Der Kunstmarkt als Tatort

03.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:36 Uhr
Über das "betrügliche Objekt der Begierde" schreibt Hubertus Butin in seinem aufschlussreichen Buch. −Foto: Haid

"Was begehrt ist, wird gefälscht", schreibt Hubertus Butin in seinem Buch "Kunstfälschung" und belegt das mit teils abenteuerlichen Beispielen. Er meint: Die Strukturen des Kunstbetriebs und der oft allzu sorglose Umgang mit Kunst machen es Betrügern leicht.

Herr Butin, Sie arbeiten regelmäßig als Gutachter für Sammler, Galeristen, Auktionshäuser und Landeskriminalämter. Sind Sie eine Art Kunst-Detektiv?
Hubertus Butin: Als Kunsthistoriker bin ich in erster Linie als Autor von wissenschaftlichen Büchern, Katalogen und Textbeiträgen tätig. Doch als Experte für die Kunst von Gerhard Richter berate ich auch zahlreiche Personen sowie Institutionen und schreibe Gutachten, wenn es etwa um die Frage nach der Echtheit eines Werks geht. Da muss man dann in der Tat manchmal wie ein Detektiv arbeiten.

Welches war die kniffligste Aufgabe, die Sie je zu bewältigen hatten? Und hatten Sie am Ende eine Fälschung oder ein Original zu bewerten?
Butin: Vielleicht nicht besonders knifflig, aber skurril war ein Fall in New York: Die bedeutende Sammlung von Ann und Steven Ames wurde 2016 im Auktionshaus Sotheby's in New York versteigert. Dabei war auch eine kleine, glänzende Stahlkugel, eine künstlerische Edition von Gerhard Richter aus dem Jahr 1989. Das Objekt wurde für 35000 Dollar einem Sammler zugeschlagen, der jedoch misstrauisch wurde und mir die Kugel zuschickte. Mit einer Küchenwaage und einem Zentimeterband untersuchte ich sie und merkte sofort, dass sie zu leicht und zu klein war und außerdem keine Gravur aufwies. Das Objekt war zu meiner Verblüffung gar kein Kunstwerk, sondern einfach nur eine Stahlkugel, wie sie in Kugellagern in der Industrie Verwendung findet. Mithilfe meiner Expertise konnte der Sammler seine Erwerbung dann zum Glück rückgängig machen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch die große Faszination von Fälschungen für ein breites Publikum. Ist das die heimliche Lust am Verbotenen? Oder welche Erklärung haben Sie für leidenschaftliche Bietergefechte um Fälschungen, für die enorme Anziehungskraft bei Fälscher-Ausstellungen oder Sympathien für überführte Fälscher wie Konrad Kujau oder Wolfgang Beltracchi?
Butin: Fälschungsfälle werden in der Öffentlichkeit oft wie ein spannender Krimi betrachtet mit den entsprechen Fragen: Wer ist der Täter? Wie ist er vorgegangen? Kann er überführt werden? Wer wurde betrogen? Wie hoch ist der Schaden? usw. Und wenn auf Auktionen bekannte Fälschungen von berühmten Tätern wie Tom Keating, Eric Hebborn, Han van Meegeren oder Elmyr de Hory angeboten werden, können diese mitunter relativ hohe Summen erzielen, da die Objekte von der Aura dieser Namen profitieren - auch wenn es sich nur um Fälschungen handelt.

Wolfgang Beltracchi war in den größten Kunstfälscherskandal der bundesdeutschen Kriminalgeschichte verwickelt. Ermittler gehen von einem Betrugsgewinn zwischen 20 und 50 Millionen Euro aus. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Und wurde dann nicht geächtet - sondern bekam eine 15-teilige Serie auf dem Kultursender 3sat. Verstehen Sie das?
Butin: Das Außergewöhnliche bei Wolfgang Beltracchi sind keineswegs seine Fälschungen, da er nicht anders vorgegangen ist wie auch sonstige Fälscher. Doch er hat es geschafft, die öffentlichen Medien auf äußerst geschickte Weise für seine Interessen einzuspannen wie nie ein Fälscher vor ihm. Dazu zählen seine Bücher, Interviews, Fernsehtalkshows, sein Kinofilm und seine Fernsehserie. All dies hat skandalöserweise zu seiner Verharmlosung und Heroisierung Beltracchis beigetragen, obwohl er ein rechtskräftig verurteilter Straftäter ist, der sehr viele Menschen auf üble Weise betrogen hat und viel Schaden auch in der kunsthistorischen Forschung angerichtet hat.

Erst die Strukturen des Kunstbetriebs ermöglichen die Fälschungen, heißt es bei Ihnen. Was läuft falsch im Kunstbetrieb?

Butin: Ja, Fälschungen entstehen nicht jenseits oder unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen. Der Erfolg der Fälscher wird auch durch zahlreiche Beteiligte des Kunstbetriebs ermöglicht oder - vorsichtiger formuliert - mitbedingt. Es wird oft allzu sorglos mit Kunst umgegangen, da alle Sammler, Händler oder Auktionatoren immer hoffen, das Fundstück sei tatsächlich echt. Oft ist aber nur der Wunsch der Vater des Gedanken.

Was begehrt ist, wird gefälscht. Gibt es Trends, wann welche Künstler gefälscht wurden oder werden? 
Butin: Grundsätzlich wird wirklich alles gefälscht, was begehrt ist - egal, wie groß der Aufwand dafür ist oder wie hoch der Gewinn des Fälschers sein kann. Auf den großen Verkaufsplattformen im Internet fängt das manchmal bereits bei 10 Euro an. Aber wenn ein Künstler gerade besonders gefragt und teuer ist, motiviert das die Fälscher natürlich sehr.

Gibt es eine besonders produktive Zeit für Fälscher?
Butin: Voraussetzung ist ein gut funktionierender Kunstmarkt. Ich vermute deshalb, dass z. B. in der ehemaligen DDR wenig Kunstwerke gefälscht wurden, da der Staat viele Händler, Sammler und sogar Museen bedrängt und enteignet hat, was mittlerweile auch von Historikern untersucht wurde. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Fälschungen in der DDR für das Ausland, also für die Devisenbeschaffung angefertigt wurden.

Was lässt sich denn am leichtesten fälschen?
Butin: Zeichnungen und Aquarelle der klassischen Moderne lassen sich manchmal leicht fälschen, zumal es nicht schwierig ist, sich altes Papier und alte Malmittel zu besorgen, was dann die materialtechnische Untersuchung in die Irre führt.

Was schätzen Sie - wie viele Fälschungen hängen unerkannt in deutschen Museen?
Butin: Man muss davon ausgehen, dass jedes größere Museum Fälschungen besitzt. Manche Museen geben das ganz offen zu, andere verschweigen es und sind peinlich berührt, wenn man sie darauf anspricht. Doch über konkrete Zahlen kann und möchte ich nicht spekulieren.

Nicht nur Kunstwerke und Dokumente, sogar Künstlerbiografien werden erfunden. Wie schürt man denn eine Nachfrage nach Künstlern, die es gar nicht gibt?
Butin: Indem man einen Künstler erfindet, der entweder interessante Werke geschaffen hat - was aber recht schwierig ist - oder für den man sich eine spannende Biografie ausdenkt. So wurde etwa vor über zwei Jahrzehnten ein jüdischer Maler namens Bohumil Samuel Kecir vom Kunsthandel fingiert. Diese Figur wurde als vergessener und verkannter Maler mit einem tragischen, hollywoodreifen Schicksal präsentiert, sodass manche Sammler sofort fasziniert waren und auf die Geschichte hereinfielen.

Spannend liest sich auch die Geschichte von Carl Gerhardt Rudolf, der im Auftrag der DDR als Fälscher tätig war, um Devisen zu beschaffen. Doch dann erfährt man, dass dieses Rudolf-Projekt das Werk des Künstlers Dirk Dietrich Hennig ist. Wie kam er denn darauf und was bezweckte er damit?
Butin: Dirk Dietrich Hennig aus Hannover ist einer der wenigen Künstler, die sich in ihrer eigenen Arbeit mit Fälschungen beschäftigen. Er hat bemerkenswerterweise einen Fälscher erfunden, den es gar nicht gibt, inklusive Werken, einer ausführlichen Biografie und historischen Dokumenten, die die Existenz des Fälschers als sehr glaubwürdig erscheinen lassen. Dabei handelt es sich aber nicht um eine arglistige Täuschung, also einen Betrug, sondern um ein sogenanntes künstlerisches Fake, das die Mechanismen des Kunstbetriebs untersucht.

Sie beschreiben die Popularisierung des Kunstbetriebs: mehr Kunstmuseen, mehr Galerien, mehr Kunststudenten, Druckgrafik bei Aldi. Was ist schlecht daran?
Butin: Schlecht ist daran grundsätzlich gar nichts. Aber je globalisierter der Kunstbetrieb wird und je mehr der Kunsthandel boomt, umso mehr motiviert dies die Fälscher, umso mehr steigen nachweislich die Fälschungszahlen, die mittlerweile ein immer größeres Problem darstellen, auch wenn dies kaum jemand offen zugeben mag.

Sie schreiben in Ihrem Buch von Fälschern, weil es sich "um eine typisch männliche Straftat zu handeln" scheint. Gibt es dafür Erklärungen? Haben Frauen einen anderen moralischen Kompass oder wurden bisher einfach keine Fälscherinnen erwischt, weil sie besser sind als ihre männlichen "Kollegen"?
Butin: Ich glaube nicht, dass Frauen die besseren Fälscher sind. Aber es ist tatsächlich auffällig, dass man in der Forschungsliteratur keine Beispiele für Kunstfälscherinnen findet. Auch das Landeskriminalamt Berlin hat mir bestätigt, dass in diesem Betrugsbereich eigentlich fast immer nur Männer als Täter anzutreffen sind. Warum das so ist, kann ich leider nicht beantworten.

Warum werden entlarvte Kunstfälschungen nicht wie Plagiate im Designbereich zerstört oder zumindest eingezogen?
Butin: Der Besitz einer Fälschung ist nicht strafbar, weshalb sie von der Polizei oft nicht eingezogen werden kann. Der Besitzer darf sie nur nicht in Verkehr bringen. Leider steht juristisch das Eigentumsrecht über der Vorbeugung vor möglichen zukünftigen Straftaten. Die Folge ist, dass die Fälschungen dann doch irgendwann wieder im Handel auftauchen, was ein großes Problem ist, da dadurch neben den neuen auch manche alten Fälschungen weiter ihr Unwesen treiben können.

Was wünschen Sie sich für die Museumslandschaft? Eine Taskforce "Kunstfälschung"? 

Butin: Nicht nur im Handel, sondern auch in den Museen basiert die Klärung der Echtheitsfrage grundsätzlich auf drei Säulen: die stilkritische Analyse durch möglichst unabhängige Experten, die Provenienzrecherche, also die Untersuchung der Herkunft des fraglichen Objekts, und zuletzt die Analyse der verwendeten Materialien und angewandten Werktechniken. Diese drei grundlegenden Methoden müssten überall sehr viel intensiver durchgeführt werden. Vor Irrtümern und Fehlurteilen sind jedoch letztendlich auch die besten Experten nicht völlig gefeit, denn Irren ist menschlich.

Die Fragen stellte Anja Witzke.

ZUR PERSON
Hubertus Butin, geboren 1964, arbeitete in den 90er-Jahren als Kunsthistoriker im Atelier Gerhard Richters in Köln. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher zur zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie publiziert. Unter anderem gab er 2014 das Werkverzeichnis der Editionen Gerhard Richters heraus und das Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Daneben organisiert er als Gastkurator Ausstellungen an internationalen Museen und ist als Gutachter weltweit für Sammler, Kunsthändler, Auktionshäuser und die Landeskriminalämter tätig.

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