Die Kunst des vollkommenen Schönklangs

11.03.2007 | Stand 03.12.2020, 6:58 Uhr

Ingolstadt (DK) Es gibt Momente auf der Konzertbühne, die man so leicht nicht vergisst. Und zwar nicht unbedingt, weil sie Augenblicke größter Meisterschaft sind, sondern weil sie so treffend die Kunst eines Musikers charakterisieren.

Bei David Garretts Violin-abend für den Konzertverein im Ingolstädter Festsaal kam es zu so einer Szene, als der Künstler ganz am Ende seines Auftritts als Zugabe Vittorio Montis Virtuosenleckerbissen "Csárdás" vortrug. Ein Augenblick lang sah man, wie der immer noch sehr junge Deutsch-Amerikaner, während er die teuflisch schnellen Sechzehntel-Figuren in lockerem Stakkato hinfetzte, plötzlich Distanz zu seinem eigenen Spiel suchte, so als wollte er mit verlegenem Lächeln auf den Lippen dem Publikum zuflüstern: "Ich weiß auch nicht genau, wie ich es fertig bringe, so gut Geige zu spielen. Es passiert einfach."

In der Tat: David Garretts Können, seine Virtuosität, seine geigerischen Ausdrucksmöglichkeiten sind so phänomenal, so unvergleichlich, dass wahrscheinlich nicht einmal er selbst es ganz zu fassen vermag. Das zeigte sich bei jedem Werk dieses Abends und keineswegs nur bei den Virtuosen-Stückchen, die Garrett strategisch günstig an das Ende seines Violinabends platziert hatte. Sicher: Nur wenig andere Geiger vermögen mit solcher Leichtigkeit, so unverkrampft, so schnell und vor allem mit solchem Understatement, die immensen Schwierigkeiten von Antonio Joseph Bazzinis "La Ronde des lutins" zu bewältigen: diese irrwitzigen Springbogen-Passagen, diese schier kaum spielbaren Sexttremoli, diese unglaublichen Flageolett-Doppelgriffe. Oder die beiden Paganini-Capricen: Selten werden die schwierigen, chromatischen Terzläufe und die enormen Sprünge der Nr. 13 so sauber und flink gegriffen oder die marschartigen Akkordballungen der Nr. 14 so problemlos bewältigt wie von David Garrett an diesem Abend.

Aber fast noch überwältigender gelangen David Garrett die Sonaten, die er zuvor interpretierte. Warum? Weil der junge Geigenstar, der gerade nach einer vierjährigen Studienzeit bei Itzhak Perlman an seinem Comeback arbeitet, seiner Stradivari einen ungeheuer süffig klingenden, extrem schnell vibrierenden Ton zu entlocken vermag. Die Thuner-Sonate von Johannes Brahms gestaltete Garrett atemberaubend tonschön und mit unangestrengter Virtuosität. Was man wahrn ahm , war ein äußerst gut aussehender Künstler, der schöne Töne produziert. Aber: Hier stand ganz gewiss kein geigenspielender Dressman auf dem Podium, sondern vielmehr ein großer Geiger, der während seines Studiums auch mal sein Geld mit der Präsentation von Herrenmode verdient hat.

Garretts Violinspiel ist wie geschaffen gerade für die Brahms-Sonate. Er setzt auf die Ausdruckskraft der Melodien, die zärtliche Geste, die gemütvolle Gebärde und entwickelt so eine ruhig fließende, irgendwie abgeklärt wirkende Interpretation. Selbst die Satzhöhepunkte spielt er nur verhalten aus, niemals gibt es Momente unschöner Forciertheit.

Aber Garrett kann auch anders. Bei Mozarts Sonate KV 378 ist sein Ton plötzlich etwas schlanker, nicht mehr so schwärmerisch. Dafür flackern gerade in den Ecksätzen Augenblicke untergründigen Humors auf. Und das Andantino spielt er am Anfang so warm und intensiv, dass man kaum mehr auf das Klavier achtet, obwohl die Pianistin Milana Chernyavska hier eigentlich anfangs die melodiöse Hauptstimme übernommen hat. Die renommierte Begleiterin hatte erst beim zweiten Satz der c-Moll-Sonate von Edward Grieg (den Garrett mitreißend aber keineswegs übertrieben leidenschaftlich vortrug) Chancen, sich gegen den Geiger zu behaupten: Hier, in den Einleitungstakten, konnte ihre delikate Anschlagskultur vorimpressionistischen Glanz verbreiten. Ein wunderbarer Augenblick für diese vorzügliche Pianistin, die an diesem Abend das Pech hatte, im Schatten eines fulminanten Geigers zu stehen. Lang anhaltender, begeisterter Beifall für beide Künstler.