Murnau
Bilder der Heimat als inneres Exil

Oskar Maria Graf und Georg Schrimpf: Das Schlossmuseum Murnau widmet der Freundschaft zweier Künstler eine Schau

09.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:08 Uhr
Über Georg Schrimpfs "Schlafende Mädchen" (1926 Öl auf Leinwand, Privatbesitz) sagte sein Freund Oskar Maria Graf, dass sie ein Zeichen für des Malers abstrakte Verehrung an der Frau an sich. −Foto: Roman März

Murnau (DK) "Das ist nämlich so?" begann der autodidaktische Maler Georg Schrimpf seine Argumentationen, wenn er mit seinem Freund Oskar Maria Graf über die politischen Zustände in Deutschland diskutierte.

Der 1889 geborene Maler und der fünf Jahre jüngere Schriftsteller lernten sich 1911 in München kennen, sie stammten beide aus einer Bäckerfamilie, versuchten mittellos sich in der Stadt das Überleben zu sichern und gehörten zum anarchistischen Umfeld von Erich Mühsam. Verbunden sind sie durch ein Ringen um das, was ihnen Heimat ist - auch in einer Zeit, als nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie genau dieses Heimatgefühl zu vergiften begann. Das Schlossmuseum Murnau widmet beiden Künstlern eine spannende Ausstellung unter dem Titel "Mein Freund, der Maler" mit Leihgaben aus öffentlichem und privatem Besitz, begleitet von einem äußerst lesenswerten Katalog.

Das literarische Dokument dieser Freundschaft, das Graf 1950 veröffentlichte, trägt den Titel "Ein barockes Malerporträt". Darin erzählt der bayerische Schriftsteller, der 1934 nach Wien und weiter in die USA auswanderte, mit leichter Ironie über die diversen Beziehungen Schrimpfs: "Er hing sein Leben lang mit einer nicht zu enträtselnden, wirklich abstrakten, gewissermaßen solidarischen Verehrung an der Frau an sich, am Begriff Frau sozusagen?" Die Ausstellung zeigt dies mit Bildern wie "Mädchenakt", "Zwei Mädchen am Fenster" oder "Schlafende Mädchen". Hier wie auch in den beigefügten Zeichnungen wird sichtbar, dass der Autodidakt Schrimpf eine Begabung hatte, das Volumen der Körper darzustellen. Er erfasst den Leib, die Beine und Arme in ihrer Fülle wie ein Bildhauer. Dennoch wirken die Frauen, die er auf Wiesen bettet, gleichsam schwebend, denn ihr Gewicht drückt keinesfalls die Grashalme ein, die der Maler fein und genau auf die Leinwand pinselt. Vielmehr ist die Natur in den Bildern eine Kulisse, deren Proportionen nicht immer zu den großen Körpern im Vordergrund passen wollen. Geschickter ordnet er die Modelle im Raum: Die Kante einer Holzbank oder ein Fensterbrett sind horizontale Linien im Vordergrund, die den Betrachter, der "auf der anderen Seite" steht, mit hineinnehmen in die Szene.

Der Stil dieser Bilder aus den 1920er-Jahren folgt der "Neuen Sachlichkeit", wie sie 1925 auf der großen Ausstellung in Mannheim vorgestellt wurde. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Schrimpf sich zunächst als Expressionist versuchte. In seinen Darstellungen einer Frau mit Kind aus den Jahren 1918/1919 verwendet er leuchtendes Blau, Rot und Gelb für die Darstellung von Gewändern und Innenräumen. Der "Besuch beim Kind" ist die Verarbeitung einer traumatischen Lebensstation: Seine erste Ehefrau starb im Kindbett - die an eine Madonna erinnernde Mutter hat deshalb bleiche Hände, mit der sie das Neugeborene umfängt. Schrimpf hat in diesen Jahren auch Veröffentlichungen von Graf illustriert, die in Lesevitrinen gezeigt werden.

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den Landschaftsbildern Schrimpfs, in denen er völlig auf Menschen und Tiere verzichtet. Es sind Idealbilder aus Oberbayern wie etwa der Blick auf den Staffelsee: Verträumt liegen dunkle Wälder und Wiesen unter einem hellen Himmel, dessen Blau und Rosa sich auf der Wasserfläche spiegeln.

Schrimpf hat für solche Werke im Freien skizziert, die Landschaften aber vor allem in seinem Bild-Gedächtnis gespeichert und dann im Atelier zu einem Idealbild komponiert - selbst ab 1933, als er in Berlin zum außerordentlichen Professor an der Staatlichen Kunstschule ernannt wird. Biografisch trennen sich hier die Wege von Graf und Schrimpf: Der Schriftsteller verlässt die Heimat (er stirbt 1967 in New York), der Maler versucht, sich im nationalsozialistischen Deutschland durchzulavieren und seine Familie zu ernähren. 1934 werden Werke Schrimpfs im Deutschen Pavillon der XIX. Biennale in Venedig ausgestellt, 1937 wird ein Bild kurzzeitig als sogenannte "Entartete Kunst" in den Münchner Hofarkaden gezeigt, aber nach einer Intervention von Rudolf Heß wieder aus der Schau entfernt. Für das Arbeitszimmer von Heß in der Berliner Wilhelmstraße soll Schrimpf deutsche Landstriche malen, die offensichtlich in eine Wandvertäfelung eingefügt wurden - ein schmales Hochformat aus der Stiftung Gunzenhauser sind in der Ausstellung zu sehen.

Für Schrimpf werden diese menschenleeren Landschaften offensichtlich so etwas wie ein innerer Rückzugsort in schwierigen Zeiten. So wie Graf 1940 in New York (zunächst auf Englisch) "Das Leben meiner Mutter" veröffentlicht und damit einer untergegangenen Welt ein Denkmal setzt, so malt Schrimpf Bilder seines "inneren Exils". Er stirbt am 19. April 1938 in Berlin. Die Ausstellung ermöglicht nun die Wiederentdeckung eines Künstlers, dessen Werk auch vor Augen stellt, wie konzeptlos und willkürlich die Kulturpolitik der Nationalsozialisten war.

Bis zum 3. November im Schlossmuseum Murnau, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.

Annette Krauß