Ingolstadt
Berlin liegt gleich hinter dem Mond

Standing Ovations: Das Stadttheater Ingolstadt huldigt mit "Frau Luna" nostalgisch der Berliner Operette

21.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:44 Uhr
Sabine Busch-Frank
  −Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Berlin ist arm, aber sexy - und der Süden der Republik eher das Gegenteil.

Vielleicht resultiert aus diesem Komplex die Idee, mit der am größten besetzten Produktion des Ingolstädter Stadttheaters einmal die Hauptstadt unter die Lupe zu nehmen. Die ziemlich genau 120 Jahre alte Operette "Frau Luna" von Paul Lincke ist wohl das berlinischste aller Glitzergeschöpfe - obwohl ihr Schloss auf dem Mond liegt. Dort bekommt die lustige Witwe des Weltalls allerdings Besuch von ein paar neugierigen Reisenden aus der Hauptstadt und gemeinsam wird geliebt, getanzt, gesteppt, geflirtet und gefeiert, dass die Schwarte kracht. Schließlich aber treibt das Heimweh alle doch wieder zu "Goldelse", zum Tiergarten und an die Spree.

In Ingolstadt, wo man bei solch einem Projekt kein eigenes Orchester hat und singende Schauspieler besetzt werden, hat sich der musikalische Leiter Tobias Hofmann für die Fassung der "Bar jeder Vernunft" aus Berlin entschieden. Dieses Varieté-Restaurant steht seit 26 Jahren für Glitzerkult im Spiegelzelt und bespielt auch erfolgreich das "Tipi am Kanzleramt" mit Shows, Kabarett und Konzerten. Aus dem schmalen Orchestergraben im Großen Haus kommt also das fröhliche Humptata der so klug wie klein besetzten "Mondscheinkapelle" unter einem nicht nur agil, sondern gar am Schlagzeug dirigierenden Tobias Hofmann, was eine ungewöhnliche Orchesterplatzierung generiert.

Auf der Bühne aber, wo Hofmann als Regisseur die Fäden zieht, geht es nostalgisch zu. Hier wird noch nicht beim Co-Working im Loft Latte Macchiato geschlürft, sondern im Dachkammerl mit dem kohlebefüllten Bügeleisen geplättet. Die Frauen tragen Mieder und Strumpfgürtel und servieren wohlgenährten Männern schimpfend die Molle mit Stullen.

Ganz anders auf dem Mond: Hier ist eine fesche Klassefrau Chefin (Antje Rietz). Musikalisch mit allen Wassern gewaschen weiß sie, wo es lang geht. Ihre Kammerzofe Stella, eine Emanze mit Furor, fabelhafter Stimme und eigenem Sparkassenbücherl (Renate Knollmann) macht es ihr nach und setzt dem Haushofmeister Theophil (Richard Putzinger) ganz schön kratzbürstig zu. Als jetzt die Berlinreisenden auf dem Mond landen, wo hinreißend steppende und singende Mondelfen den Hausputz als fröhliche Männerphantasie im Tüll-Minirock erledigen, werden die Karten neu gemischt: Frau Luna lässt ihren grämlich um sie werbenden und schon ziemlich vertrockneten Prinzen Sternschnuppe (Andreas Bittl) auflaufen und wendet sich dem Berliner Erfinder Steppke (Peter Reisser) zu.

Stella lässt sich von der groben Berliner Schnauze von Frau Pusebach (Teresa Trauth) inspirieren, welche ihren Verlobten Panneke (Jan Gebauer) resolut ins heimische Stübchen holen will. Theophil hat alle Hände voll zu tun, damit eine verflossene Erdenromanze bei Mondfinsternis nicht das Vermögen seiner Angebeteten in unerreichbare Ferne ziehen lässt.

Das alles ist unterhaltsam gestrickt und witzig bebildert. Da werden alte Theatertricks gezaubert wie der Ballonflug via Pappkamerad in den Bühnenhimmel und quer durch das Zuschauerhaus, aber auch Revuezitate wie eine Mini-Showtreppe und ein Glitzerstaubsauger gesetzt. Liebevoll gebaute Requisiten wie der Michstraßenkreuzer des Prinzen Sternschnuppe (ein Original des Ingolstädter Licht- und Objektkünstlers Markus Jordan) oder eine Vergrößerung der Ikea-Mondsichel-Schaukel werden hingebungsvoll bespielt. Die Besetzung ist, auch hier die Berliner Konzeption aufnehmend, ein wenig queer gestrickt: Männer spielen Frauen, so die elegant in Glitzerleggins und Stilettos schäkernde Venus (Jan Beller), die auch stimmlich zu imponieren vermag, oder das schiefgesichtige, dem Alkohol zusprechende Fräulein Groom (Rolf Germeroth).

Ein bisschen mehr kecke Doppelbödigkeit hätte man sich allerdings dort wünschen können, wo althergebrachte Männer- und Frauenabziehbilder üppig ausgekostet werden. So schaut bei all den kessen Powerfrauen nämlich das starke Geschlecht ein wenig zu derangiert aus der Wäsche. Eine rühmliche Ausnahme bildet hier der hinreißend reimende Junggeselle Lämmermeier (Rald Lichtenberg). Auch die Rückkopplung auf das Berlin unserer Tage erfolgt nur bei der Zugabe. Das ist schade, zieht aber inmitten des üppigen Bühnenzaubers (Katrin Busching) schnell vorbei, als kleine Wolke vor strahlendem Vollmond. Wenn aber manche der unsinnig Verliebt- und Verlobten hier schon ein eher gesetzteres Alter erreicht haben, in welchem sie über derlei Dummheiten hinaus sein sollten, dann liegt dieser zweite (oder dritte? ) Frühling sicher auch nur an der "Berliner Luft, Luft, Luft".

Die Gassenhauer der Operette nämlich funktionieren in ihrem Ohrwurmqualitäten ungebrochen: "Schlösser, die im Monde liegen", "Theophil", das ewig schimmernde "Glühwürmchen", "Lasst den Kopf nicht hängen" - aus dem inneren Schunkeln kommt man an diesem Abend gar nicht mehr heraus. Und wenn beim Finale gleich zwei der Reißer gleichzeitig gesungen werden, dann geht alles zusammen: Marsch und Schmonzette, Berlin und der Mond, Donau und Spree, Mann und Frau. Das Publikum ist beseelt, stehende Ovationen.

Weitere Termine am 25. Oktober sowie im November und Dezember. Kartentelefon (0841) 30547200.

Sabine Busch-Frank