Ingolstadt
Abend der leisen Töne

Das Programm "Traumgesichter" im Ingolstädter Altstadttheater

16.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:25 Uhr
Hüllten ihre Zuhörer in einen magischen Kokon aus Texten und Musik: Cellistin Ulrike Eickenbusch (von links), Schauspielerin Barbara Stoll und Katarzyna Mycka am Marimbafon. −Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Träume, Sehnsucht, Hoffnung - ganz viel Gefühl umgibt die Zuschauer im Altstadttheater, hüllt sie ein, zieht sie in den Bann, lässt träumen, sehnen, hoffen.

"Traumgesichter - eine Reise auf verwunschenen Pfaden" ist die kleine, überwiegend auf leisen Tönen daherkommende Stunde überschrieben, die drei Künstlerinnen aus Stuttgart so eindringlich darbieten. Schauspielerin Barbara Stoll liest mit ungeheurer Empathie, schlüpft regelrecht hinein in die Protagonisten der Erzählungen und Gedichte, die sie so lebendig und authentisch werden lässt, und zwar treffsicher zur jeweiligen Stimmung des Werkes. Das ist Poesie in Reinkultur, die die Kraft der Worte spürbar werden lässt.

Die meisten Stücke stammen überwiegend aus dem beginnenden 20. Jahrhundert, doch das Repertoire reicht auch weit zurück bis ins Spätmittelalter zu "Der Erdbeermund", der Francois Villon (1431-1463) zugeschrieben wird, wohl aber 1930 von Paul Zech im Stile des französischen Dichters geschrieben wurde. Die wahrlich verwunschenen Pfade, auf denen die Künstlerinnen ihr verzaubertes Publikum mitnehmen, führen durch aller Herren Länder, inhaltlich, über internationale Dichter und natürlich über die Musik, die südamerikanischen, fernöstlichen oder auch mal jüdischen Ursprungs ist wie die Ballade von Paul Ben Haim, mit der die Traumreise beginnt. Die Kombination aus Cello und Marimba ist ungewöhnlich, entfaltet aber eine interessante Klangwelt, die so wunderbar zum Geheimnisvollen und Rätselhaften des Abends passt. Ulrike Eickenbusch entlockt ihrem Cello mal sehnsüchtige Klänge, mal klopft, mal zupft sie. Mal verbinden sich die Töne des Streichinstruments mit denen der Marimba von Katarzyna Mycka, dann wiederum scheinen beide Musikerinnen parallel zueinander ihr eigenes Ding zu machen oder wechseln sich ab. Immer aber entsteht ein feiner Klangteppich, der das Altstadttheater bis in die letzte Ritze des Dachstuhls zu erfüllen scheint.

Noch nie hatte ich so tief in den Milchkrug hineingeschaut", beginnt die absonderliche Geschichte von Franz Hohler. Doch nun sieht er eine Sandwüste am Boden des Kruges, beobachtet, wie eine Kamelkarawane mit zwei Treibern von einer Herde Elefanten angegriffen wird. Jeder Elefant frisst ein Kamel, die Treiber überleben. "Ich wusste, dass sich so etwas nicht auf dem Boden eines Milchkrugs ereignet - aber ich hatte es gesehen", endet die Geschichte. Makaber "Der Geier" von Franz Kafka, der des Geiers Opfer, dessen Füße gerade zerhackt werden, erklären lässt, es dauere eine halbe Stunde, bis der potenzielle Retter sein Gewehr geholt hat. "Halten Sie es solange aus? ", scheint der Gipfel des Bizarren. Dagegen enthält "Der Steuermann" klare Gesellschaftskritik: "Was ist das für ein Volk? ", fragt der Steuermann, der von einem Fremden verdrängt worden ist und keine Hilfe bei den Mannschaftsgraden findet. Dass "Wünsche nur so lange gut sind, wie man sie noch vor sich hat", mahnt Erich Kästner im lehrreichen "Märchen vom Glück". Zum Nachdenken fordert Mascha Kaléko, die in "Blasse Tage" konstatiert: "Noch leben wir, wenn wir nicht sterben". Oder sie träumt "Wenn man nachts nicht schlafen kann" vom Land der Ruhe und Geborgenheit, denn "wenn Menschen zur Liebe bereit, dann ist Weihnachten nicht weit".

Die Musik ergänzt, begleitet oder trennt die Geschichten, ist gleichberechtigter Partner oder Untermalung, verstärkt den meditativen Charakter der Lesung, rüttelt gelegentlich aber auch mit heiteren oder markanten Klängen auf, vor allem, wenn Katarzyna Mycka die Schlegel über die Marimba tanzen lässt. Eine wunderbare Melange aus sorgfältig ausgewählten und aufeinander abgestimmten Kostbarkeiten aus Literatur und Musik.

Andrea Hammerl