Ingolstadt
„Dagegen muss man etwas tun“

Rainhard Fendrich über sein Engagement gegen Kinderarmut und sein neues Album

23.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:21 Uhr
Rainhard Fendrich hat ein großes Herz für Kinder. −Foto: Sandra Ludewig

Ingolstadt (DK) Der österreichische Liedermacher Rainhard Fendrich ist seit nahezu 40 Jahren im Geschäft – ein Vollblutmusiker, der schon alles erlebt hat, sollte man meinen. Doch ist Fendrich immer für eine Überraschung gut: Er lässt ein fast fertiges Studioalbum liegen, um sich spontan einem anderen, einem karitativen, Projekt zu widmen.

Herr Fendrich, Sie haben die Arbeit an Ihrem aktuellen Studioalbum hintangestellt und dafür ein Livealbum mit dem Titel „Für immer a Wiener“ herausgebracht. Wie ist es dazu gekommen und werden Sie das Studioalbum noch veröffentlichen?

Rainhard Fendrich: 2017 in der Weihnachtszeit habe ich ein Plakat der Volkshilfe gesehen, die sich in Österreich auch gegen Kinderarmut engagieren. Es gibt ca. 330 000 arme oder von Armut bedrohte Kinder in Österreich. Das ist eine Zahl, die man nicht ignorieren kann. Deshalb habe ich das Studioalbum liegenlassen und drei Konzerte zugunsten der Volkshilfe gespielt. Wir haben einen Scheck über 30 000 Euro überreichen können. Die drei Abende haben wir auch mitgeschnitten und daraus das Album „Für immer a Wiener“ gemacht. Der Reinerlös aus diesem Album geht komplett an die Volkshilfe und an den deutschen Verein „Karuna", der sich für Straßenkinder einsetzt und ihnen hilft, wieder zurück in ein normales Leben zu finden. Das Live-Album wird auch auf meiner kommenden Tournee verkauft. Das Studio-Album habe ich liegenlassen und werde erst nach der Tournee wieder reinhören. Mal sehen, ob es mir dann noch gefällt. Wir haben angedacht, es Ende 2019 oder Anfang 2020 herauszubringen. Es ist das erste Mal, dass ich ein Album angefangen und dann fast fertig erst einmal in die Schublade gelegt habe. Aber der Kampf gegen Kinderarmut war für mich eine wichtige Sache. So etwas sollte in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht sein.
 
Wenn man von Kindern in Armut hört, denkt man zunächst einmal an Afrika oder ein Entwicklungsland in Asien.

Fendrich: Bei uns existiert eine andere Art von Not. Es sind hier nicht Kinder, die betteln. Es sind Kinder, die bei der Nachmittagsbetreuung nichts zum Essen dabei haben, die aus Geldmangel keine sozialen Kontakte pflegen können, die sich die Schuhe fürs Fußballspielen oder den Skikurs nicht leisten können. Diese Art Armut ist etwas, wofür man sich geniert, die zeigt man nicht. Und die Zahlen steigen bedrohlich an. Dagegen muss man etwas tun.
 
Sie haben Ihr Album „Für immer a Wiener“ genannt. Was bedeutet es für Sie, ein Wiener zu sein?

Fendrich: Das bedeutet für mich etwas ganz Besonderes. Ich habe Wien viel zu verdanken. Hier bin ich geboren, habe die Schule besucht, Freunde fürs Leben gefunden, Chancen am Theater bekommen und erste Erfolge gefeiert. Es heißt immer, Wien sei die Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Das stimmt schon, leider trifft es nicht für alle zu.
 
Auf Ihrem Album sind viele frühere Erfolge zu hören. Gibt es darauf eines, das Sie als Lieblingslied bezeichnen würden?

Fendrich: Es verbindet mich mit jedem Lied etwas. Das wichtigste ist immer das, das noch nicht fertig ist. Auf dem Album ist auch ein ganz neues zu hören. „Die Liebe bleibt immer ein Kind“ ist dem kommenden Studioalbum entnommen und passt hier genau.
 
Gibt es Lieder, mit denen Sie sich heute nicht mehr identifizieren können?

Fendrich: „Schickeria“ ist wie eine alte, bereits vergilbte Postkarte. Dieses Lied löst bei mir das milde Lächeln des älteren Menschen aus. Den Anlass für dieses Lied gibt es nicht mehr. Es gibt keine Schickeria in Wien mehr, und auch die unbeschwerte Zeit von damals gibt’s nicht mehr.
 
Wie meinen Sie das?

Fendrich: Ich kann das nur auf mich beziehen. Die Unbeschwertheit der 1970er- und 80er-Jahre ist weggegangen. Es gibt so viele Kriege, es gibt so viele Verrückte, die uns regieren. Damals hat man mir vorgeworfen, ich würde zu wenig Politik in meinen Liedern thematisieren. Heute ist das anders: Die Leute wollen das nicht mehr hören, eine Politikverdrossenheit hat eingesetzt. Aber ich kann nur schreiben, was mich bewegt. Das galt damals und gilt heute. Heute bewegen mich die Kinderarmut und auch die Flüchtlingslage. Die wurde anfangs von Europa ignoriert, und jetzt will man sich abschotten. Die Konflikte im Nahen Osten beispielsweise sind auch wegen der Waffen aus Europa so blutig. Und jetzt wundern sich alle, dass die Leute dort um ihr Leben laufen und zu uns kommen. Mit den Flüchtlingen kommen auch Leute, die das ausnutzen. Aber das ist die Minderheit, das darf man nicht pauschalieren und die Zäune hochfahren. Eine Lösung kann ich nicht anbieten, das muss die Kunst auch nicht, ich bin Musiker, das ist Aufgabe der Politiker.
Das Interview führte Josef Bartenschlager.
 Im Rahmen seiner Tournee tritt Rainhard Fendrich am  26. September auch in der Ingolstädter Saturn Arena auf. Beginn ist um 20 Uhr.