Ingolstadt
"Das Orchester hat einen super Ruf"

Das Georgische Kammerorchester und die Pianistin Elisaveta Blumina bereiten Konzert und CD-Aufnahme vor - Ein Probenbesuch

07.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:20 Uhr
  −Foto: Schaffer/jsr

Ingolstadt (DK) Der Knall gehört ganz eindeutig nicht zu Mieczyslaw Weinbergs Klavierkonzert.

Ein dunkler, trockener, undefinierter Ton. Die rund 20 Musiker brechen unvermittelt ab und blicken auf den Kontrabassisten rechts im Orchesterrund. Dort steht Dimitri Gagulidze und sieht etwas ratlos auf sein Instrument herunter, bei dem sich die vier Saiten zusammengeknäult haben, der Steg liegt weggebrochen am Boden.

Ein kleiner Unfall am Rande einer Konzertprobe im Ingolstädter Festsaal - eigentlich ein Ereignis, das kaum der Erwähnung wert wäre. Denn die Musiker setzen schnell ihre Arbeit fort, nun mit nur einem Kontrabassisten, aber Gagulidze kommt schon nach etwa einer halben Stunde wieder hinzu mit einem geliehenen Kontrabass.

Unfälle dieser Art kommen sehr selten vor, Musiker, mit denen wir sprechen, erzählen, dass sie so etwas überhaupt noch nie erlebt hätten. Und es wird über den schlechten Zustand der Instrumente gemunkelt. Der Kontrabass, ein Leihgerät des Orchester-Freundeskreises, sei schon seit Monaten nicht richtig in Ordnung gewesen. Das sei auch ein Zeichen der wirtschaftlichen Misere des bekanntlich erheblich unterfinanzierten Orchesters.

Aber all das hat an diesem Abend keine Auswirkungen auf die Probenarbeit, sie verläuft wie immer, auf jeden Fall sehr engagiert. Denn es geht diesmal um viel, vorbereitet wird nicht nur ein Konzert, sondern auch ein Konzertmitschnitt für Deutschland-Radio (Sendetermin: 16. Juli) und eine CD-Produktion. Der Geiger Levan Kurashvili ist sich der Situation bewusst. Er spricht von einem sehr herausfordernden Programm. "Hier sind die Proben entscheidend", sagt er. "Man muss bei den Probentagen sparsam mit seinen Kräften umgehen, sich ausruhen, gesund essen. "

Ein Konzert auf die Bühne zu bringen, ist ein Langstreckenlauf. Die Vorbereitungen ziehen sich über Monate hin, die Idee dazu wird manchmal bereits Jahre vorher entwickelt. Wie auch im Falle dieses Konzerts, das, wenn man so will, letztlich auf ein Gespräch vor etwa fünf Jahren zwischen Georgier-Chefdirigent Ruben Gazarian und der Pianistin und Echo-Klassik-Preisträgerin Elisaveta Blumina zurückgeht. "Wir haben uns zufällig kennengelernt, als ich ein Konzert in Heilbronn gegeben habe", erzählt sie munter. Schnell kam man auf Weinberg (1919-1996) und auch auf Grigori Frid (1915-2012) zu sprechen. Blumina gilt als Expertin für vernachlässigte osteuropäische Komponisten, die sie immer wieder erfolgreich dem Vergessen entreißt. Mit beiden Komponisten hat sich Gazarian auf ihren Rat hin intensiv beschäftigt. Bei Weinberg hat die Pianistin, die in St. Petersburg zur Welt kam, eine regelrechte Renaissance bewirkt. Sie läuft herum und infiziert Musiker mit dem Weinberg-Virus. In diesem Jubiläumsjahr werden Werke des polnisch-jüdischen Komponisten überall wiederaufgeführt, sehr engagiert mit dabei ist der Geiger Gidon Kremer.

Blumina selbst spielt derzeit sämtliche Klavierwerke von Weinberg auf CD ein, fünf Tonträger sind bereits erschienen. Nun soll auf einer weiteren CD auch die Aufnahme des Klavierkonzerts mit dem Georgischen Kammerorchester herauskommen.

Allerdings beruht die Aufnahme auf einem Kunstgriff. "Weinberg war eigentlich ein hervorragender Pianist", erzählt sie, "aber merkwürdigerweise hat er kein Klavierkonzert hinterlassen. " So hat Blumina gleichsam ein Klavierkonzert konstruiert, indem sie den Fagottisten Mathias Baier bat, das Klavierquintett des Komponisten umzuarbeiten.

"Das GKO hat einen super Ruf", sagt sie. "Ich wollte schon immer mit denen spielen. " Und die georgische Mentalität ist ihr ohnehin äußerst sympathisch. "Sie werden lachen", ruft sie, "wenn Sie hören, wie viel Kontakt ich in meinem Leben mit Georgiern hatte. "

Zur Zusammenarbeit mit Elisaveta Blumina kam es letztlich, als Ruben Gazarian das Saison-Programm konzipierte, den 100. Geburtstag von Weinberg berücksichtigen wollte und dann fast automatisch an die Pianistin dachte.

Die Vorbereitung für ihn als Dirigenten schließt ein intensives Studium der Partitur ein - ein Vorgang, der sich über Tage und Monate hinzieht. Der beinhaltet, dass er die Partitur für sich mit vielen Zeichen einrichtet, der aber auch bedeutet, dass er sich möglichst viele CD-Aufnahmen vorher anhört. Die Orchestermusiker weisen gerne darauf hin, wie penibel Gazarian sich vorbereitet, und auch während der Probe ist spürbar, dass er wirklich jeden Ton der Stücke kennt und sich zu jeder musikalischen Wendung Gedanken gemacht hat.

Entsprechend genau wird geprobt. Und zwar sehr viel mehr als es in der Branche sonst üblich ist. Während Sinfonieorchester in der Regel mit drei Proben, die jeweils etwa drei Stunden dauern, auskommen, setzt das Georgische Kammerorchester nicht selten sieben, acht oder noch mehr Termine an. Zwei Proben finden dabei in der Regel an einem Tag statt. Dazu kommt jeweils noch eine Generalprobe, die im Falle der Georgier öffentlich ist. "Ich mag überhaupt nicht, wenn man in Zeitnot kommt", sagt der Dirigent.

Von den Musikern erwartet Ruben Gazarian, dass sie ihre Partie vorher intensiv geübt haben. Die beiden Orchestergeiger Levan Kurashvili und Konstantinos Malamis empfinden ihren Beruf so als sehr herausfordernd. Besonders ein hohes Maß an Konzentration ist erforderlich. Leider sind die Probenbedingungen in Ingolstadt alles andere als ideal und keineswegs vergleichbar mit denen anderer Kammerorchester. Der übliche Probenraum ist das Kamerariat. "Dort ist es viel schwieriger als im Festsaal, wir müssen uns noch stärker konzentrieren, sonst klappt es nicht", erläutert Kurashvili, der seit einem Jahr Mitglied des Orchesters ist.

Andere Musiker sagen, dass ihnen im Sommer der Schweiß schon auf der Stirn steht, bevor sie nur einen Ton gespielt haben. In dem engen Raum mit der eher mäßigen Akustik ist es fast unmöglich, den Klang zur Entfaltung zu bringen. Zuletzt hatten die Musiker allerdings die Möglichkeit, immer häufiger auch in der Halle neun und gelegentlich auch im Festsaal zu proben.

Im Orchester sind die Missstände ein großes Thema, erzählen Levan Kurashvili und Konstantinos Malamis. Der 26-jährige Grieche ist seit etwa zwei Jahren Orchestermitglied. "Wir wollen, dass die Interessen des Orchesters in der Stadt besser vertreten werden", sagt er und spricht dabei ein besonderes Problem dieses Orchesters an. Denn anders als bei anderen deutschen Orchestern halten sich die Musiker auffällig zurück, sie haben nicht einmal einen Orchestervorstand gewählt. Aber: "Da bewegt sich was", meint Malamis. Ein anderer Musiker, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, beklagt, dass das Orchester noch nicht einmal nach der Kategorie D bezahlt werde, also der untersten Tarifkategorie. Kaum ein Orchester wird so schlecht bezahlt. Man müsse schließlich mit anderen Orchestern konkurrieren, habe aber weder so gute Übungsräume noch sonst so gute Arbeitsbedingungen wie diese.

Von früheren Streitigkeiten, die lange Zeit die Orchesterarbeit lähmten, haben die beiden Musiker nichts gespürt. "Ich habe nichts auffälliges bemerkt", sagt Malamis. "Die Leute sind sehr freundlich. Eine jüngere Generation ist stärker geworden. Ich weiß von den Konflikten nur aus Erzählungen. " Die Integration als Grieche sei ihm sehr leicht gefallen. Und Levan Kurashvili ist davon überzeugt, dass das Orchester in den nächsten Jahren "jünger und immer europäischer" wird. Es wird ein Orchester sein "mit bayerischen Wurzeln".

Jesko Schulze-Reimpell