Der Geschichtenerzähler

Wolfram Krempel, von 1995 bis 2001 Intendant des Stadttheaters Ingolstadt, ist im Alter von 83 Jahren gestorben

08.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:12 Uhr
  −Foto: DK-Archiv

Ingolstadt - "Ich liebe ein gescheites, aber sinnlich konkretes Theater, das den Zuschauer ansprechen und aufregen muss", mit diesem Anspruch trat Wolfram Krempel 1995 die Theaterintendanz in Ingolstadt an.

 

Und löste ihn in den folgenden sechs Jahren ein, bevor er 2001 mit 65 Jahren in den Ruhestand ging. Die Stadt hätte ihn damals gern noch länger im Amt gesehen. Brechts "Puntila", Schillers "Kabale und Liebe", Tschechows "Drei Schwestern", Ibsens "Nora" waren nur einige der Inszenierungen, in denen er sein meisterliches Regiehandwerk unter Beweis stellte. Von seinem Ensemble forderte er Präzision und Emotion. Regiekollege Friedo Solter attestierte ihm "Vorsicht", "Sensibilität", "Ruhe" und "Geduld". Und in seiner Abschiedsinszenierung für Ingolstadt, Lessings "Nathan", konnte man all diese Stärken noch einmal sehen. Die laute Geste, die große Provokation waren ihm fremd. Er glaubte an die Magie des Geschichtenerzählens. Er hatte Humor. Und ließ es sich nicht nehmen, in der letzten Freilichtaufführung seiner Intendanz, in "Robin Hood", allabendlich in die Rolle des Richard Löwenherz zu schlüpfen. Am Freitag ist Wolfram Krempel im Alter von 83 Jahren gestorben.

Wolfram Krempel wurde 1936 in Chemnitz geboren und erhielt seine Ausbildung an der Staatlichen Schauspielschule (heute Ernst-Busch-Hochschule) in Berlin. "Mein Vater, ein Architekt, hat mir eingeschärft, er hätte ohne das Maurerhandwerk nie seine Architekturpläne durchführen können. Deshalb wollte ich das Handwerk des Schauspielers lernen, um inszenieren zu können. Ich hatte immer die Sehnsucht, gute Literatur, Literatur, die Ideen durchsetzen will, theatralisch umzusetzen", erklärte er 2001 im Interview mit unserer Zeitung.

Die Schauspielerei währte nicht lange. 1960 wurde er Regieassistent am Deutschen Theater Berlin unter den Regisseuren Wolfgang Heinz und Wolfgang Langhoff. 1965 erhielt er seinen ersten Regievertrag am Berliner Maxim-Gorki-Theater. 1967 wurde er Schauspieldirektor an den Städtischen Bühnen Chemnitz (damals noch Karl-Marx-Stadt), kehrte aber 1970 ans Maxim-Gorki-Theater zurück, wo er zahlreiche Stücke von Gegenwartsautoren wie Peter Hacks oder Jürgen Groß zur Uraufführung brachte. 1980 erhielt er dafür den Kunstpreis der DDR. Daneben war er Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst. Als Gastregisseur inszenierte Wolfram Krempel bereits in den 80er-Jahren in Augsburg und Bern. 1991 ging er dann als leitender Schauspielregisseur ans Stadttheater Bern, wo er bis 1995 erfolgreich wirkte. 1995 wurde er Intendant am Stadttheater Ingolstadt als Nachfolger von Ernst Seiltgen.

Für Gabriel Engert war die Teilnahme an der Intendantenauswahlkommission eine seiner ersten Aufgaben als designierter Kulturreferent. Und er ist noch heute davon überzeugt, dass es zum damaligen Zeitpunkt die absolut richtige Entscheidung war. "Wolfram Krempel war ein wichtiger Intendant für unser Theater. Weil er zum einen wunderbare Inszenierungen gezeigt hat und zum anderen unter seiner Führung ein wirkliches Wir-Gefühl unter den Mitarbeitern des Theaters entstand. Er war als Leitungsfigur ein sehr angenehmer Mensch, sehr ausgleichend, konnte gut zuhören, aber auch seinen Standpunkt gut erläutern. Er zeigte immer großen Respekt für den anderen", erklärte Gabriel Engert.

Thomas Schwarzer vom Deutschen Bühnenverein war damals Dramaturg am Stadttheater Ingolstadt. "Für mich war es eine interessante Zeit, denn Wolfram Krempel holte viele neue Regisseure ans Haus - aus seiner Berliner und Berner Zeit etwa Horst Rupprecht oder Friedo Solter, aber auch junge Regisseure, die gar nicht ,sein Stil' waren. Er hat viel zugelassen und viel ermöglicht - zahlreiche Ur- und Erstaufführungen von ,Die Kinder des Musa Dagh' von Ferdinand Bruckner bis zu ,Hyänen' von Kerstin Hensel, einer Produktion, die bei den Bayerischen Theatertagen 2000 in Nürnberg mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde. Und: Er hat das Theater ein bisschen geöffnet. " Unter seiner Intendanz wurde das Kleine Haus am Brückenkopf, das später für experimentelle Theaterformen genutzt wurde und heute hauptsächlich Gegenwartsstücke verhandelt, erstmals bespielt. Und 1996 wurden im Wartesaal des mittlerweile abgerissenen Nordbahnhofs Brechts "Flüchtlingsgespräche" zur Aufführung gebracht.

 

Im März 1997 bat Wolfram Krempel seinen Schauspielschulkollegen Manfred Krug für die Reihe "Solo für Stars" nach Ingolstadt, die dem Publikum bis 2013 ein Treffen mit prominenten Schauspielern wie Nikolaus Paryla, Otto Sander, Klaus Maria Brandauer, Hannelore Elsner, Ulrich Mühe oder Dominique Horwitz ermöglichte. Er etablierte den Theaterfrühschoppen, der sich beim Publikum von Anfang an großer Beliebtheit erfreute.

Sabina Dhein, die Wolfram Krempel als Chefdramaturgin ans Haus geholt hatte, beschreibt ihn als "politisch höchst wachsamen Menschen": "Theater und Politik dachte er immer zusammen. Stets begannen unsere Sitzungen mit einem Blick auf das tagespolitische Geschehen. Sein Theaterbekenntnis galt seinen wunderbaren Schauspielern und Schauspielerinnen.   Auf sie baute er den Spielplan. Die Probenarbeit mit Persönlichkeiten wie  Marlise Fischer, Thomas Schneider, Nicole Schneider, Martin Butzke erfüllte ihn über Wochen. Als Intendant hatte er die Größe, Regie-Kollegen Raum zu geben, die den Spielplan mit starkem Zugriff inszenatorisch und thematisch mitprägten. " Auch Konrad Kulke, von 1973 bis 2004 Ausstattungschef am Stadttheater Ingolstadt, arbeitete gern mit Wolfram Krempel zusammen. "Nach meinen insgesamt 26 Jahren mit Ernst Seiltgen waren die folgenden sechs Jahre mit Wolfram Krempel ein weiterer wichtiger Abschnitt meines Lebens", meinte er. "Auch wenn es kein Generationswechsel war, empfand ich seine Art von Theater sehr anregend. " Für acht von Wolfram Krempels Inszenierungen schuf Konrad Kulke die Bühnenbilder. "Ich konnte dabei meine Visionen umsetzen. Gerade der ,Nathan' bleibt für mich zeitlebens eine der schönsten Arbeiten. Das habe ich als Geschenk empfunden. "

Und: Wolfram Krempels Theater war erfolgreich, erinnert sich Michael Schmidt, Verwaltungsleiter am Stadttheater von 1997 bis 2018. Unter seiner Intendanz gab es einen Besucherrekord. In der Spielzeit 1999/2000 verzeichnete das Haus 182798 Besucher, mehr als jemals zuvor und danach. Die Platzauslastung lag bei 90,33 Prozent. Auch die sowieso schon hohen Abonnentenzahlen konnten noch gesteigert werden. Mehr als 7100 waren es im Jahr 2001.

"Je südlicher ich lebe, desto wohler fühle ich mich", hat Wolfram Krempel einmal gesagt. Er blieb in Ingolstadt, fuhr von hier aus immer wieder zu seinem Häuschen bei Lucca in den Bergen. "Am Ende der Welt" läge es, scherzte er bisweilen. Aber es kam seinem Ideal von "in der Natur leben" am nähesten. Er blieb in Bayern, weil seine Tochter mit ihrer Familie in München lebt. An Ingolstadt schätzte er "das kulturelle Klima", das breite Angebot von den Sommerkonzerten über den Konzertverein und das Georgische Kammerorchester bis zu den diversen Literatur-, Jazz-, Kabarettreihen, erklärte er 1997 im Interview. "Aber das Wesentliche ist, dass hier das Theater nicht nur als Gebäude im Zentrum steht, sondern von den Menschen, die hier wohnen, auch als solches angenommen wird. " Am Freitag ist Wolfram Krempel - zuletzt gesundheitlich angegriffen - im Alter von 83 Jahren gestorben.

DK