Richterspruch beschwört nächsten Koalitionsstreit herauf

02.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Berlin (DK) "Ich mache keinen Hehl daraus", sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. "Ich freue mich über das Urteil", erklärt die liberale Bundesjustizministerin vor der Hauptstadtpresse, strahlt und jubelt über "einen herausragend guten Tag" für die Grundrechte und den Datenschutz.

Beim Koalitionspartner sieht man den Karlsruher Richterspruch ganz anders und ist "ausdrücklich nicht froh": "Solange wir keine Nachfolgeregelung haben ist die Lage für Straftäter komfortabel, weil für die Aufklärung von Straftaten keine Verkehrsdaten anlasslos gespeichert und genutzt werden dürfen", kommentiert der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Karlsruher Urteil und der höchstrichterliche Stopp der Vorratsdatenspeicherung beschwört den nächsten Koalitionsstreit herauf. Während die Union auf eine schnelle Gesetzesänderung noch vor der Sommerpause drängt, haben es die Bundesjustizministerin und die FDP nicht eilig.

Die Bundesjustizministerin warnte ausdrücklich vor "nationalen Schnellschüssen". Die unmissverständliche Botschaft der FDP: Ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dürfte ihre Zustimmung nicht finden. "Wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei dem Standpunkt bleibt, dann haben wir ein Problem", rechnet CDU-Innenexperte Bosbach mit neuen Auseinandersetzungen in der Koalition. Das Bundesverfassungsgericht habe die Position der Justizministerin widerlegt und mit dem Urteil bestätigt, dass Vorratsdatenspeicherung nicht generell verfassungswidrig sei. "Durch die vom Verfassungsgericht angeordnete Löschung gehen wichtige Ermittlungsansätze und gespeicherte Beweismittel für alle Zeit verloren", beklagte der CDU-Mann. "Wenn es hierzulande keine Vorratsdatenspeicherung mehr gäbe, würden immer mehr Straftäter aus dem europäischen Ausland in den Tatraum Deutschland ausweichen", warnt Bosbach. "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", empfiehlt dagegen Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP) und wirbt ebenfalls für eine europäische Lösung.

Das Karlsruher Urteil – ein Tag zur Freude oder ein Tag zur Sorge? "Eine Ohrfeige für den Gesetzgeber", urteilt nicht nur der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Ein guter Tag für die Grundrechte." Er rechne nicht mehr damit, dass Deutschland eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung bekommen werde, so der oberste Datenschützer.

Die Bundesjustizministerin setzt jetzt auf eine europäische Lösung. Hatten die Karlsruher Richter doch ausdrücklich erklärt, dass eine verfassungsgemäße Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie über die Vorratsspeicherung in Deutschland möglich sei.

Auf Europa setzt auch der Deutsche Anwaltverein (DAV), der den Richterspruch uneingeschränkt begrüßt. "Die Politik ist jetzt in der Pflicht – sie muss nachbessern", sagte DAV-Präsident Wolfgang Ewer. Am sinnvollsten sei es jetzt, die EU-Richtlinie zu ändern.