Ingolstadt
Außer Atem

Sergei Nakariakov eröffnet Saison des Georgischen Kammerorchesters

17.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:40 Uhr
Auf die Spitze getriebene Viruosität: Sergei Nakariakov spielt "ad absurdum" von Jörg Widmann, Ruben Gazarian leitet das Georgische Kammerorchester im Festsaal. −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Dieses Konzert verdient es, in die Annalen der Ingolstädter Orchestergeschichte einzugehen. Denn wann hat es vorher je einen so virtuosen Auftritt gegeben? Wann zuvor ist die sportive Leistungsfähigkeit musikalisch derart an den Rand des Möglichen getrieben worden wie bei Jörg Widmanns 2002 komponiertem Trompetenkonzert "ad absurdum"?

Mit buchstäblich atemloser Spannung, Verwunderung und fast schon Entsetzen verfolgten hunderte Besucher beim Saisonauftakt-Konzert des Georgischen Kammerorchesters die zirkushafte Ausdauer des Trompetenstars Sergei Nakariakovs. Denn der hatte beim Widmann-Konzert gleich am Anfang mit maschinengewehrhafter Schnelligkeit nonstop 65 Takte hintereinander Sechzehntel-Noten zu spielen, minutenlang, scheinbar ohne zu atmen. Manchem Musikfreund im Publikum blieb da buchstäblich die Luft weg, allein schon beim Beobachten dieses Ereignisses.

Möglich ist das nur durch eine bestimmte Atemtechnik, die Nakariakov in Perfektion beherrscht: Zirkularatmung. Um ohne Unterbrechung Luft in die Trompete strömen zu lassen, muss der Musiker einen Moment lang gleichzeitig atmen, ohne dabei die Luftversorgung zu stoppen. Er tut das, indem er, wenn die Luft knapp zu werden droht, mit dem Gaumensegel die Verbindung zwischen Luftröhre und Mund kappt, dann die verbliebene Luft aus der Mundhöhle weiter durch die Trompete treibt, während er gleichzeitig sehr schnell einatmet.

Das Konzert wurde von Jörg Widmann dem russischen Trompeter buchstäblich auf den Leib geschrieben. Und wie maßgeschneidert bewältigt er die fast übermenschlichen Schwierigkeiten des einsätzigen Stücks, fast schon mit Gelassenheit, ohne sich irgendwelche Anstrengungen anmerken zu lassen.

Erhebliche Anforderungen stellt die auf die Spitze getriebene Motorik auch für die Orchestermusiker, die den Vorwärtsdrang dieser Musik immer wieder vom Trompeter übernehmen, mal der Konzertmeister, dann die beiden Flöten und die Bratschen oder in gewaltigen Entladungen die Pauken. Schließlich endet das Stück dort, wo es eigentlich die ganze Zeit über hindrängt: Zur Maschinenmusik. Ein Drehorgelspieler übernimmt weitgehend die letzten Takte: völlig überdrehte Tonrepetitionen, bis an die Grenze des Erträglichen getrieben. Eine fulminante Leistung gelang da nicht nur dem neuen Artist in Residence der Spielzeit, dem Trompeter Sergei Nakariakov, sondern auch dem Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Ruben Gazarian.

Nakariakov zeigte nach der Pause noch eine völlig andere Fassette seiner Persönlichkeit bei Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Flügelhorn KV 495 (nach dem Hornkonzert Nr. 4). Statt manischem Geschwindigkeitsrausch war nun gepflegte, warme Tonschönheit zu genießen. Besonders die ausdrucksvollen, melodischen Phrasierungen im langsamen Satz beeindruckten.

Eingebettet waren beide Konzerte in zwei eher frühe Haydn-Sinfonien (Nr. 34 und Nr. 27), die Gazarian mit viel Energie und kunstvoller Detailarbeit auf die Konzertbühne brachte. Verblüffend war besonders die eingangs aufgeführte Sinfonie Nr. 34 vermutlich aus dem Jahr 1765, weil sie die erste Haydn-Sinfonie war, die in einer Moll-Tonart stand. Aber auch hier wechselte der Komponist nach dem ersten gefühlstiefen, etwas langatmigen Kopfsatz ins Dur. Es gibt wohl kein Zeitalter der Musikgeschichte, das so sehr die heiteren, optimistischen und unterhaltsamen Dur-Tonarten liebte wie die Wiener Klassik.

Ruben Gazarian vermied in seiner Darstellung alle Extreme, spielte weder besonders schnell noch langsam, trieb das Orchester nicht zu einer radikal verschlankten Klanglichkeit, wie man es von den Originalklangensembles kennt. Vielmehr überzeugte er mit gediegener Klassizität und mit einem guten Verständnis für all die Raffinesse, den Esprit und den Witz des glänzend komponierten Notentextes: in all den Trugschlüssen, Echoeffekten, Spiegelungen der Motive und kleinen Überraschungsmomenten. Wunderbar gelang besonders die herb-elegische Violinarie des zweiten Satzes der Sinfonie Nr. 27, begleitet vom gitarrenartigen Pizzicato der dunkleren Streichinstrumente. Ein Moment unendlich leiser und zarter Schönheit.

Jesko Schulze-Reimpell