Schrobenhausen
Delikates musikalisches Menü

Mit einem Wandelkonzert gingen die Barockmusiktage Schrobenhausen zu Ende

17.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:07 Uhr
Höhepunkt des Abends: Hubert Hoffmann (links), Jakob Rattinger und Mirjam Striegel musizieren im Obergeschoss des Pflegschlosses. −Foto: M. Schalk

Schrobenhausen (DK) Wandelkonzerte zählen zu den beliebtesten Formaten bei den Barockmusiktagen Schrobenhausen. Kein Wunder. Denn die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts kann kaum besser präsentiert werden als in den überschaubaren Räumen eines Schlosses. Dafür sind die meist kammermusikalisch besetzten Werke komponiert worden, für den großen Konzertsaal taugen sie in der Regel nicht.

Und: Die Zuhörer können sich einen Eindruck von der Vielseitigkeit und Komplexität des Barocks verschaffen, sie können, indem sie von Saal zu Saal gehen, eine musikalische Abenteuerreise erleben. Ein Konzert also wie ein mehrgängiges Menü.

Fünf Gruppen traten am Sonntagabend beim Abschlusskonzert des Festivals die Kulturreise im Schrobenhausener Pflegschloss an, um insgesamt in sechs unterschiedlichen, von der Floristin Christi Majuntke-Schmid wunderbar dekorierten Räumen Station zu machen. Fast jeder der Säle war einer bayerischen Stadt gewidmet, von Augsburg bis Passau und von München bis Würzburg. Dabei gab es Erstaunliches zu erleben.

Etwa im Raum Augsburg. Dort stellte ein kleines Ensemble angeführt von dem Countertenor Stefan Steinemann Ave-Maria-Kompositionen von Johann Melchior Gletle vor und ein wirklich verblüffendes "Salve Regina" des frühbarocken Meisters Christian Erbach (um 1570-1635) vor. Letzteres Werk hat es in sich, nicht nur weil es die Bearbeitung eines Ricercars für Tasteninstrument ist. Es zeigt vor allem, wie nah das noch von der Renaissance-Polyfonie durchzogene Frühbarock der hochintellektuellen Kunstfertigkeit eines Johann Sebastian Bach sein kann. Bei Erbach findet sich so vieles, was den Zauber etwa auch des Bach-Spätwerks "Musikalisches Opfer" ausmacht: kühne Chromatik bereits beim Thema, komplexe Kontrapunktik in der Verarbeitung. Steinemann sang das "Salve Regina" mit klarer, fast instrumentaler Stimme.

Ein anderes Wunderwerk bereits im Nebenraum Passau: Die Geigerin Lina Tur Bonet und die Cembalistin Margit Kovács spielten eine Sonate von Georg Muffat (1653-1704): anmutig, beschwingt, mit großem Ton und vielen Farben auf der Barockvioline. Im Saal Nürnberg würdigte der Lautenist Axel Wolf Johann Pachelbel. Vier Stück, alle in Fis-Moll, präsentierte er. Werke im französischen, durchbrochenen Stil, bei dem die Polyfonie oft nur erahnt werden kann, weil die verschiedenen Stimmen nicht zusammen, sondern nacheinander angeschlagen werden. Aber Wolf besaß die Gabe, den Wirrwarr der Töne zu entflechten, Übersichtlichkeit zu schaffen.

Im Saal Würzburg gab es Musik in ungewöhnlicher Besetzung zu hören: eine Triosonate des gebürtigen Italieners Giovanni Benedetto Platti (1697-1763) gespielt von Birgit Stolzenburg (Hackbrett), Marion Treupel Franck (Traversflöte) und Gudrun Petruschka (Barockgitarre). Das Trio interpretierte das spätbarocke Werk wendig und unterhaltsam, im besten Sinne musikantisch.

Aber der Abend bot auch einen eher literarischen Exkurs im benachbarten Spargelmuseum: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Erich Irlstorfer las Texte des Franzosen Baron de Montesquieu (1689-1755) und des Engländers Carles Burney (1726-1814), die beide von ihren Reisen nach München berichteten - mit sehr unterschiedlicher Bewertung. Mit viel Schmäh und Ironie in der Stimme präsentierte Irlstorfer die abfälligen Bemerkungen Montesquieus über die Schlösser Nymphenburg und Schleißheim.

Der Höhepunkt des Abends fand ausgerechnet im höchstgelegenen Saal des Pflegschlosses statt: Zwischen den Dachbalken musizierte Festivalleiter und Gambist Jakob Rattinger zusammen mit Hubert Hoffmann, Theorbe, und der Sopranistin Mirjam Striegel Musik von Pietro Torri aus München. Unglaublich, was für Klänge Rattinger und Hoffmann ihren Instrumenten entlockten, bis an die Grenze der Möglichkeiten von Gambe und Theorbe. Da tröpfelten ersterbende Töne in den Raum, da zitterten die Melodien auf der Gambe, während einen Moment später die Theorbe fast orchestral aufleuchtete oder fetzige Rhythmen anschlug. Ein Barockdrama in Tönen, ergänzt von den silbrigen Kantilenen Mirjam Striegels. Was für ein theatralischer, unter die Haut gehender Ausklang des Festivals!

Jesko Schulze-Reimpell