München
Auf der Drehbühne verzockt

Andreas Kriegenburgs Version von Dostojewskijs "Der Spieler" im Münchner Residenztheater

18.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:00 Uhr
Brillantes Schauspielertheater: Charlotte Schwab und Thomas Lettow in einer Szene des Stücks "Der Spieler". −Foto: Horn

München (DK) Das passende Stück zur richtigen Zeit, obwohl die Romanvorlage bereits aus dem Jahre 1865 stammt - und doch überzeitlich ist. Die finanzielle Gier aller sozialen Schichten, vor allem jedoch der aufstrebenden Bourgeoisie, ist unersättlich. Der Mammon korrumpiert die Moral und lässt die Menschen zu Hyänen werden, bis der Absturz ins Nichts unausweichlich ist.

Fjodor M. Dostojewskij (1821-1881) wusste, worüber er in seinem Roman "Der Spieler" schrieb: Er war selbst ein fleißiger Besucher am Roulettetisch, verschuldete sich dabei und lieh sich in seiner pekuniären Lage von seinem Verleger Geld. Als Gegenleistung sicherte er ihm einen Roman zu, den er innerhalb eines Jahres fertig stellen sollte. Gesagt, getan: "Der Spieler" wurde ein Welterfolg.

Schostakowitsch hat den Roman vertont und viele Regisseure haben sich daran abgearbeitet. Andreas Kriegenburg, eigentlich ein Regisseur der poesievollen Töne, hat nun diesen Roman in seiner Bearbeitung im Münchner Residenztheater in Szene gesetzt. Doch ist's in seiner reichlich überdreht wirbelnden und bisweilen auch slapstickhaften Inszenierung samt einem melodramatischen Schluss eine mit drei Stunden Dauer viel zu lang geratene Aufführung.

Ständig rotiert die Drehbühne (von Harald B. Thor) als Symbol des Lebens und der Liebe, der Sehnsucht nach dem großen Reibach und des Verlustes des Geldes und der Moral, bis auch der letzte Rubel der Habgier zum Opfer gefallen ist. Hoch auf der Bühne thront unter einem Kronleuchter wie ein Götzenaltar der Roulettetisch, umgeben von den auf schnellen Reichtum hoffenden Spielern. Darunter ein Gewirr von - natürlich auch symbolischen - aus rohem Holz gezimmerten sechs Laufstegen auf rostigen Metallträgern, die entweder ins Chaos oder ins Nichts führen. Aber das ist ja eh identisch, zumal unter dem Gestänge nicht nur der Partymüll, sondern auch ein reicher Fundus an Klamotten lagert, der die Scheinwelt der Protagonisten als Wunschvorstellung präsentiert.

Wie von der Tarantel gestochen wirbeln, laufen, springen, rasen und stolpern die um Geld und Erbschaft heischenden Draufgänger und deren weiblichen Pendants über die schwankenden Relings. Sie brüllen, schreien, toben, intrigieren und quasseln schier ohne Ende. Alle sind überdreht und säuseln zwischendurch - stets mit Blickkontakt zum Publikum - über ihre Gefühle in die am Bühnenrand installierten Mikrofone. Ein ständig prasselndes Dauerfeuer an Action und ein szenisches Overkill, das je länger, desto stärker ermüdet.

Schade eigentlich, dass Kriegenburgs exorbitantes Tempo und sein übergrelles Szenario den Blick auf das eigentliche Thema, die Tragödie des Realitätsverlustes durch krankhafte Spielsucht, verliert. Da nützte es dann auch nicht mehr viel, dass der Regisseur nach der Pause all die Geldgierigen im fahlen Licht wie Lemuren über die bis zur Brandmauer aufgerissene Bühne schleichen lässt. Gescheiterte Existenzen, Gespenster ihrer selbst sind sie wenigstens hier und nicht mehr nur überdrehte Narren und Jecken.

Doch die schauspielerischen Leistungen in dieser größtenteils zur Klamotte verkommenen Tragikomödie sind famos: Vor allem brilliert Thomas Lettow als virtuoser, rastloser Hauslehrer Alexej Iwanowitsch im Dienste des hochverschuldeten und erzreaktionären Generals a.D. (Thomas Loibl). Seine Schulden bei Marquis des Grieux (Philip Dechamps) kann dieser alte Haudegen nicht begleichen, weshalb er seine Stieftochter Polina (Lilith Häßle) als teure Mitgift für Heiratswillige feilbietet. Pech nur, dass auch der mittellose Alexej ein Auge auf Polina wirft, während Hanna Scheibe als Mademoiselle Blanche ein klischeehaft-berechnendes Flittchen als Gespielin und spätere Gattin des Generals verkörpert.

Hinreißend jedoch die Glanznummer, die Charlotte Schwab als vermögende, Gift und Galle spuckende Erbtante hier liefert. Alle warten auf ihr Ableben, doch sie ist fit wie kein anderer in ihrer Verwandtschaft und lässt sie alle abblitzen, um am Roulette-Spieltisch mit ebenso herrischer wie aufgesetzt leutseliger Etüde ihr Vermögen zu verzocken. Tabula rasa in Dostojewskis und Kriegenburgs fiktiven und doch so realen Spielcasino namens "Roulettenburg". Wenigstens ein brillantes Schauspielertheater. Und das ist ja auch nicht wenig.
ZUM STÜCK
Theater:

Residenztheater Nürnberg

Regie:

Andreas Kriegenburg

Bühnenbild:

Harald B. Thor

läuft bis:

2. Februar 2019

Kartentelefon:

(089) 21851940