München
Baselitz für ein paar Euro

Auch alteingesessene Auktionshäuser wie Ketterer versteigern Kunst übers Internet

10.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:06 Uhr
Verschiedene Arten der Versteigerung: im Internet und als normale Auktion, hier mit Robert Ketterer in München (unten). Der Auktionator bietet beide Wege an, zuletzt hat das Interesse an Online-Auktionen zugenommen. −Foto: Fotos: Sigg/Ketterer

München (DK) Vor dem Büro stehen typische Holzmänner von Stephan Balkenhol, hinterm Schreibtisch hängt eine Arbeit des Abstrakten Pierre Soulages, und neben den Stiften liegt ein kleines Schmuckkästchen, das Franz Marc bemalt hat.

Robert Ketterer ist umgeben von seinen Lieblings-Originalen. "Die geb ich auch nicht her", sagt er. Dabei lebt der 49-Jährige davon, Kunst zu versteigern. Mittlerweile immer mehr über Online-Auktionen. Ein Gespräch über neue Märkte, Prestige-Objekte und verrückte Biet-Situationen im Netz.

Herr Ketterer, Online-Auktionen riechen so ein bisschen nach Ebay.
Robert Ketterer: Genau das ist das Problem. Bei Ebay werden sogenannte "Dachbodenfunde" angeboten, die oft nicht echt sind. Und wenn doch, weiß man noch nichts über den Zustand. Im Grunde ist völlig unklar, worauf man sich einlässt, ich kann die Skepsis gut verstehen.

Und wie gehen Sie dagegen an?
Ketterer: Durch Aufklärung. Wir gehen mit den Online-Objekten genauso ernsthaft um wie bei der Live-Auktion, von der Überprüfung etwa der Herkunft bis zur Beschreibung und Taxierung. Bei uns kann man das Ersteigerte übrigens zurückgeben, wenn es nicht den Vorstellungen entspricht. Und wir übernehmen den Transport, auch wenn der Preis nur bei 100 Euro liegt.

Trotzdem lebt Kunst von der Präsenz. Ist das nicht auch das Problem beim Online-Kauf?
Ketterer: Ganz offen: Wir sehen unsere Kunden bei den Live-Auktionen ja auch nicht mehr.

Läuft das meiste übers Telefon?
Ketterer: Ja, und die Mehrzahl hat sich die Bilder oder Skulpturen nicht vor Ort bei uns angesehen. Das gab's in der Form früher nicht. Heute sind die Kunden bereit, für ein Kunstwerk bis zu 200000 Euro auszugeben, ohne sich einen Eindruck vom Original verschafft zu haben. Das ist eine enorme Veränderung. Und der Unterschied zwischen einer Live- und einer Internet-Auktion ist ja auch marginal. Entweder ich schlage dreimal mit dem Hammer aufs Pult oder die Auktion endet zu einem Zeitpunkt, der vorher genau festgelegt ist.

Aber das Bieten verläuft doch anders?
Ketterer: Bei den Online-Auktionen tut sich meistens erst in den letzten paar Minuten etwas, und es kann zu ganz verrückten Biet-Situationen kommen.


Das heißt?

Ketterer: Angenommen, wir haben eine "Victoria". Das sind zwei Druckgrafiken, die Gerhard Richter für die Victoria-Versicherung gemacht hat. Beide Blätter kosten jeweils um die 2500 Euro. Also setzen wir das bei der Saalauktion mit 1500 Euro an, dann geht das vielleicht auf 2600 Euro. Bei der Internet-Auktion beginnen die Blätter bei einem Euro. Wenn aber jemand kurz vor Schluss 3000 Euro bietet, kann das richtig hochschießen und in einer Geschwindigkeit, die bei einer Live-Auktion gar nicht möglich wäre. Wir hatten diesen Fall genau bei Richter - und am Ende waren es 8000 Euro für eine "Victoria". Es gibt aber auch einige Objekte, die unterm Preis bleiben.

Die weniger bekannten Namen?
Ketterer: Ja, die haben es immer schwer und bei Online-Auktionen besonders. Dabei können das ganz fantastische Werke sein.

Sie haben jetzt Bereiche der Sammlung Steinle aus Neu-Ulm in der Online-Versteigerung. Ist das die Ausnahme?
Ketterer: Gar nicht, wir haben immer wieder Objekte aus guten Sammlungen, die bei einem Euro anfangen. Für uns ist das eine Möglichkeit, neue Interessenten in diese Auktionen zu ziehen, denn allein der Aufwand dabei zu sein, ist viel geringer. Es reicht ja, ins Netz zu gehen. Gerade im Fall der Fondation Steinle haben wir schon Tausende Bieter, die sich in Ein-Euro-Schritten bewegen. Das kann sich erst einmal jeder leisten.

Gibt es Kunden, die eine Online-Versteigerung ablehnen?
Ketterer: Natürlich, und jetzt sind wir wieder bei der Aufklärungsarbeit. Wobei die Online-Auktion auch nicht für jedes Objekt funktioniert. Gerade wenn es sich um Künstler handelt, die man nicht so gut kennt oder für die es einen eher kleinen Interessentenkreis gibt. Und nur das, was bei einer Saalauktion gut läuft, kann man auch im Internet gut verkaufen.

Aber Filetstücke wie ein Gemälde von Pechstein oder Kirchner würden Sie doch nicht online versteigern?
Ketterer: Sie würden online einen ähnlichen Preis erzielen. Aber wir brauchen natürlich die Öffentlichkeit, gerade bei einer Auktion mit solchen hochpreisigen Werken. Online-Auktionen funktionieren nämlich nur, wenn das Vertrauen durch Live-Auktionen geschaffen wurde. Bei einem Kunstwerk geht es immer um Fragen der Echtheit, um die Provenienz, um klare Eigentumsverhältnisse. Das sind alles Dinge, die wir als professionelles Haus intensiv prüfen.

Das Geschäft nur mit Online-Auktionen zu machen, ist vermutlich schwierig.
Ketterer: Der Kunstmarkt hat extrem viel mit Präsenz und Vertrauen zu tun. Die Werke der großen, der angesagten Künstler fliegen uns ja nicht einfach zu. Solche Objekte werden einem nur anvertraut, wenn die Kunden von einem überzeugt sind.

Kann ich mir die Objekte der Online-Auktionen ansehen, also etwa den Linolschnitt von Georg Baselitz, der gerade bei 700 Euro liegt?
Ketterer: Natürlich, die Werke sind alle bei uns zu sehen. Kurze Anmeldung genügt.

Eine Radierung von Eduardo Chillida seht sogar erst bei 156 Euro.
Ketterer: Das ist aber ganz normal, 30 Tage haben wir das im Angebot, und kurz vor Schluss kommt dann Bewegung in das Ganze. Die letzte Minute zählt! In vielen Fällen sind die erzielten Preise höher als bei den normalen Auktionen. Aber klar, man kann immer Glück haben und ein tolles Werk für ganz wenig Geld ersteigern.

Noch vor zehn Jahren hat Hans Neuendorf, der Gründer des Online-Kunstportals Artnet behauptet, der Kunstmarkt würde sich komplett verändern. So ganz stimmt das ja nicht.
Ketterer: Aber er wird recht behalten, es dauert nur etwas länger als Hans Neuendorf gedacht hat. Der Aufwand für die Saal-Auktionen wird immer größer, von den Einladungen bis zur Herstellung teurer Kataloge. Das ist wichtig, geht aber nicht mehr für alle Objekte.

Wie hoch ist bei Ketterer Kunst inzwischen der Anteil des Online-Geschäfts?
Ketterer: Das sind momentan erst zwei bis drei Prozent unseres Umsatzes. Wir haben etwa 2000 Objekte in der Live-Auktion und 1000 bis 1200 Objekte in der Internetauktion. Aber es wird mehr, und Online dürfte Live sicher bald überholen. Dennoch wird es die großen Live-Auktionen immer geben, das wollen die Käufer, das will der Markt. Und die Prestige-Objekte im hochpreisigen Bereich möchte ich einfach selber in der Hand haben. Bitte, das ist ja mein Job und überhaupt meine Freude!

Das Interview führte

Christa Sigg.


Die Online-Auktion mit Werken aus der Sammlung Günther Steinle endet am Sonntag, 15. Juli, Punkt 15 Uhr; mehr auf www. kettererkunst. de