München
Der Kini - ganz von dieser Welt

König Ludwig II. war weit mehr am technischen Fortschritt interessiert als bisher angenommen

26.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:35 Uhr
Märchenkönig mit Interesse an technischen Neuerungen; König Ludwig II. −Foto: dpa

München (DK) Geheimnisvoll, unergründlich, weltfremd - so stellt man sich Ludwig II. vor. Und der Bayernkönig hat an diesem Image ja selbst fleißig mitgestrickt. Seine Schlösser in abgelegener Natur durften nur Auserwählte betreten, das Repräsentieren und die Demonstration von Macht lagen ihm fern.

Dass der Monarch als Bauherr und Staatsoberhaupt noch ganz andere Facetten hatte, beweist die von Ann Katrin Bäumler (Foto) kuratierte Ausstellung "Königsschlösser und Fabriken. Ludwig II. und die Architektur" in der Pinakothek der Moderne.

Frau Bäumler, müssen wir unser Bild vom weltfremden Märchenkönig korrigieren?
 

Ann Katrin Bäumler: Allerdings. Die jüngsten Forschungen zeigen, dass sich der Monarch sehr wohl mit den Problemen der Zeit auseinandergesetzt hat. Neben seinen Schlossprojekten hat er sich auch sonst viel mehr um architektonische Belange gekümmert, als wir meinen. Und er unternahm viel für den technischen Fortschritt.

Konkret?
 

Bäumler: Mobilität und Elektrizität sind ihm wichtig. Die Eisenbahn war das schnellste Verkehrsmittel dieser Zeit, die hat er enorm gefördert. Die unzähligen kleinen Privatbahnen in Bayern wurden verstaatlicht, das Streckennetz stark verdichtet und dabei auch genormt. Und er hat 1882 die erste internationale Elektrizitätsausstellung von Paris nach München in den Glaspalast geholt. Rund ums Oktoberfest, das gleichzeitig stattgefunden hat, gab es eine elektrische Beleuchtung. Das war ein unbeschreibliches Ereignis, das auch international wahrgenommen wurde.

War das mehr Show, oder hat das die "Elektrisierung" vorangebracht?
 

Bäumler: Kurz darauf gab es auch in Nürnberg die erste Straßenbeleuchtung, und so ging es weiter. Unter Ludwig erfuhren genauso die Industrieausstellungen eine erste große Blüte. Für die Nürnberger Schau 1882 wurde ein ganzer Stadtpark errichtet.

Inwiefern hat Ludwig sonst auf die Stadtplanung eingewirkt?
 

Bäumler: Oft indirekt, indem er Grund zur Verfügung gestellt hat wie fürs Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz. Und er hat schon in ganz jungen Jahren Pläne für ein Richard-Wagner-Festspielhaus und eine Prachtstraße geschmiedet, da saß er gerade erst auf dem Thron. Zu dieser Zeit war sein Großvater Ludwig I. noch am Bauen und auch die Maximilianstraße seines Vaters längst nicht fertig. Also musste er sich zurücknehmen. Aber man merkt schon, wie er Einfluss nimmt - etwa durch die Situierung wichtiger Bauten. Nicht mit feudaler Geste wie seine Vorgänger, aber doch in wesentlichen Bereichen.

Wo zeigt sich das besonders?
 

Bäumler: In München etwa an der Polytechnischen Schule gegenüber den Pinakotheken. Durch den Bau der heutigen TU wurden auch die umliegenden Straßen ausgebaut. Oder nehmen Sie den Auftrag zur Kunstakademie, die damals auf freiem Feld entstand. Sie zog ringsum zahlreiche Mietshäuser nach sich - oft mit Atelier. Und auch ums Gärtnerplatztheater, das Ludwig nach der Pleite rettet und zum Staatstheater macht, entsteht ein ganzer Stadtteil. Genauso Haidhausen ab etwa 1870 im Bereich des Ostbahnhofs. Zur Zeit Ludwigs wandelt sich München zur Metropole.

Ludwig, der entschiedene Kriegsgegner, ließ aber auch Kasernen bauen.
 

Bäumler: Und nicht nur in München, sondern mit der Prinz-Karl-Kaserne auch in Augsburg. In Ingolstadt wurde damals die Landesfestung ausgebaut. Allerdings geschah das alles fast mehr noch aus Angst vor inneren Unruhen. Da war der König ganz realistisch.
 

Hat sich Ludwig dann wirklich für die Belange seiner Untertanen interessiert, oder dachte er strategisch?
 

Bäumler: Beides. Mit der sozialen Frage hat er sich jedenfalls mehr auseinandergesetzt als bislang angenommen. Es ging ihm nicht nur um die industrielle Entwicklung im Agrarstaat Bayern, sondern auch um eine gute Ausbildung der breiten Bevölkerung. Im Zuge der Schulordnung von 1864 wurden bayernweit Realgymnasien gegründet. Und auch so eine Kleinigkeit wie die Einführung des Titels "Commerzienrath" war nicht ohne Wirkung. Damit wurden nicht nur unternehmerische Leistungen ausgezeichnet, sondern genauso soziales und kulturelles Engagement.
 
Die Bahnhöfe sind die neuen Kathedralen, und der Bürgerstolz findet in vielen neuen Rathäusern seine Entsprechung.
 

Bäumler: Das hat auch mit dem neuen Selbstverwaltungsrecht der Kommunen von 1869 zu tun. Man sieht das am nicht gerade bescheidenen Neuen Rathaus in München, das man dem jungen Georg Hauberrisser anvertraut. Und bei den Bahnhöfen sind die Ansprüche besonders hoch: Zur Stadt hin haben wir ein repräsentatives Empfangsgebäude in traditionellem Massivbau, die Gleishalle dahinter ist eine moderne Glas-Eisen-Konstruktion.

Trotzdem leben ja die historischen Stile wieder auf.
 

Bäumler: Als wollte man den Fortschritt oder das Neue damit verträglicher machen, ja. Es gibt übrigens einen interessanten Unterschied: Im öffentlichen Bauwesen dominiert die Neorenaissance, das sieht man etwa beim Alten Rathaus in Ingolstadt, das in den frühen 1880er-Jahren von Gabriel von Seidl und Lorenz Gedon umgestaltet wurde. Beim Sakralbau überwiegt dagegen immer noch die Neugotik, die seit den 1840er-Jahren verbreitet ist. Überhaupt werden einige Kirchen gebaut.

Womit hat das zu tun?
 

Bäumler: Auch mit dem immensen Bevölkerungswachstum. Und stilistisch wirkt sich die Re-Gotisierung der Münchner Frauenkirche, aber auch die Fertigstellung des Regensburger Doms aus. Genauso entstanden in den 1860er- und 70er-Jahren bedeutende evangelische und jüdische Gotteshäuser. Das hat der gläubige Katholik Ludwig II. zum Teil aktiv gefördert.

Bei dieser Fülle vergisst man fast seine Schlösser.
 

Bäumler: Aber sie sind eine Art i-Tupfen auf dem Ganzen und in ihrer Anlage doch erstaunlich modern. Der Thronsaal auf Neuschwanstein mag wie ein Sakralraum erscheinen, dahinter steckt neueste Bautechnik. Vor allem aber taucht man hier in eine ideale Welt ein - das haben wir heute im Kino.

Das Interview führte Christa Sigg.

"Königsschlösser und Fabriken. Ludwig II. und die Architektur", bis 13. Januar in der Pinakothek der Moderne, München, Barerstr. 40, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr; Katalog (Birkhäuser) 39,95 Euro.