Augsburg
Brecht für Surfer

Patrick Wengenroths selbstverliebte Revue am Theater Augsburg

13.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:30 Uhr

Conférencier und Reiseführer zu dem anderen Brecht: Patrick Wengenroth in "Die Welt ist: Schlecht! Und ich bin: Brecht". - Foto: Meyer

Augsburg (DK) Er wolle ein bisschen durch Brechts Werk surfen, hat Patrick Wengenroth über seine Revue "Die Welt ist: Schlecht! Und ich bin: Brecht" gesagt. Also ein bisschen hier, ein bisschen dort, nicht zu lange verweilen, nicht zu tief rein, schnell weiter. Wie man das im Internet so macht. Hauptsache weg von der ebenso weihevollen wie verstaubten Klassiker-Verehrung. Ganz im Sinne Brechts.

So steht der Leiter des Augsburger Brecht-Festivals in der Brecht-Bühne als Bert Brecht vor dem Publikum. Aber auch als Regisseur, Conférencier und Reiseführer zu dem anderen Brecht. Zu welchem, bleibt offen. Wengenroth singt und liest die Songtexte ab, doziert, zitiert, rennt mit dem "Reclam"-Heft herum und erklärt dem Publikum, was da gerade passiert. Es gibt ein bisschen Best of Brecht, ein paar Songs, zum Beispiel "Wonderful World" oder "Material Girl". Es muss ja nicht immer Kurt Weill sein. Immer schön parodistisch, bloß kein Pathos. Bei "An die Nachgeborenen" werden ein paar Zeilen in österreichischem Dialekt gesprochen, dann mit mediterraner Exaltiertheit, dann runtergeleiert. Eine veralberte "Erinnerung an Marie A." Tja.

Dazu kommt Unbekannteres, etwa das selten gespielte "Badener Lehrstück vom Einverständnis", das im Zentrum der Revue steht. Wengenroth erklärt noch schnell den "Verfremdungseffekt" und die Bedeutung des Kindertheaters bei Brecht, bevor auf der Bühne über die Frage nachgedacht wird, ob der Mensch gut oder schlecht ist und der Mensch dem Menschen hilft. Einer der Höhepunkte dieser Uraufführung sind die Clowns, die "Herrn Schmidt" Stück für Stück zersägen. Sebastián Arranz als Puppenspieler stellt diesen Schmidt als eindringlich auf die Bühne. Da funktioniert dieser Abend einmal.

Das ist natürlich alles sehr dialektisch, wird den Zuschauern erklärt. Im Hintergrund tickt ein Metronom, und Wengenroth klärt auf: "Dialek-tickt". Nein, warum soll man bei Brecht nicht lachen. Aber wenn es meistens nur beim Schmunzeln bleibt?

Später wird noch weiter gesampelt, ein bisschen "Mutter Courage", ein paar Gedichte, ein feministisches Manifest von Kerstin König, die sowieso einer der Lichtblicke des Abends ist. Ja, Feminismus, Kapitalismuskritik, die Abschaffung des Menschen als mündiges und selbstbestimmtes Wesen, wenn er das je war: Es ist nicht so, dass wir Brecht nicht nötig hätten, die Welt ist nicht besser geworden. Aber brauchen wir ihn so?

Natürlich lassen sich diese deutlich mehr als zwei Stunden wunderbar mit Brecht erklären: Brüche, Risse, Verfremdung, das Wachrütteln des Publikums, die Zerstörung der Illusion. Man kann mit Brecht ja so ziemlich alles rechtfertigen, was man mit seinen Stücken und Texten anstellt. Auch eine Revue. Oder ist es eine Collage, ein postmoderner Zitatebaukasten oder ein strukturloses Etwas? Auf jeden Fall ist das alles eine ziemlich selbstverliebte Veranstaltung.

Es bleiben am Ende dieses Abends, an dem sich vor allem zum Schluss Wengenroth auf der im konkreten und übertragenen Sinn verwüsteten Bühne noch ein paar große Revuemomente gönnt (es fehlt nur die Showtreppe), viele Fragen offen, aber wenig Neigung beim Zuschauer, denen nachzugehen. Das hatte sich Brecht anders gedacht.

Solche Experimente sind gewagt, können erfrischend sein, können neue Perspektiven öffnen. Und können in die Hose gehen. Und in über zwei Stunden könnte man daheim auch ein paar Bände der wunderbar schlichten, ganz unklassisch abgestoßenen und etwas zerschundenen grauen alten Brecht-Taschenbuchausgabe aus dem Suhrkamp Verlag aus dem Regal nehmen und darin ein bisschen surfen. Ganz analog.