"Sorgfalt geht vor Schnelligkeit"

17.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:46 Uhr

Berlin (DK) Sie selbst hat längst Widerspruch gegen die Ablichtung ihres Wohnhauses für den Internet-Dienst Street View eingelegt. Nun bereitet Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) gesetzliche Regeln für derartige Angebote vor. Mit der Ministerin sprach unser Korrespondent Rasmus Buchsteiner.

Frau Aigner, der Start von Google Street View war lange angekündigt. Hat die Politik das Thema nicht verschlafen?

Ilse Aigner: Davon kann keine Rede sein. Ich habe das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und zahlreiche Gespräche mit Google und den Datenschützern geführt, weil viele Bürgerinnen und Bürger ihre Privatsphäre verletzt sehen. Im Ergebnis haben wir schärfere Widerspruchsregelungen durchgesetzt als jedes andere Land, in dem es Street View gibt.

Aber erst jetzt ist auch im Bund der politische Wille für Gesetzesänderungen da . . .

Aigner: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Wir sind uns in der Regierung einig: Ein Gesetz, das sich allein auf Google beziehen würde, macht keinen Sinn. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist zu sehr auf Street View fokussiert und wird deshalb der Komplexität des Themas nicht gerecht. Die Grundsatzfrage ist, wie wir eine vernünftige Balance finden zwischen neuen technischen Möglichkeiten im Netz, von denen zweifellos auch viele Verbraucher profitieren, und dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen. Welche Verknüpfungen von Daten bei Geoinformationsdiensten wie Street View lassen wir zu – und wo ziehen wir eine Grenze? Und noch einmal: Jeder kann Widerspruch bei Google einlegen gegen die Abbildung eines Hauses, egal ob Mieter oder Eigentümer.

Werden Sie selbst Widerspruch einlegen?

Aigner: Das habe ich längst getan. Wie viele andere Bürger möchte ich nicht, dass meine Privatadresse abgebildet ist.

Mit wie vielen Einsprüchen rechnen Sie?

Aigner: Die Zahlen steigen rasant. Mit genauen Angaben hält sich Google jedoch zurück. Das ist bedauerlich. Mehr Transparenz würde dem Unternehmen helfen, Vertrauen zu gewinnen. Fest steht: Die Bearbeitung der Zehntausenden von Widersprüchen ist zeitaufwendig. Ich rechne deshalb nicht mehr damit, dass Street View noch in diesem Jahr über die bisher angekündigten 20 Großstädte hinaus ausgeweitet wird.

Was ist dann noch problematisch an Street View?

Aigner: Natürlich können Internet-Angebote wie Street View für sehr viele Verbraucher auch von Nutzen sein. Sie können dort ihren Urlaubsort erkunden oder Immobilien in Augenschein nehmen. Menschen mit Behinderungen können bei Street View recherchieren, ob es barrierefreie Zugänge an Gebäuden gibt. Dennoch: Es kommt auf die Balance an zwischen dem wirtschaftlichen Interesse der Netz-Unternehmen, dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen.

Datenschützer gehen einen Schritt weiter und warnen vor Verknüpfungen der Street-View-Bilder zum Beispiel mit Adressdaten . . .

Aigner: Verknüpfungen mit anderen personenbezogenen Daten wären hoch problematisch. Wir werden in der Bundesregierung zu klären haben, ob hier gesetzliche Schranken eingezogen werden müssen. Es gibt aber längst Internet-Anbieter, die Telefonbuchdaten mit Luftbildern von Wohngebieten verbinden. Wer das vermeiden will, müsste seine Telefonnummer aus dem öffentlichen Verzeichnis streichen lassen.

Was muss in dem Gesetz alles geregelt werden?

Aigner: In der Koalition sind wir uns einig, dass wir das Bundesdatenschutzgesetz ans Internet-Zeitalter anpassen und dabei auch dem Verbraucherschutz im Netz mehr Geltung verschaffen müssen. Ziel sollte sein, bis zum Herbst konkrete Eckpunkte auf den Tisch zu legen. Auf den Prüfstand gehören aus meiner Sicht auch alle Fragen rund um Geodienste und den Schutz personenbezogener Daten. Es ist der richtige Ansatz, dass Politik, Wirtschaft, Verbraucher- und Datenschützer an einen Tisch kommen, wenn über die Chancen und Grenzen moderner Netz-Technologien beraten wird. Ich begrüße es, dass es im September zu einem solchen Spitzengespräch kommt.