Die Wut der Künstler wächst

Nach vier Wochen ist der Antrag auf Künstlerhilfe online - Der Nutzen hält sich immer noch in Grenzen

25.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:07 Uhr
Seit März ist die bayerische Kunst- und Kreativszene im Notfall-Modus. Die erhoffte Rettung sehen viele auch im neu aufgelegten Künstlerhilfsprogramm wieder nicht. −Foto: Imago/blickwinkel/McPhoto/Erwin Wodicka

München - "Ich lasse Sie nicht im Stich!", lautete im März das Versprechen der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) an die Künstler, Kreativen und Medienschaffenden. In Bayern kündigten Ministerpräsident Markus Söder und Kunstminister Bernd Sibler (beide CSU) an, denen zu helfen, die bisher durchs Raster gefallen waren.

 

Als vier Wochen später der Antrag online stand, kochte bei den Kreativen in Bayern die Wut. Da stand: Wer Soforthilfe oder Hartz IV beantragt hat, darf die Künstlerhilfe nicht beantragen - selbst wenn beides abgelehnt wurde. Nach einer Explosion der Empörung kündigte Sibler am Feiertag Christi Himmelfahrt an: Die Richtlinien werden geändert (siehe "Der Antrag").

Auch wer bei der Soforthilfe oder bei der Grundsicherung abgelehnt wurde, kann die Künstlerhilfe nun beantragen. Das Kunstministerium sprach auf Anfrage der "Passauer Neuen Presse" von "Missverständnissen". Der Antrag ist zudem möglich, wenn ein zuvor gestellter Antrag auf Soforthilfe oder Grundsicherung bei jener Stelle, wo er gestellt wurde, rückgängig gemacht wird.

Für die Kreativen in Bayern bedeutet dies, sie müssen sich entscheiden: Entweder sie behalten die gegebenenfalls gewährte "Soforthilfe Corona", die im von Minister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geleiteten Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, oder sie beantragen die neue "Künstlerhilfe" des Kunstministeriums. Wobei dieses nochmals ausdrücklich darauf hinweist, dass die Soforthilfe vor allem für Selbstständige mit eigener Betriebsstätte oder für gemeinnützig organisierte Kultureinrichtungen vorgesehen ist. In der Praxis allerdings geben viele Künstler unumwunden zu: Als Auftritte untersagt und Bühnen geschlossen wurden, beantragte so gut wie jeder Soforthilfe - ob nun mit oder ohne Betriebsstätte. Zumal damals niemand wissen konnte, dass es ein weiteres Hilfsprogramm geben würde. Selbst wer gewissenhaft und realistisch seine Betriebsausgaben angesetzt und Soforthilfe erhalten hat, darf damit nach aktuellem Stand weder private Mieten und Lebensmittel bezahlen noch darf er die neue Hilfe beantragen, mit der er dies bezahlen dürfte. Gerade dieses Dilemma sorgte in den Rückmeldungen von Künstlern an die Redaktion für Verbitterung und Wut.

Im Dilemma befinden sich auch jene, die der vehementen politischen Empfehlung gefolgt sind und Hartz IV beantragt haben. Erst im Nachhinein erfahren sie, dass sie somit von der Künstlerhilfe ausgeschlossen sind. Und: Eine etwaige Soforthilfe wird auf die Grundsicherung angerechnet.

Fast schlimmer noch ist der Umstand, dass im Kunstministerium nach eigenen Angaben noch gar keine Richtlinien vorliegen, nach denen die Anträge auf Künstlerhilfe beurteilt werden sollen - eine vermutlich auch juristisch heikle Situation.

Bei der Forderung von Verbänden nach einer Art Kurzarbeitergeld für Künstler wird laut Ministerium "eine Bewertung derzeit noch geprüft". Wer bei staatlichen Einrichtungen ein Engagement hatte, könne bei coronabedingten Absagen mit einem Ausfallhonorar rechnen. Geprüft werde zudem, "ob diese Regelung auch für kulturelle Einrichtungen Anwendung finden kann, die Förderempfänger des Freistaates sind. " Die Reaktionen der Künstlerinnen und Künstler in Bayern auf das neue Hilfsprogramm ist unterdessen verheerend - auch die kurzfristig geänderten Regeln vermochten daran wenig zu ändern. Die Wortwahl ist mitunter deftig.

"Man ist sprachlos ob so viel Zynismus, falscher Versprechungen und dilettantischer Politik. Ja, es ist dilettantisch, arrogant oder allerdings mieses, verlogenes Kalkül", schreibt Musiker Uli Zrenner-Wolkenstein aus Regensburg zur Unvereinbarkeit von Betriebskosten- und Lebensunterhaltshilfe: "Wer Betriebskosten hat, braucht nichts essen. Wer essen will, darf keine Betriebskosten haben. Das ist politische Logik. Wir lassen eben keinen zurück. "

Auch der Ingolstädter Percussionist Charly Böck ist empört. Gegenüber unserer Zeitung beklagt er, dass "man in München offenbar überhaupt nicht weiß, wie Künstler eigentlich arbeiten und leben". Er kann es auch nicht fassen, dass die Staatsregierung so lange braucht, überhaupt ein Antragsformular für die Künstlerhilfe ins Internet zu stellen. Für ihn selber sieht die Situation derzeit düster aus, "auch wenn ich weiß, dass es anderen Menschen noch schlechter geht". Seit dem 13. März ist sein beruflicher Terminkalender nahezu leer.

Popmusikerin Vera Klima aus Emertsham im Kreis Traunstein schreibt: "Ich fühle mich einfach nur komplett verarscht. Seit über 13 Jahren arbeite ich hart als selbstständige Künstlerin, versuche mir etwas aufzubauen, anzusparen, zahle pünktlich meine Steuern. Dass jetzt die vierte Hilfe für Solo-Selbstständige einfach nur heiße Luft ist macht mich unglaublich wütend und zeigt mir, was Kunst für unsere Politik wirklich wert ist: Nichts. " Pianist Sven Ochsenbauer aus Viechtach schreibt: "Der blanke Hohn und eine Frechheit . . . Wenn die Staatsregierung hier nicht nachbessert, werde ich (und viele meiner Kollegen) mit 1200 Euro oder weniger eine halbes Jahr über die Runden kommen müssen! " Kabarettistin Birgit Süß aus Würzburg ruft höhere Mächte an: "Wieso kommt die Mama Bavaria nicht in ihrem schicken Dirndl . . . und rückt der bayrischen Regierung mal den Kopf zurecht? Auf sie würde man vielleicht hören. "

DK

 

Raimund Meisenberger