München
Ästhetik der Destruktion

Der Münchner Kunstbunker BNKR zeigt Werke von Michael Sailstorfer in einer Einzelausstellung

06.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:53 Uhr
  −Foto: Kukulies

München (DK) Scharf geschossen wird in seiner ersten Münchner Ausstellung seit etwa zehn Jahren - mit kleinem Kaliber und einem Luftgewehr.

Aber dem 1977 in Niederbayern geborenen und in Berlin lebenden Michael Sailstorfer geht es nicht etwa um die Erzeugung von Wildbret, wie der Name der Schusswaffe - "Diana", die römische Jagdgöttin - vermuten lassen könnte. Er folgt aber durchaus einer Passion, die man gerne als "Inbesitznahme von Räumen" beschreibt - und die man von ihm, einem der erfolgreichsten jüngeren zeitgenössischen Künstler im Lande, gut kennt.

Jetzt hat er also mit der Schau "Space is the Place" dem BNKR, einem Ausstellungsort in der Münchner Ungererstraße 68 kurz vor der Studentenstadt, seinen unnachahmlichen Stempel aufgedrückt. Der Kunstraum ist in den unteren drei Geschossen eines ansonsten zum Wohnhaus umgebauten massigen Weltkriegsbunkers untergebracht.

Alle von Sailstorfer präsentierten Werke lassen sich mit dieser Bunker Situation irgendwie in Verbindung bringen. Und sind oft so präsentiert, dass sie beim Besucher ein störendes Empfinden hervorrufen.

Über zwei graue Gipswürfel mit 30 Zentimeter Kantenlänge, Titel "Pulheim Block" und "Folkstone Block", stolpert man fast drüber, weil sie völlig unscheinbar auf der Treppe und auf dem grauen Betonboden platziert sind. Dabei haben es diese Würfel in sich. Denn Sailstorfer hat Goldmünzen im Wert von 10000 Euro darin eingegossen.

Beim Reinkommen muss man sich bücken, um mit dem Kopf nicht anzustoßen. Denn da nimmt einen eine Metallrohrkonstruktion in Empfang, die auf "Augenhöhe" - Titel der eigens für den speziellen Ort entwickelten Arbeit - durch das ganze, enge Bunker-Erdgeschoss geführt wird. Am Ende entdeckt man dann wieso: Der Lauf des Schießgewehrs wurde auf sagenhafte 26 Meter verlängert, in Schlangenlinien durch die verwinkelten Räume geführt - um am Ende kurz vor einer der zwei Meter fünfzig dicken Wände zu enden. Betätigt man nun den Abzug, ploppt ein Kügelchen müde gegen die Wand und tropft auf den Boden. Zum laut Lachen. Der kurvige lange Lauf hat das Geschoss all seiner Durchschlagskraft beraubt. Diese Waffe tut keiner Fliege was zuleide.

Sailstorfer, der seine Werke meistens auch akustisch untermalt, erklärt den Zusammenhang mit dem Bauwerk so: Bunkerarchitektur habe die Aufgabe, Bomben und Waffen sozusagen zu entschärfen. Damit sie die Insassen nicht schädigen können. Diese Idee habe er mit "Augenhöhe" nun ins fast Comichafte gedreht. Außerdem wollte er das klaustrophobische Moment in einem Bunker verstärken und veranschaulichen. Die ohnehin schon engen Räume wurden durch das Rohr, das sie durchwandert und den Besuchern ständig im Weg ist, künstlich noch weiter eingeengt.

Das Destruktionsthema wird auch in den anderen gezeigten Arbeiten weiter dekliniert. Im Kellergeschoß sind die beiden 16 mm Film-Loops "Untitled (Bulb)" von 2010 und "Untitled (Lohma)" von 2008 zu sehen. "Bulb" zeigt eine spektakulär zersplatzende Glühbirne, davor ein Projektil, das auf sie zurast. Peng!

"Lohma" verblüfft ohne Peng. Zu sehen ist eine Wellblechhalle, die sich aufbläht und wieder zusammenzieht, endlos. Was ist das bloß? Und wie macht man das? Für die beiden Arbeiten benutzte der Künster eine Hochgeschwindigkeitskamera, die 3000 Bilder pro Sekunde erzeugt. Für "Lohma" ließ er ein Gebäude in einem thüringischen Steinbruch sprengen. Anschließend sparte er die Explosion aus und setzte die Aufnahmen so zusammen, dass ein scheinbar atmender Organismus entsteht. Auch die neunminütige Video-Arbeit "Tränen" von 2015 kommt ohne Explosion aus, obwohl am Ende ein ganzes Haus kaputt ist. Zwei Tage lang ließ der Künstler von zwei Kränen drei tränenförmige, jeweils zwei Tonnen schwere blau gefärbte Abrissbirnen auf das Objekt herab regnen - bis nur noch ein Haufen Schutt übrig blieb. Die von dem typischen, dramatisch krachenden Geräuschen untermalte Aktion dampfte er im Video dann auf neun Minuten ein.

Selten hat jemand seine Lust am Destruktiven poetischer in Szene gesetzt.

Die Ausstellung läuft bis 12. April, Öffnungszeiten Sa + So 14 - 18 Uhr, Eintritt frei.

Joachim Goetz