache der Schlangen, inspirieren ließ. Man soll diese diffuse Angst spüren, die Kaspar durchlebt. Da wird geflüstert und gefaucht und plötzlich lärmt es ,RACC' und ,prou'", berichtet Walter Kiesbauer. Und fügt mit einem Augenzwinkern an, dass "RACC" der katalanische ADAC ist und "prou" auf Katalanisch genug heißt. Ihm geht es um das Lautmalerische, um die Emotion. "Denn die Todesahnungen, die Kaspar quälen, werden sich letztlich bewahrheiten. Umso schöner und volksliedhafter ist gleich danach Kaspars Tanz. "

Weil das berühmte Findelkind ein begeisterter Tänzer gewesen sein soll, gibt es bei Kiesbauer ein exotisches Stück, bei dem die Holzbläser alle zu den Saxofonen wechseln und plötzlich einen Bigband-Sound anstimmen. Überhaupt schätzt der Komponist die Vielseitigkeit: "Ich liebe es Choräle zu schreiben, dann jazzeln wir dahin, dann wird es grässlich - auch grässlich schwer zu spielen. " In Ansbach gab es jedenfalls dafür Standing Ovations.

KASPAR HAUSER - "EIN RÄTSEL SEINER ZEIT"

Am 25. Mai 1828 wird in Nürnberg ein Bauernbursche aufgegriffen. Er ist völlig verwahrlost und hält einen Zettel in der Hand, auf dem der Name Kaspar Hauser steht. Seinen verworrenen Angaben zufolge ist er fast völlig isoliert in einem Kellerverlies aufgewachsen. Durch die Veröffentlichung in Tageszeitungen zieht der Fall überregionales Interesse auf sich. Kasper wird in die Obhut des Gymnasiallehrers Georg Friedrich Daumer gegeben und lernt erstaunlich schnell das Lesen, Schreiben und Rechnen. Am 17. Oktober 1829 wird er Opfer eines ersten Attentats, das ihn mit leichten Schnittverletzungen an der Stirn davon kommen lässt. Das nährt die Theorie, Hauser sei der 1812 geborene Erbprinz von Baden, den man gegen einen sterbenden Säugling getauscht und beiseitegeschafft habe, um einer Nebenlinie des badischen Fürstenhauses die Thronfolge zu ermöglichen. Die „Prinzenlegende“ wird später widerlegt. Eine wissenschaftlich publizierte Genanalyse aus dem Jahr 1996 zeigt, dass eine Hauser zugeschriebene Blutprobe nicht vom badischen Erbprinzen stammen kann.  Am 14. Dezember 1833 kommt Kaspar Hauser mit einer schweren Stichverletzung nach Hause und berichtete von einem Attentat im Ansbacher Hofgarten. Drei Tage später stirbt er an den Folgen der Verletzung. Sein Grabstein auf dem Ansbacher Stadtfriedhof trägt die Inschrift: „Hier ruht Kaspar Hauser, ein Rätsel seiner Zeit, unbekannt die Geburt, geheimnisvoll die Umstände seines Todes.“

Kaspar Hauser - Aenigma aeternum wird am 2. Juni um 18 Uhr im Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteig aufgeführt und am 8. Juni um 20 Uhr im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. Karten für dieses Konzert gibt es in allen DK-Geschäftsstellen und in der Tourist-Info am Rathausplatz und am Hauptbahnhof.

 

Anja Witzke