Neuburg
Gesungene Belehrungen

Politisch wie poetisch: Konstantin Wecker im Neuburger Schlosshof

18.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:50 Uhr
Das Konstantin-Wecker-Trio transportiert tiefe Emotionen. −Foto: Hecker

Neuburg (DK) Er verpackt Kritik in samtweichen Tönen. Konstantin Wecker spricht von "Brauner Brühe", von Parolen und Märschen, als er im Neuburger Schlosshof auf der Bühne steht.

Er ist hochpolitisch und doch poetisch umschmeichelnd. Zusammen mit Fany Kammerlander am Violoncello und Jo Barnikel am Klavier verwandelt er den romantischen Hof in ein schon fast parteipolitisches Programm. Was hier propagiert wird? Freiheit, Offenheit und vor allem die Liebe.

Wecker ist im Zwiegespräch - mit Willy Brandt, mit den Geschwistern Scholl, mit sich und natürlich dem Publikum. Immer wieder reckt der Künstler die Faust in die Luft, ruft zum Aufbruch auf. Jedoch ist es keine blutige Revolution, die er fordert, kein gewalttätiger Aufstand. Stattdessen wünscht er sich stillen Protest, wenn andere schreien, Zusammenhalt, wenn andere für Spaltung plädieren; eben mehr Zärtlichkeit.

Seine mal gesungenen, mal gesprochenen Parolen, Verse und Anekdoten werden musikalisch begleitet. Doch keine dahinplätschernde Hintergrundmusik spielen Kammerlander und Barnikel auf ihren Instrumenten, vielmehr fügen sie dieser poetischen Politik weitere Strophen hinzu. Sie tragen Weckers Ausführungen fort mit ihrer Musik, greifen seine Themen, seine Gefühle auf und spielen da weiter, wo Wecker seine Emotionen nicht mehr in Worten auszudrücken vermag.

Dieses Trio lebt das Programm, immer wieder spiegeln sich tiefste Gefühle auf den Gesichtern. Dann plötzlich ist alles ganz leicht. Wecker scherzt mit Barnikel, setzt sich zu ihm ans Piano, vierhändig fliegen die Finger nur so über die Tasten. Wecker wirf Barnikel einen Luftkuss zu, "es gibt niemanden, der so gut Klavier spielen kann wie er", ruft er ins Publikum. Neben seiner Kritik am Faschismus, an Erdogan, Trump "und wie sie alle heißen", bringt er auch immer wieder Humor in seinem sonst so kritischen Programm unter. "Wusstet Ihr, dass ich als Kind eine wunderbare Traviata war? " fragt er die begeisterten Zuhörer. Plötzlich knistert es in den großen Lautsprechern, eine alte Tonaufnahme wird abgespielt. Dann hört man die Stimme des zwölfjährigen Konstantin Weckers aus dem Jahr 1959 - er singt mit seinem mittlerweile verstorbenen Vater aus "La Traviata". Die glasklare Stimme des Kindes rührt an, und doch kann man sich das Lachen nicht verkneifen, wenn man Wecker sieht, wie er auf der Bühne steht und gestenreich sein früheres Ich parodiert.

Mit diesem früheren Ich geht der Münchner Liedermacher in viererlei Sicht hart ins Gericht. Er habe seine eigenen Texte nicht verstanden - die eh immer klüger waren als er -, sei blind mit der Masse gelaufen und habe nicht begriffen, was im Leben wirklich wichtig ist. Heute singt Wecker umso inbrünstiger über Liebe, Nachgiebigkeit und Verständnis. Jetzt geht er nicht mehr mit Scheuklappen durch die Welt, sagt er selbst.

Immer wieder verschwindet Wecker kurz von der Bühne, scheint eine Pause zu brauchen von seinem intensiven Auftritt. Doch die Stimmung reißt nie ab. Dafür sorgen Kammerlander und Barnikel, die dann mit enormer Fingerfertigkeit und unübersehbarer Spielfreude ihre Instrumente bearbeiten. Die beiden Musiker greifen auch mal selbst zum Mikrofon. "Singt sie nicht wunderschön, die Fany", lobt Wecker später.

Das Publikum ist nach zwei Stunden Programm, dem offiziellen Ende, noch lange nicht gesättigt. Die Zuhörer klatschen, stehen immer wieder auf, erbitten sich Zugabe um Zugabe. Das Bühnentrio lässt sich von der Euphorie anstecken, spielt immer weiter, Wecker kommt plötzlich von der Bühne, wandert zwischen den Zuschauerreihen umher. Die Zuhörer klatschen, pfeifen, stehen, setzen sich und dann alles wieder von vorne. Nach fast drei Stunden liest Wecker schließlich den finalen Vers: Rainer Maria Rilke, Wunderliches Wort, "Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit. "
 

Anna Hecker